Real Men

Die Suche nach Themen, zu denen ich etwas zu sagen habe und das sogar auch möchte, ist hin und wieder nicht so einfach, umso besser, wenn man sich auf so kreative Hirne wie Frau N. verlassen kann, die einfach ein Google Doc mit Themenvorschlägen ins Leben ruft. Nun möchte ich ja gar nicht wirken wie jemand, der nicht in der Lage ist, sich selber ein Thema auszudenken, in den letzten Tagen (sicherlich auch durch sehr selektive Nachrichten-Exposition) hat mich aber mein geheimes Dauerlieblingsthema, Frauen und Beruf, mal wieder bis über den Siedepunkt erhitzt, und das hätte ich gerne vor dem heutigen Bloggen noch abgewendet, habe ich ja in der Vergangenheit sehr gut gelernt, welche Themen ich besser nicht anfasse, zumindest nicht hier. Aber ganz drumrum werden Sie leider nicht kommen. Sie dürfen aber natürlich wie neulich bei dem Menstruationspost gerne einfach ein paar Einträge zurücklesen, und wenn Sie dort etwas finden, was Sie interessiert, kommentieren Sie einfach dort, das finde ich ganz reizend.

Genaugenommen hatte ich im letzten Beitrag auch schon alles gesagt, was ich sinnvollerweise dazu sagen sollte, ohne allzu jämmerlich zu wirken (von „jammern“), aber da ich seit eben weiß, dass ich Herrn Texas Jim ja noch eine Erklärung der wildesten Kurven meiner Karriere schulde, kann man sicherlich da gute Synergien schaffen. Meine berufliche Laufbahn bis hierher war sicher wild, und dazu haben vermutlich genau zwei Faktoren geführt: Rastlosigkeit und fehlender Feminismus. Aber von vorn.

Im Großen und Ganzen bin ich kein gebildeter Mensch. Ich bin in einem mikroskopisch kleinem Gebiet wirklich gut, und ich habe, und das war vermutlich schlau, sehr früh im Studium erkannt, wo mein eigener USP liegt und habe alle konkurrierenden Berufswünsche (zur Wahl standen – in chronologischer Reihenfolge – Pferdewirtschaftsmeisterin, Berufsmusikerin, die bis an ihr Lebensende für Gin Tonic, ein Abendessen und 100 Euro in Kneipen spielt und Journalistin) ad acta gelegt, um in genau dieser kleinen Mininische Gas zu geben (da mussten Sie jetzt bestimmt zweimal lesen, Mininische, oder?), und das funtionierte auch hervorragend. Bis zum Ende der Promotion war ich zu jedem Zeitpunkt recht weit vor der Welle, wenngleich es weltweit nur vielleicht 20 Menschen gab, die das interessiert hat. Hat aber gereicht. Das berufliche Ziel hatte ich vermutlich etwa 2001 definiert, Professorin wollte ich werden. 2008, nach der Rückkehr aus dem Silicon Valley, gab es eine konkurrierende Idee, nämlich einfach das machen, was etwa 80% meiner Doktorandenbuddies machten: Einfach dort von den üblichen Verdächtigen morgens im Shuttlebus mit WLAN (das war damals State of the Art), verdunkelten Scheiben und einem Kühlschrank mit Naked Juices an Bord irgendwo in San Francisco abholen und nach Mountain View oder so kutschieren lassen, dort ein paar Stunden in Turnschuhen (besaß ich damals gar nicht, nur Pumps und Stiefel) am Kicker mit den Kollegen plauschen und insgesamt einfach nur unglaublich reich und cool und erfolgreich sein. Das Angebot kam sogar, gleich drei Mal von drei Stellen, und wie das Leben so spielt, habe ich damals gefühlt folgerichtig entschieden, das nicht zu machen. Den Grund kennen Sie unter dem Pseudonym „Herr H.“, und der hätte kein Arbeitsvisum erhalten ohne Sponsor und hätte somit als „Spouse“ auf meinem J1 Visum mitkommen müssen. Dreimal in Folge hat er sich erst dafür, dann kurz vor Vertragsunterzeichnung dagegen entschieden. Er war zwar beruflich nicht sehr ambitioniert, wollte aber was Eigenes, und das Jodeldiplom war nicht genug. Ich habe mich dreimal sehr schwer getan, die Entscheidung zu akzeptieren, habe es aber dreimal verstanden und ging dann folgerichtig irgendwann einfach ein Jahr in Elternzeit.

