08.10.2023 – Prognose Update

Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen müsste. Kotzen gegen Rechts. Schlecht für die Zähne, gut für die Demokratie.

Ich hatte den ganzen Tag um die Prognosen um 18 Uhr herum geplant, und ja, die Ergebnisse standen ja eigentlich fest, meine Hoffnung war, dass Söder unter die 37,2 Prozent vom letzten Mal kommt, weil ich naiverweise denke, dass er dann vielleicht nicht Kanzler werden möchte. Und dass Nancy Faser das mal lieber gelassen hätte, kann man jetzt ja sagen, aber gut, wenn es keine anderen Leute gibt, die das machen wollen würden, dann ist das halt so, dann ist es aber auch nur fair, wenn man 15, meine Güte, Prozent der Stimmen bekommt. Dennoch hatte ich Hoffnung, dass so etwas wie das Wunder von Bern sich wiederholt, alles ist ja theoretisch möglich. Ich hätte – das ist kein Geheimnis, ich bin Mitglied der Grünen mit unendlich kleinem Interesse an Lokalpolitik – mir gewünscht, dass es in Hessen und Bayern, ja, in der Reihenfolge, Ergebnisse gibt, die zeigen, dass immerhin die zweitgrößte Gruppe der Wähler:innen verstanden hat, dass die Welt ist, wie sie ist, dass man darauf reagieren muss, und dass man eine relevante Stimme gegen Populismus und Radikalität bilden kann, aber nein, es ist nicht so, als wäre ich jetzt erstaunt. Das ist das falsche Wort.

Ich bin unerstaunt entsetzt. Ich bin entsetzt darüber, dass in beiden Ländern die AfD die zweitgrößte Fraktion sein wird. Ich bin entsetzt darüber, dass die dummen Leute, die sie wählen, ja nun offensichtlich nach so vielen Jahren Erfahrung mit der Partei eigentlich keinen Freifahrtschein mehr haben dürften, auf dem „Protestwähler“ steht. Wenn ich mal vergleiche, wie wenig der Protest der letzten Generation gewertschätzt wird, sind wir doch offensichtlich eine Nation, die Protest nicht in ihrer DNA hat.

Meine Güte, und dann reden alle über Diskursverschiebung. Ja, die ist real, wir können sie überall sehen, zumindest sind wir noch kurz entsetzt, wenn in Israel schreckliche terroristische Anschläge verübt werden, und auf den Straßen Berlins diese mit free Bonbons gefeiert werden. Das finden wir dann nicht gut in Deutschland, aber gut, da freuen sich ja auch Islamisten, da sind wir dann nicht bei. Dass Aiwanger und die Freien Wähler jetzt – so die Erzählung absolut aller Medien – von der Flugblattaffäre profitieren, ist erschütternd, ich muss heute bei den Adjektiven zu den großen Geschützen greifen. Diskursverschiebung beobachte ich übrigens auch bei mir selber. Dass ich mal schlecht finden werde, dass die FDP aus einem Landtag fliegt, habe ich nicht kommen sehen, aber ich bin mir nicht sicher, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, wenn in Bayerns Opposition zu den Mitte-Rechts-Koalition nicht nur die AfD und die Grünen, die ja nicht mehr mitspielen dürfen, mit der in der Bedeutungslosigkeit versunkenen SPD zu Wort kommen können. Viel hilft viel, vielleicht hätte es die FDP noch mal gebraucht, dort. Und dass ich mit Wohlwollen sehe, dass die CDU in Hessen so zulegt, kommt auch unerwartet, aber dass all die Leute, die nicht SPD gewählt haben, zumindest schon mal nicht geschlossen AfD wählen, ist vielleicht in „der aktuellen Situation“ – da ist es wieder, vielleicht war mir Pandemie fast lieber – schon ein Erfolg, daher Gratulation, ernst gemeint.

Ich möchte meine Prognose noch mal anpassen, die ich im November 2021 aufgestellt hatte. Dazu sei gesagt, dass wir da ja noch nicht Krieg hatten, aber wir hatten wenigstens Pandemie. Wenn wir kurz abgleichen, steht es derzeit so: Die Ampel enttäuscht die Bevölkerung, da hatte ich einen guten Riecher. Lindner kommt eventuell nicht so unbeschadet durch, wie ich dachte, wenngleich meine Theorie, dass er sich wann immer möglich von Rot und Grün distanzieren wird, ja auch ganz gut passte. Dass Söder 2023 die Bayern-Wahl mehr schlecht als recht gewinnt, scheint auch zu stimmen. Danach muss ich jetzt zwei Jahre später einmal nachjustieren. Und zwar so:

Ich hoffe, dass Söders schlechtes Abschneiden ihm den Zahn zieht (unrealistisch, I know, aber man kann ja mal rein hypothetisch vorgehen), doch noch mal Kanzler werden zu wollen sein Platz ist in Bayern, meinen Segen hat er. Vielleicht noch schlimmer wäre ja Merz, aber der ist hoffentlich auf gutem Wege, als Kanzlerkandidat nicht mehr in Frage zu kommen, also muss die Union sich etwas überlegen, und dann kommt man vielleicht auf Daniel Günther oder Hendrik Wüst. Ich bin dann jetzt langsam an dem Punkt, an dem ich denke, dass Günther eine gute Option wäre, wenn man den rechten Mob noch mal in den Griff kriegen will, er scheint das in seinem Land gut hinzukriegen. Prognostizieren wir also mit Günther weiter. Der tritt dann gegen Olaf Scholz an, und da der ja nur Wahlen gewinnen wird, wenn der andere Kandidat – oh, jetzt fällt mir fast nix mehr ein, womit man in Deutschland noch Vertrauen verlieren könnte – sich komplett selber aus dem Rennen nimmt, wird Günther gewinnen, und dann wird er mit den Grünen regieren, die FDP braucht man dann nicht mehr, ob die dann noch im Bundestag sind, ist ja auch die Frage. Dann also ein grüner Verkehrsminister, es wird Radwege geben und ein Tempolimit. Digitalisierung macht dann wieder keiner, but well, ging ja bislang auch immer sehr gut ohne.

