28.03.2023

Dienstag ist hier Einkaufen-mit-Oma Tag, das ist ja bekannt, und heute habe ich wieder eine weitere Komponente dieses Jobs freigeschaltet, man kann viel falschmachen. Ich hatte ja in den letzten Wochen bereits gelernt: Meine Mutter möchte ihren eigenen Jutebeutel mitbringen, wenn man ihr sagt, dass ich doch Kartons habe und wir am Ende doch eh aus dem Wagen in den Kofferraum sortieren, läuft sie die ganze Zeit klagend durch den Supermarkt und ist den Tränen nahe, weil sie in großer Sorge ist, dass das gleich an der Kasse alles sehr schlimm wird, weil sie ja keinen eigenen Jutebeutel hat, vielleicht sollte sie doch lieber noch mal zum Auto zurückgehen, mimimimimi. Alles gelernt, ich frage jetzt beim Aussteigen, ob sie den Jutebeutel hat, dann guckt sie mich kritisch an und sagt: „Ja natürlich.“ Auch gelernt habe ich, dass sie auf sehr klare Ansagen im Alter besser reagiert als mit zögerlichen, netten kleinen Hinweisen. Meine Mutter hat zeitlebens mit großer Hingabe andere Leute versorgt, erst meine Schwestern, dann mich, meinen Vater sowieso immer, und dann 15 Jahre neben seinem Pflegebett gesessen. Meine Mutter ist in ein großes Carearbeit-Loch gefallen, und so möchte sie jetzt immer hilfreich sein, was in exakt 100% der Fälle damit endet, dass alles viel anstrengender oder schwieriger ist, als sonst, weil ich quasi alles schneller und sicherer erledigen kann als sie. Der Einkaufswagen muss geholt werden, also wankt sie unsicher aber entschlossen los, wenn ich nicht sehr klar vorher gesagt habe: „Du stellst dich jetzt hier hin, ich hole eben den Wagen.“ Oder – wieder an der Kasse – dass sie immer lieber mir helfen möchte, meine Einkäufe in den Wagen zu räumen, statt einfach nur einen Meter weiter zu stehen und sich darauf zu konzentrieren, nicht umzufallen, das ist als Aufgabe absolut ausreichend. Aber nein, „ich will dir doch nur helfen“, wobei aber ja die allergrößte Hilfe ist, ruhig zu stehen und nicht umzufallen. Aber das sagte ich ja schon. Also sage ich jetzt – sie legt immer erst ihre Sachen aufs Band, bezahlt sie und packt sie in den Jutebeutel, es sei denn, sie wird davon abgelenkt, dass sich ihr eine Möglichkeit bietet, mir zu „helfen“, das ist dann natürlich ein anderer Fall, dann lässt man natürlich alles sofort stehen und liegen und greift sich die zwei Kilo Kartoffeln, die ich bereits in der Hand hatte, um dann zu straucheln und fast umzufallen, Sie haben es vermutlich vor Augen. Also sage ich (nachdem ich schon mal den Jutebeutel eingeräumt habe, während Sie bezahlt) jetzt immer: „Du bleibst bitte hier stehen und packst erst mal dein Portemonnaie wieder ein“, und bis sie damit fertig ist, bin ich schon fast wieder am Auto.

Heute fuhren wir gerade auf den Parkplatz, da erzählte sie wieder von der Nachbarin, über die sie sich immer ärgert, ich kann es nicht mehr hören, sie ärgert sich jede Woche über die gleichen Sachen, die sie eigentlich alle gar nix angehen, und die Geschichten kenne ich alle bereits auswendig, heute war kein Tag, an dem ich sie schon wieder hören wollte. Also sagte ich sofort in meiner neuen, entschlossenen Art der Kommunikation: „Mama, wir sprechen heute nicht über Petra, Petra ist nicht wichtig.“ Sie sprach dann noch ein bisschen über Petra, bis ich mir beim Betreten des Supermarktes die Ohren zuhielt, dann war sie kurz etwas beleidigt, kaufte aber ein (sie brauchte Weintrauben, Käse und grüne Erbsen), so gesehen ein voller Erfolg. Für einen kurzen Moment hatte ich überlegt, ob ich mich einfach auf den Boden werfe und brülle, das ist ja, was Kinder machen, wenn die Eltern nerven, es blieb mir jedoch erspart. Jedenfalls erzählte sie dann, wieder unbeleidigt, dass sie schon bei Rewe und Penny war, es gebe keine grünen Erbsen, nur Schälerbsen, aber die wolle sie nicht, dann würde die Suppe so pappig, sie wolle Erbsensuppe kochen. Also parkte ich sie am Trocken-Hülsenfrüchteregal, holte irgendetwas anderes und kam zurück, Stimmung total gekippt. Es gab nur Schälerbsen. Mir fiel ein, dass ich frischen Spinat vergessen hatte und schlug vor, sie solle noch ein bisschen suchen, während ich Spinat hole. Als ich zurück kam, dachte ich, ich hätte Sehstörungen, meine Mutter stand zweimal vor dem Regal, einmal in einer roten Jacke, einmal in einer grauen Jacke, sonst alles gleich. Die beiden Seniorinnen sprachen sehr vertraut, weshalb ich kurz dachte, sie würden sich kennen, war aber nicht so, man teilte nur die Abneigung für Schälerbsen. Ich ging Kokosmilch holen. Als ich wiederkam, sagte meine Mutter: „Es ist nämlich so, Schälerbsen geben eine wirklich schlechte Suppe, das sagt die Frau Müller auch. Nicht wahr, Frau Müller?“ Und dann erzählte Frau Müller mir, wie schlecht Suppe aus Schälerbsen ist. Ich ging Milch holen. Als ich wiederkam, waren sie thematisch ganz woanders, ich holte noch was und noch was und noch was, und nur, damit Sie die zeitliche Dimension einschätzen können: Es handelt sich um einen wirklich riesengroßen Vollsortimenter, und ich ging völlig erratisch einzelne Teile holen, lief dabei sicher fünfmal durch den kompletten Laden, um jedes Mal wieder bei den beiden Damen am Erbsenregal auszukommen. Irgendwann legte ich etwas in den Wagen und Frau Müller sagte: „Ist das nicht schön? Sie können ganz in Ruhe einkaufen“, woraufhin ich freundlich anmerkte, dass ich ja bereits fertig sei, ich könnte mir aber vorstellen, dass meine Mutter auch noch einkaufen müsse. Dann ging ich wieder los, schickte einen Hilferuf an Mastodon und wartete. Dabei überlegte ich mir Strategien, wie ich sie von dem Erbsenregal wegkriegen könnte. Ich hätte natürlich einfach den Einkaufswagen mitnehmen können, dann hätte sie sich nicht mehr festhalten können, aber vermutlich hätte Frau Müller mit einem Einkaufswagen aushelfen können, und naja, sie hatte ja mehr Spaß, als sie mit mir gehabt hätte, wo ich ja nie über Petra oder Krankheiten sprechen möchte. (Ich hatte heute sogar ein wirklich sehr großes, neues, spannendes Thema, das man stundenlang hätte besprechen können, aber irgendwann in den letzten Jahren begann meine Mutter, lieber zu sprechen als zuzuhören, und vielleicht ist das mit 82 auch total okay.)

