Elke

So. Ich hab’s getan, ich war auf einem Zweiklang-Abend (Lesung und Klavier) mit Elke Heidenreich, der alten weißen Frau, und ihrem Lebensgefährten Marc Aurel Floros am Klavier. Sie las aus „Männer in Kamelhaarmänteln“, ihrem Buch über Kleidung und was diese für uns tut, und ich war äußerst gut unterhalten. Jawohl.

Eigentlich war ich ob des Buches ja beleidigt, zum dritten Mal in meinem Leben. Ich habe im Alter von sechs Jahren beschlossen, ein Buch zu schreiben. Soviel war klar. Nach einer nicht so kurzen Episode im Journalismus habe ich dann auch tatsächlich ein Buch geschrieben, das möchte aber außer 30 Leuten auf der Welt niemand lesen, wie das mit Doktorarbeiten in Nerdfächern so ist. Jetzt schreibe ich diesen Blog und belanglose Dinge auf Twitter, und der Plan, mal ein echtes Buch zu schreiben, ist vertagt. Vielleicht mit 70 auf der Chaiselongue.

Dummerweise ist es so, dass ich nämlich nichts wirklich zu sagen habe. Meine Memoiren wären vermutlich in Teilen nicht uninteressant, ich finde mein Leben bislang höchst spannend und an vielen Stellen auch mit unvorhergesehenen Brüchen gespickt, da ich aber vollkommen irrelevant bin, kommt der Punkt, an dem ich meine Memoiren schreibe, eher nicht mehr. All das in einem Roman zu verarbeiten, ist mir deutlich zu anstrengend, ich vermute auch, dass jeder Verlag ihn wegen völliger Absurdität und überfrachteter Handlungsstränge ablehnen würde. Über Themen möchte ich nichts schreiben. In einem hochtheoretischen Gebiet werde ich manchmal gefragt, Aufsätze in Branchenmedien beizutragen, und das fühlt sich jedes Mal an wie Doktorarbeit. Ich bewundere ja immer die Leute, die Dr. Dr. Selbstgeschrieben sind, also nicht einen gemacht, einen h.c. Ich hätte niemals freiwillig eine zweite Doktorarbeit schreiben wollen, dieser Wunsch ist mir sehr fremd. Ich möchte nette Sachen schreiben, am besten auf Gebieten, in denen ich eine Meinung habe, und da ist aber leider auch schon alles, was ich hätte schreiben wollen, erledigt.

In jungen Jahren habe ich wöchentlich eine Glosse für eine große Tageszeitung geschrieben, da der Chefredakteur befand, ich hätte eine flotte Schreibe. Ich habe da einfach irgendwelche Alltagsbeobachtungen in kleine Texte gepresst, wenn ich die heute lesen, bin ich mal erheitert, mal peinlich berührt, zu viele Adjektive. Aber man wird ja klüger. Als ich dann den ersten Kolumnenband von Max Goldt las, war ich beleidigt. Ich glaube, es war „Mind Boggling – Evening Post“. Ich weiß es nicht mehr genau. Ich habe dann sehr schnell alles gelesen, und mit jedem Band rückte meine Idee, ein Buch mit kurzen Texten über Alltagsbeobachtungen zu schreiben, in weitere Ferne, es war alles gesagt. Teilweise sogar in den genau gleichen Worten, das Wort „Klofußumpuschelung“ habe ich schon benutzt, bevor Max Goldt es aufschrieb, und wie so oft im Leben, liebe ich ihn dafür, dass er so toll ist, wenngleich das dazu führt, dass ich einfach weniger toll bin, ich kann das Wort Klofußumpuschelung ja nur noch zitieren. Chapeau.

Dann hatte ich die nächste Idee. Ich habe zu einer Reihe von Liedern eine nahezu körperliche Beziehung, jede davon hat eine eigene, teils komplexe Geschichte. An eine wurde ich gestern kurz erinnert, ich habe sie aber schon öfter hier erwähnt, und sie war Auslöser für die Idee, sie entstand 2001. Da guckte ich nämlich das Tribute to Heroes Konzert in New York, Ende September, es war sehr ergreifend, ich war sehr ergriffen. Ich weiß aus dem Stand keine Situation, die mich mehr ergriffen hat bislang, und ich erinnere mich, dass ich vollkommen überwältigt davon war, dass die Musiker*innen in all der Ergriffenheit überhaupt spielen konnten. Ich habe damals noch selber regelmäßig live Musik gemacht, und war mir nicht sicher, ob ich das hingekriegt hätte. Als Sheryl Crow – ich stehe nicht unter Verdacht, ein riesiger Sheryl Crow Fan zu sein – Safe and Sound sang, ganz alleine am Klavier mit ein paar Kerzen, musste ich mich in Münster am Fernseher übergeben, so sehr schlug mir das auf den Magen. Ich höre das Lied auch heute noch hin und wieder, und ich muss mich zwar nicht mehr übergeben, aber es macht viel in mir frei. Auch 20 Jahre später noch. Und da gibt es eine ganze Reihe von. Lieder, auf die ich völlig übertrieben reagiere. Das Sex Lied. Das Autobahn-Mitgröhl Lied. Das Tanzlied. Das Liebeskummerlied. Ich kann vollkommen glücklich verliebt sein, alles ist rosa, wenn ich dann Song for Whoever von The Beautiful South höre, bin ich sofort der herzgebrochenste Mensch der Welt. Es ist verrückt. All diese Lieder stammen übrigens aus der Zeit bis Ende des Studiums, danach habe ich nichts mehr dazugewonnen. (Kurzer Exkurs zu der heutigen Veranstaltung: Es gibt auch ein Lied, zu dem ich SOFORT laut singen möchte, am liebsten alleine, und das ist Putting on the Ritz, vielleicht das Lied auf der Welt, das ich am liebsten singe, das wurde heute von Flores gespielt, und es kostete mich alle Kraft, nicht mitten im Saal aufzustehen und zu singen. Ich habe es aber geschafft.)

