I told you so (again)

Puh, Precht bringt wirklich die unangenehmste meiner Seiten zum Vorschein: Schadenfreude verbunden mit Überheblichkeit verbunden mit I told you so. Dennoch konnte ich mir heute morgen nicht verkneifen, etwas sehr Lästerliches zu twittern, hatte meine Podcastapp mir doch ungefragt die neue Folge von Lanz und Precht serviert, ich hörte ein bisschen zu (wie Unfall, inzwischen ist es wie Unfall), wie Precht erklärte, dass die ganze Corona Thematik einfach insgesamt viel zu komplex ist und dass das keiner mehr verstehen kann (Veto: Doch), und dann wollte er vermutlich demonstrieren, dass sogar er als großer Philosoph, der immerhin alle griechischen Buchstaben kennt, daran scheitert, und dann wollte er auf Griechisch buchstabieren, sortierte Buchstabenabfolgen falsch (PHI Chi Psi), erfand neue Buchstaben (Sigmata oder Sigma und Ta, ich bin mir nicht ganz sicher), und dann hatte ich dieses unangenehme Gefühl von Schadenfreude verbunden mit Überheblichkeit verbunden mit I told you so und nahm fix auf, was ich 1990 in der Schule gelernt habe.

Nein nein, verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich Menschen nur dann klug finde, wenn sie in der Lage sind, sich 24 Buchstaben in der richtigen Reihenfolge zu merken. Das kann jede*r. Ich möchte aber appellieren (das ist jetzt ja neu, wir appellieren dauernd), dass wir eine Unterscheidung zwischen dem Gebrauch von vielen komplizierten Wörtern und klugem Inhalt machen, das – Obacht, kluges Wort – korreliert nämlich nicht. Nun kann ich also noch ein wenig mein I told you so Gefühl auskosten, da ich ja neulich schon mal leichte Kritik an der Philosopheninszenierung in diesem Land geübt hatte. Einmal vor der Welle, Sie werden verstehen, dass das ein gutes Gefühl ist. Dann kam so ein unsägliches Gespräch im Fernsehen, das ich jetzt mal nicht verlinke, da ich nicht denke, dass das einer Empfehlung entspricht, die ich aussprechen möchte (zwei Priviligierte diskutieren, dass weniger Priviligierte mal nicht so empfindlich sein sollen, also eine konsequente Verlängerung eines von Prechts Podcasts, in dem mir vor Wochen schon mal sehr sauer aufgestoßen ist, dass ihn so Sache wie Gendern und Indianerhäuptling und Co nicht interessieren, er meint es ja nur gut, und dann sollen die Anderen sich mal nicht so anstellen, wie soll er sie denn sonst nennen, ohne sein persönliches Sprachgefühl zu verletzen??), das brachte dann eine gewisse mediale Aufmerksamkeit mit sich, zum Beispiel (leider hinter Bezahlschranke) hier oder so schön ungebremst hier oder, fast noch ungebremster hier, und damit ist jetzt hoffentlich die Entmystifizierung der großen deutschen Denker eingeleitet. Mal gucken, wie Lanz aus der Nummer wieder rauskommt, wenn Precht sich jetzt konstant weiter selbst entthront, das wäre ja sehr ungünstig, wenn man hinterher in die Geschichte eingeht als der Moderator, der sich von Deutschlands dümmsten Philosophen öffentlich die Welt erklären lässt. Und abschließend, denn ich plane nicht, mich noch weiter über dieses Thema zu echauffieren, machen ja inzwischen genug andere Leute mit, ich suche mir ein neues Hobby, sei gesagt: Wenn Herr Precht seine eigenen über die Folgen verteilten Thesen zur Komplexität der Pandemie, zur Masse der für ihn nicht mehr nachvollziehbaren Datensätze und zur Desinformationsdramatik durch mediale Gestalten mal konsequent zusammenführt und zuende denkt, dann kommt er hoffentlich zu dem Ergebnis, dass er besser mal nix mehr sagt. Es gibt nämlich eine ganze Menge von Menschen in Deutschland, die (zum Beispiel) die medizinische Situation auch in ihrer Komplexität sehr gut durchdringen, und die die Daten in ihrer Masse verstehen, zum Beispiel, weil sie sich den ganzen Tag damit beschäftigen, so wie er mit, naja, egal. Und vielleicht sollten einfach die mal einen Podcast machen. Oh wait.

Ich habe übrigens auch durchaus darüber nachgedacht, warum ich mich über Precht und Flaßpöhler so furchtbar echauffiere, ungeachtet der Tatsache, dass sie teilweise einfach widerlegbare falsche Dinge sagen, die in „der aktuellen Situation“ (2022 lasse ich die Gänsefüßchen weg. Nach fast 2 Jahren macht man sich ja nur noch lächerlich mit so Gänsefüßchen) sicherlich nicht hilfreich sind und die Lage eher verschärfen als glätten. Da ist noch ein anderer wunder Punkt getroffen, fürchte ich. Wie Sie wissen, habe ich ja etwas studiert, was alle können, nämlich Sprache, und wenn das alle können, können auch alle mitsprechen. Körper aufschneiden und Organe entfernen oder zur ISS fliegen und Experimente machen, jaaaa, das ist echte Wissenschaft, das ist ja auch voll schwierig, aber wenn sich eine Sprachwissenschaftlerin hinsetzt und mal 5 Gründe gibt, warum wir gar nicht mehr über das Gendern sprechen müssen, schwupps, kommen sofort 5 Jurastudenten vorm ersten Staatsexamen und sagen „Sie wissen ja gar nicht, wovon Sie sprechen“. Ääääh, doch. Und mit der Philosophie scheint es mir ähnlich zu sein. Denken kann man gut oder mittel, das ist Typsache, und wenn man gut ist, sich ein paar sehr schlaue Wörter und eine gute Frisur zulegt und dann wirklich viel Glück hat, schwupps, ist man Deutschlands Fernsehphilosoph. Und das schmerzt, insbesondere in den Ohren einer Person, die 12 Jahre lang die Frage nach dem Beruf beantwortete mit „Ich bin Sprachwissenschaftlerin“ und als Antwort bekam „oh, das finde ich auch interessant, ich spreche Englisch und Spanisch.“

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