Und jetzt komme ich ein bisschen ins Schwimmen, ich hatte ja ursprünglich prognostiziert, dass Kevin Kühnert 2029 Kanzler wird, aber das würde ich jetzt stark abhängig machen von der Schwarz-Grün-Regierung in der Zwischenzeit. Dass es jemals eine:n grüne:n Bundeskanzler:in geben wird, naja, wir haben ja jetzt zwei Jahre lang gesehen, was passiert, wenn ein Buhmann gesucht wird und alle anderen sagen „Klar müssen wir was machen, aber das muss alles noch mal in die Werkstatt“.

Ach, ach.

Nachtrag: In der Hochrechnung von 19.10 scheinen die Grünen in Bayern vor der AfD zu sein. Immerhin.

14 Gedanken zu „08.10.2023 – Prognose Update“

  1. Wie so oft lese ich nickend.

    Ich bin ebenfalls unerstaunt entsetzt, da auch auf Wunder von Bern gehofft. Und hätte auch nie gedacht, dass ich hier in gerade noch Bayern fast Hessen, mal froh über die drögen Maggus Wähler sein werde. Sonst hätte diese unsägliche Vereinigung mit A wahrscheinlich noch mehr Stimmen bekommen.

  2. Es sind wahrscheinlich die mehr als 15 Jahre weitere Lebenserfahrung, oder meine zutiefst pessimistische Grundstimmung, aber ich habs noch schlimmer erwartet. Daraus folgt jetzt aber nicht, dass mich die Ergebnisse froh stimmen. Nur bin ich nicht sicher: ist es Dummheit? Diese Flugblatt-Geschichte, so dumm kann man doch gar nicht sein, das zu glauben. Vielleicht sind wir einfach … doomed.

    • Ich habe mit vielen Leuten gesprochen nach der Flugblattaffäre. Was mich sehr überrascht hat: das Flugblatt und sein Autor war den Leuten völlig egal, und zwar durch die Bank, unabhängig von Beruf, Bildungsgrad und politischer Einstellung. Völlig egal. Zu lange her, keine aktuelle Relevanz, interessiert keinen. Dass die SZ das Thema aufs Parkett brachte, wurde als der Versuch gewertet, den Freien Wählern vor der Wahl zu schaden, und das fand man offenbar unfair, selbst, wenn man kein FW-Freund war. Seit diesen Gesprächen war mir klar, dass die FW nicht beschädigt aus der Sache herausgehen würden.

  3. die menschen sind müde. die versprechen zum bürokratieabbau führen zu mehr bürokratie. z.b., gab es die zentrale persönliche id- nr. vom finanzamt, die das ganze leben gelten soll und die viele formulare ersparen sollte? die gibt es zu den formularen, wie gehabt. gute gesetze, wie das heizungsgesetz, werden so lange zerredet, bis opposition dagegen zum guten ton gehört. alle zusätzlichen kosten durch ukraineflüchtlinge, wie bürgergeld und krankenkasse, werden von den öffentlichen sozialversicherungen getragen, für die beamte und freiberufler und selbstständige keine pflichtbeiträge zahlen. vermögenssteuer gibt es nicht, tempolimit und ökologische fortschritte verhindert nicht nur die fdp. und zu erleben, wie flüchtlinge gegängelt werden mit immer neuen formularen ohne klare bleiberegelungen macht menschen auch fertig, auch wenn es andere freut. die wahl regt mich auf, aber am meusten, weil ich anderes erwartet habe.

  4. Das einzige Positive, das ich an der Situation erkennen kann, ist, dass sich jetzt hoffentlich auch die Letzten von der vielen liebgewordenen Illusion verabschieden werden, die AfD sei ein ostdeutsches Problem. Ohne das Vorhandensein von Aiwanger et al wären deren Zahlen sicher auch in Bayern *noch* höher.

  5. Habe gerade diesen Spruch gelesen:
    Wenn man mit den demokratischen Parteien der Regierung unzufrieden ist, wählt man nicht AfD.
    Das ist, als würde das Schwein freiwillig den Metzger wählen.

  6. In Bayern, habe ich immer gesagt, kanalisiert die CSU bräunliche Strömungen. Dass sogar die hessische SPD bräunliche Ränder hat, hat mein Vater, der in Hessen jahrzehntelang in der Kommunal- und Landespolitik aktiv war, immer behauptet. Zynikerin, die ich nun mal bin, sage ich, dass die Leute braun wählen, wenn sie Angst kriegen. Nur die Ängste scheinen mir meist irrational. Ich habe dieses Ergebnis erwartet und bin trotzdem fassungslos.

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