In den letzten 10 Jahren habe ich – sowohl in der Wissenschaft als auch in der Wirtschaft – zig Männer kennengelernt, die an meiner Stelle waren. Hoch ausgebildet, international unterwegs, umworben und ganz gut bezahlt. Ich habe nicht einen einzigen getroffen, der traurig sagte „leider ist meine Frau nicht mitgekommen“. Gut, vielleicht sind auch viele nicht gegangen. Aber ganz ganz viele gehen doch, und die Frau geht mit, denn das ist das System. Der Mann geht nicht mit, und statt der hochdotierten Stelle im Silicon Valley, mit der ich Mann, Frau und eine Fußballmannschaft hätte ernähren können, zog ich halt zurück nach Deutschland und machte ein Jahr Elternzeit. Windeln, Waschen, Backwahn, Sie waren dabei. Lustigerweise war zu jedem Zeitpunkt klar, dass ich für den Job viel weniger prädestiniert war als mein Mann, wenn man genau hinhört, hört man mich noch traurig lachen.

Nun war es aber zum Glück so, dass ich in den Jahren vor der Schwangerschaft genug in Vorleistung gegangen war, dass das eigentliche Berufsziel – Professor – dann doch nach dem Jahr Elternzeit wieder möglich wurde, und so zog ich bei Familie N. ein. Eventuell habe ich mir an der Stelle wieder ein Stück „ich“ zurückerarbeitet, aber die Reaktionen im privaten wie beruflichen Umfeld auf die Entscheidung, den Einjährigen drei Tage die Woche alleine in der Obhut seines Vaters zu lassen („Kann der das denn?“ – „Keine Ahnung, das sehen wir, wenn das Baby überlebt.“) und sich einfach irgendwo anders in Deutschland im Büro zu verlustieren, hat exakt nirgendwo Anklang gefunden. Außer bei Familie N. Fun Fact: Die Interpretation, dass der Mann einem gut bei den haushaltlichen Pflichten hilft, greift *sogar* dann, wenn man selber gar nicht in dem Haushalt wohnt. Verrückt, oder?

Was dann passierte, war vermutlich dem Kriterium „Rastlosigkeit“ geschuldet. Ich beobachte an mir seit vielen Jahren, dass ich bei Erreichung eines Ziels dieses dann spontan einfach umdefiniere, um einem neuen Ziel hinterherhecheln zu können. It’s not the having, it’s the getting, sagt der Ami, ich denke, ich bin dafür ein gutes Beispiel. Da die Stelle nur eine Vertretung war, von der klar war, dass ich irgendwann wieder weg muss (wobei… die Notwendigkeit bestand drei Jahre nicht, und wahrscheinlich hätten 10 weitere noch funktioniert), habe ich mich brav beworben und scheiterte drei Jahre lang in Berufungsverfahren entweder an schlechter qualifizierten Männern (und ja, wir brauchen das nicht zu diskutieren, es ist sehr einfach zu bestimmen, welche wissenschaftliche Qualifikation sticht) oder an dem Unwillen des Mannes, umzuziehen, da er wirklich nur in Essen Sachbearbeiter sein wollte, keineswegs in Saarbrücken. Und gleich wenn mein Mantra ja ist, dass man nie mit gefällten Entscheidungen hadern darf, war die Entscheidung, 2008 nicht final nach Mountain View zu gehen genauso falsch wie die, 2012 leider zu müde zum Pendeln und zu gebunden zum Umziehen zu sein. Einfach falsch. Aber gut. Also warf ich 2014 die Wissenschaft hin (nachdem ich final doch noch angekommen war und dann einfach die Stelle dank Mithilfe von Frau N. nicht antrat). Und wechselte in die Wirtschaft.

Das war erst mal sehr spannend. Keine Frage. Ich hatte zwar in der theoretischen Wissenschaft sehr viel Wissen erarbeitet, aber ja ausschließlich zu Themen, die es in der echten Welt überhaupt gar nicht gibt. Oder hat Sie schon mal jemand nach der formallogischen Analyse von „die Oma um die Ecke bringen“ gefragt? Nein. Richtig. Und auch die Frage, wie viele Wörter für Schnee die Eskimos haben, verliert stark an Relevanz, sobald man in die Unternehmensberatung wechselt. Also konnte ich dort sehr gut testen, was man mit Denken alles machen kann, und auch das klappte gut. Aufstieg ging schnell, bis in den Vorstand. Und warum ich da nicht mehr bin, erzähle ich morgen.

BÄÄÄÄM!
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