Kevin

Die Frau Mama hat heute den letzten großen Schritt raus aus ihrem alten Leben vollzogen und war bei unserem Hausarzt, der direkt gegenüber von mir und damit schräg gegenüber von ihr ist. Und wie das so ist, wenn man mit 81 zum Arzt geht, kommt man voll durchimmunisiert wieder raus. COVID, Grippe, meine Mutter wird uns alle überleben. Ich finde das sehr beruhigend, wo doch meine All Time Lieblingspolitikerin heute die Maskenpflicht aufgehoben hat. In meinem neuen, rein spaßbasierten Leben rege ich mich darüber natürlich nicht auf, sondern freue mich einfach, dass das vulnerabelste Mitglied meiner Familie soweit erst mal gerettet ist, und bis ich beginne, mir über das zweitvulnerabelste Mitglied, das Schulkind selbst, wieder Sorgen zu machen, ist bestimmt sowieso wieder irgendetwas geändert.

Ansonsten warte ich mehr oder weniger gespannt auf die Ergebnisse der Ampelkoalitionsverhandlungen, wobei mein Wille, mich nicht mehr aufzuregen, soeben noch ausreicht, nicht jeden Satz von Leuten, die es einen Verrat an der Demokratie finden, dass jetzt nicht mehr aus geschlossenen Sitzungen rausgetwittert wird, auf die Goldwaage zu legen. Ich habe in meinem Leben durchaus auch schon mal das ein oder andere verhandelt, auch mit eitlen Kontrahent*innen, und ich wüsste nicht, wie das dem Volk oder den Verhandlungspartnern in irgendeiner Form nutzen sollte, wenn in der Bildzeitung regelmäßig der Score berichtet wird, wer gerade womit wieder gescheitert ist. Ich denke übrigens nicht, dass man sich wundern sollte, dass nur die ganz großen Irren und aus Versehen Angela Merkel überhaupt oben ankommen, wenn unsere „Leitmedien“ an nichts mehr Spaß haben, als Funktionsträger vorzuführen. Was mich zu Markus Lanz führt, wo ich ja niemals hinwollte. Ich sage jetzt etwas Unpopuläres: Dem ist sein Job über den Kopf gewachsen, passiert den Besten. Es ist schon Tage her, Wochen vielleicht, aber das Interview mit Kevin Kühnert, das man bestimmt noch in der Mediathek findet, nein, das war ganz kleines Tennis. Ich weiß auch gar nicht, wie die Leute auf die verrückte Idee kommen, dass sie es mit ihrer genialen und nicht besonders subtilen Interviewtaktik schaffen könnten, dass ein Berufspolitiker sich vor laufender Kamera hinsetzt und sagt: „Nein, der Olaf ist ganz fürchterlich, das ist das Ende der SPD, ach, was rede ich, das Ende Deutschlands. Europas. Welt.“ Das sagt niemand. Das sind Profis. Und die haben Profis, die mit ihnen die Storyline üben, oder, das neu gelernte Lanzwort: das Narrativ. Zwinkersmiley. Und selbst wenn es alle 100 Jahre mal vorkommt, dass jemand etwas sagt, was nicht hätte gesagt werden sollen, dann war das, wie im Falle Klimaministerium bei Lindner oder dem kurzen Aussetzer von Merkel bei Will, vermutlich so geplant. Oder man hat halt Glück gehabt. Aber will man seine Fernsehkarriere wirklich auf Glück basieren, wenn die Alternative, nämlich „normal“ so aussieht, dass man 8 Anläufe braucht, um das rauszuholen, was man hören möchte (wobei alle, inklusive Interviewopfer, spätestens beim zweiten Anlauf wissen, was jetzt auf absolut keinen Fall mehr gesagt werden kann), um DANN, und das war wirklich schmerzhaft anzusehen, als letzte Karte zu fragen: „Also ist Olaf Scholz der allerbeste Kanzlerkandidat, den Sie sich vorstellen können?“ Ich kenne diese Situation im Gespräch. Das ist der Punkt, an dem man weiß, dass man gewonnen hat, danach kommt nix mehr. Wenn ich Kühnert gewesen wäre, hätte ich Lanz die Ghettofaust angeboten. Good game, good game. Und weil ich, wie Sie sich das sicher vorstellen können, wenn Sie hier aufmerksam lesen, von dem Linksrutsch noch nicht vollumfänglich überzeugt bin und mir denke, ein bisschen was ginge da sicher noch, möchte ich ein Video meiner Fastlieblingsband teilen, nämlich Pigor singt, Eichhorn muss begleiten und der Ulf. Das Lied kennt 2029 jeder.

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