Irgendwann kamen sie zusammen angeschoben, ich stand in der Nähe der Fleischtheke, weil ich wusste, dass sie dort noch hin muss, dann verabschiedeten sie sich und meine Mutter sagte bedeutungsschwanger: „Stell dir vor, Frau Müller hat vier Söhne, und ich hab drei Töchter.“ Dann kam Frau Müller wieder angeschoben, und meine Mutter erzählte Frau Müller, dass sie mir erzählt hätte, dass sie vier Söhne hätte, und die andere Sie drei Töchter, und dann wurden noch Enkel verglichen, und ich holte Wattestäbchen.

Ich kürze ab. Wir waren zwei Stunden im Supermarkt, am Ende fragte ich, ob sie denn wenigstens Telefonnummern ausgetauscht hätten, erntete einen wirklich bösen Blick und die Antwort „Spinnst du?“, und seitdem denke ich darüber nach, was Senioren sich vorstellen, was passiert, wenn man Telefonnummern austauscht.

Jedenfalls endete es so: Frau Müller und Oma Herzbruch besprachen, dass ihre Söhne bzw. Töchter ja immer alles nur noch im Internet kaufen, ich könnte ja Erbsen bei Amazon bestellen. Das probierte ich also, allerdings gab es nur große Gebinde, und dann wurde gedrängelt, dann suchte ich online Supermärkte in der Nähe ab, fand dort Erbsen, das sei aber gelogen, da hätte sie ja heute morgen noch gesucht, und dann bestellte ich Getränke bei der Flaschenpost, nicht, weil ich Getränke brauche, sondern weil es dort auch grüne Erbsen gibt. Morgen 11 Uhr ist das Thema auch erledigt.

10 Gedanken zu „28.03.2023“

  1. Meine Schwiegermutter versuchte immer, das Einkaufserlebnis zu verlängern, um noch „eine Kleinigkeit zu genießen“, z.B. Kaffee und Kuchen. Wobei sie bereit war, diesen Luxus zu finanzieren. Leider konnte ich als berufstätige Mutter dieses grosszügige Angebot aus Zeitgründen nur selten annehmen. Tempi passati….

    • Das ist ja meine allergrößte Angst. Sie ist bis letztes Jahr immer freitags mit ihrer Schwester einkaufen gegangen, mit anschließend Kaffee und Apfelkuchen. Im neuen Supermarkt ist auch so ein Quengelcafe für Senior:innen. Ich hoffe, das bleibt mir erspart, wenn ich ehrlich bin.

  2. Dieses Kinderquartett spielte meine Mutter auch mit fremden Leuten. Und sie verlor zu Anfang immer. Zwei Töchter und ein Enkelkind. Das war praktisch nichts, Und ich war dann die ohne Kinder.
    Also „ Name“ und dann: die hat aber keine Kinder.
    Was dann wieder zog, waren die Berufe der Schwiegersöhne. Da lag sie wieder ganz vorne. Dass beide Töchter auch studiert hatten, geschenkt. Das waren wohl keine gewichtigen Karten.

      • Meine Schwester ist ja auch Frau Doktor, aber das ist in den Augen meiner Mutter eher ein Minuspunkt. Wenn sie wenigstens Ärztin wäre, aber sie ist bloß Juristin! Und kinderlos! Aber meine Mutter kennt auch alle alten Damen, die jemals in ihrem Stammsupermarkt eingekauft haben. Die, die sie nicht kennt, lernt sie in Nullkommanix kennen.

        • Diese Kinderlosigkeit, eine Frechheit ist das den potentiellen Omas gegenüber.
          Und der Supermarkt ersetzt die Spinnstube und den Dorfplatz von früher komplett.

  3. Herzlicher Lacher am Morgen über die Telefonnummern -nicht- austauschenden Seniorinnen. Außerdem erstaunliche Parallelen in den Geburtsjahren aller drei Generationen.
    Danke für den Einblick in den Alltag mit Senioren 🙂

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