Meet me in 2001

Heute habe ich neue Bettwäsche in Empfang genommen, war furchtbar glücklich, wusch sie, hängte sie auf und machte ein Foto von ihr, um auf Twitter damit anzugeben. Als ich das Foto vorher kurz ansah, um auf eventuell versehentlich mit aufgenommene kompromittierende Inhalte zu überprüfen, entdeckte ich einen vergessenen Weihnachtsmann weit oberhalb meiner normalen Sichtachse, das fand ich lustig, und so twitterte ich das Foto, und dann passierte das, was immer passiert, wenn ich diesen Teil der Wohnung fotografiere: Menschen erkundigten sich nach dem Saugroboter, ich erklärte, dass es sich um das Schlafzimmer meiner Eltern handele. Aber beginnen wir mit dem Bild, dann kommt die Hintergrundgeschichte:

Meine Eltern heirateten 1974, zu dem Zeitpunkt war mein Vater quasi eine Art gescheiterter Künstler, der nach Hobbymaler und Musikstudent entschlossen hatte, sich doch besser für die Zukunft mit einem ordentlichen Beruf abzusichern, also begab er sich in das architektonische Gewerbe, und wie das so ist, trug er ab dem Moment zeitlebens nur noch schwarze Rollkragenpullover und legte größten Wert auf Inneneinrichtung. 1974 gab es jedoch noch eine kleine Lücke zwischen Bankkonto und Einrichtungswunsch, also hatten meine Eltern für die erste eigene Wohnung für verschiedene Bereiche Budgets zusammengespart, darunter einen Budget-Topf von 1000 Mark für Schlafzimmermöbel. Ich kürze ab: Meine Eltern gingen in ein Möbelhaus, dann kann sich niemand erinnern, was genau passierte, und dann kauften sie zwei Matratzen und einen Weltron 2007. Die nächsten 45 Jahre wird dieser Plattenspieler nur noch „das Schlafzimmer“ genannt werden.

Als ich klein war, stand das Schlafzimmer im Wohnzimmer. Unter der Panton Bogenlampe, die heute in meinem Wohnzimmer steht, neben dem Modulsofa, das ich bestmöglich versucht habe, nachzubauen. Ich erinnere mich an viele Jahre, es kam Besuch, man hörte Musik, mein Vater rauchte – er hatte mit meiner Geburt aufgehört, sehr fortschrittlich für 1976, rauchte aber noch, wenn andere Männer zur „Jam Session“ oder zum Skat kamen – ich musste irgendwann in den Frotteeschlafanzug wechseln und ins Bett, was dann passierte, weiß ich natürlich nicht.

Irgendwann, es war etwa Ende der 80er Jahre, bauten meine Eltern eine Bar im Keller, wie man das damals so hatte, mit englischen Bierdeckeln und zwei echten Theken, und das Schlafzimmer zog in den Keller, da im Wohnzimmer eine topmoderne Stereoanlage einzog. Mitte der 90er hatte meine Mutter eine Phase, in der sie alles überflüssige auf den Speicher stellte, und gegen jeden Menschenverstand zog auch das Schlafzimmer mit auf den Speicher, zu mehreren zwischengelagerten Küchen, Kinderzimmern und überhaupt allem, was meine Eltern jemals besessen hatten.

1995 zog ich zuhause aus, und ich fragte meinen Vater, ob ich das Schlafzimmer mitnehmen dürfte, und die Antwort war recht einfach: „Nur über meine Leiche“. 2002 machte ich dann Examen, das Schlafzimmer stand noch immer auf dem Speicher, und da war ich einmal klug. Ich verhandelte mit meinem Vater im Vorfeld, wie so ein Examen honoriert wird, und die Abmachung war: Bei 1,0 glatt hast du einen Wunsch frei. Egal welchen. Ich lieferte, mein Vater guckte schon mal, welche Kapitallebensversicherung oder was man so früher hatte, er noch auflösen könnte, ich war allerdings listig und sagte: „Ich nehme das Schlafzimmer mit.“

Und seitdem steht es bei mir. 2005 war ich im MOMA in New York und stellte erfreut fest, dass es dort auch stand, und das hat mich in den Jahren der Armut im akademischen Mittelbau immer ein bisschen beruhigt. Wenn alle Stricke rissen, könnte ich immer noch das Schlafzimmer verkaufen, dann hätte ich ein paar Wochen Essen. Mit dem Laufenlernen des Kindes ging es in Sicherheitsverwahrung, dann kam noch ein trotteliger Hund, und jetzt steht es auf dem Schrank, dem Erbstück, das Herr H mit in den Haushalt eingebracht hat, neben der Colanilampe, die ich dazukaufte, weil ich Colanilampen sammele. Und so ist die Geschichte von meinem Saugroboter. Dem Schlafzimmer.

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