Kurz nach 9/11 wuchs also langsam die Idee, ein Buch über eine Auswahl von Liedern zu schreiben, und dann kam 2002 Nick Hornby mit 31 Songs, und ja, ich war *sehr* beleidigt. Das war das Buch, das ich geschrieben hätte, sicherlich mit 31 anderen Songs, wobei „Your love is the place where I come from“ von Teenage Fanclub schon wirklich sehr schön ist. Ich habe mich aber schnell damit abgefunden, da das Resultat Hornby so gut gelungen war, und ich benutzte es doch noch einmal, nämlich für eine Trennung durch Landwechsel. Als ich beschloss, Deutschland zu verlassen, ließ ich einen Mann zurück, und zum Abschied machte ich ihm ein Mixed Tape mit den meines Erachtens besten Stücken des Buches und dem von mir im Institutstonstudio eingelesenen Text. Ich habe keine Kopie davon. Ich Idiotin. (Wobei ich mir sicher bin, dass er es noch hat. Ich sehe ihn bald. Ich werde ihn um ein Exemplar bitten, das war viel Arbeit.)

Das dritte Thema, das ich mir noch hätte vorstellen können, ist Mode, beziehungsweise mein Verhältnis zu einzelnen Kleidungsstücken, und wie man so auf das Leben schaut, wenn all die Designer, die man wirklich gut findet, nur Dinge schneidern, wo man selber aufgrund von Comicbrüsten oder Nachkindpfunden niemals reinpassen würde. Und dann schrieb Elke Heidenreich dieses Buch, und ja, sie wissen schon. Beleidigt. Ich hatte es vor der Veranstaltung auch nicht gelesen, war aber so enthusiasmiert, dass ich es habe kaufen müssen. Und wieder dachte ich an vielen Stellen: Ja, so ist das. Sie erwähnte sogar zwei Dinge, die mich sehr abholten: Eine der Designerinnen, deren Kleidung ich wirklich, wirklich großartig finde, ist Jil Sander. Die entwirft wunderschöne Dinge für sehr große sehr androgyne Frauen. Nicht mich. In den Jahren, in denen ich (androgyn war ich nie) noch eine Chance gehabt hätte, reinzupassen, konnte ich mir die Sachen nicht leisten, und jetzt, naja, Themenwechsel. Sie beschrieb jedenfalls eine Szene, in der sie Jil Sander in einer Talkshow zu Gast hatte, und die brachte ihr einen Hosenanzug mit, extra für Heidenreich entworfen, Heidenreich zog den an, sah unmöglich darin aus, und Sander sagte: „Ziehen Sie den bitte wieder aus, das ist nix“ oder so ähnlich. Das wäre ich gewesen. Ich fand mich auch sehr wieder in der Geschichte von dem Kleid, das sie nur kaufte, weil es so wunderschön war, ohne jede Chance, jemals da reinzupassen. Ist mir nicht unbekannt. Laut gelacht habe ich bei der Geschichte Onkidonki, wo ihre Freundin den Kleiderschrank ihres Mannes nach der Marie Kondo Methode aufräumt. Nicht alles sparkte joy, insbesondere nicht bei ihrem Mann, der anschließend keine Kleidung mehr hatte. Ich hätte dieses Buch gerne geschrieben, zu spät.

Unerwartet erstaunt war ich, als sie eine Szene las, in der eine Frau einen Mann im Cafe verführen möchte, auf die Toilette geht und sich mit meinem Parfum einsprüht. Ja, sie hören richtig. Allerdings nicht das eine, sondern das andere. Ich habe ja zwei Nischendüfte, die kein Schwein kennt und man auch nirgendwo kriegt, und das zweite, das ich eigentlich eher im romantischen Kontext verorte, trug ich heute, da mir auffiel, dass ich immer nur das aus der florentinischen Apotheke trage und das andere vermutlich irgendwann kippt und wie Tosca riecht. Also trug ich das heute, und bääääm, erwähnt Heidenreich das auf der Bühne. Nach der Lesung gab es noch eine kleine Schmusestunde im Foyer, ich ließ ein Buch signieren und erwähnte, dass ich zufällig das Parfum trage. „Wo auch sonst, wenn nicht in Düsseldorf, sitzt tatsächlich jemand im Publikum, der das trägt“, war die leicht schmerzende, aber sehr lustig gemeinte Antwort, und dann plauderten wir über das Parfum. Sie hatte es ihrer Freundin zum Geburtstag geschenkt, fand es für 50 ml eher war für einen runden Geburtstag, wollte dann an mir riechen, tat das und fand es fantastisch. Jawohl. (Übrigens auch Patchouli, muss man mögen. Elke mag’s.) Ich revanchierte mich für den unterhaltsamen Abend dann damit, dass ich vorführte, wie man es auftragen muss, um nicht nach Puff zu riechen (ich habe das schon mal beschrieben, ich wurde einst instruiert in der kleinen Parfumerie, die das verkauft, und zwar vom 200 Jahre alten Inhaber persönlich: Man duscht duftfrei (ich dusche mit Patchouliseife, das geht auch), danach stellt man sich nackt ins Bad, sprüht zweimal senkrecht nach oben in die Luft und bewegt sich dann in der nach unten fallende Wolke expressiv). Ich tanzte das vor, wir lachten, ich bedankte mich, sie bedankte sich, und dann war der Abend um. Wir haben nicht über Gendern oder Sarah Lee-Heinrich gesprochen. Aus allen Gründen.

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