02.12.2024

Ich hätte ja gedacht, dass wir alle thematisch bereits weitergezogen wären, aber nein, die FDP bietet uns die einmalige Chance – nein, nicht einmalig, das Gefühl war im US-Wahlkampf ja sehr ähnlich – jede Form des Voyeurismus auszuleben und uns den Unfall einfach in Echtzeit mit anzusehen.

Lindner ist noch immer Parteichef der FDP, vermutlich alternativlos, andererseits auch eine wirklich interessante Entscheidung. Ich hätte ja gedacht, dass vielleicht noch eine mögliche Variante (wenn auch keine gute) wäre, dass man guckt, ob die möglichst kleinlaute Geschichte, die man versucht, zu erzählen, irgendwo Gehör findet – also irgendwo anders als bei Ulf Poschardt – und wenn nicht, na gut, dann hatte man seinen Hail Mary Shot, und dann kann man ja immer noch gehen. So etwas hätte vermutlich niemand klug gefunden, aber mit Höchstsatz Elterngeld könnte man immerhin noch Kangoo fahren, ich kann mitreden.

Aber so war es nicht. Lindner bleibt bei seiner Geschichte, pampt alle Gesprächspartner:innen inklusive Publikum an (haben Sie denn irgendwo den kleinen Ausschnitt gesehen, wo er im 1:1 mit Miosga redet und redet und im Publikum die Frau sitzt, die hektisch so eine Halsabschneidegeste macht, vermutlich in der Hoffnung, dass er sie sieht, mir schien, er sollte besser schnell das Thema wechseln, ich fand’s sehr lustig. Das hätte man auch eleganter lösen können, ist ja Erkältungszeit, zwei Huster heißt „Nicht weiterreden!“), ist abwechselnd leidend und aggressiv, und wirkt dabei so hilflos, dass man ihn fast in den Arm nehmen möchte, wäre er nicht direkt wieder so schrecklich unsympathisch, dass jede Form des Mitleids sofort wieder abebbt. Besonders amüsierte mich der Vorwurf, dass Caren Miosga ihm bösere Fragen gestellt habe als Robert Habeck. Der Vorwurf ist in seiner Blase auch sehr gut angekommen, da kann man sich gut mit identifizieren. Aber ich sag’s mal so. Wenn aus irgend einem irrigen Grund Caren Miosga mich morgen einladen würde, dann könnte sie mich bestimmt auch nach meinen Hausschuhen fragen, oder vielleicht nach dem Hund, Sie verstehen, wo ich hin will. Würde sie Putin in der Woche danach einladen, und ja, das Beispiel ist stark überspitzt, dann wären die Fragen eventuell auch etwas fordernder. Man kriegt halt genau die Fragen, die in die eigene Situation gut passen, und die Situation von Lindner ist gar nicht so gut, wie er versucht, zu erzählen.

Erstaunlicherweise haben die sehr wenigen FDPler, die momentan irgendwo sprechen dürfen (also zum Beispiel nicht Stark-Watzinger, die schon in dem ersten ZEIT-Bericht genannt wurde als Teil der Eingeweihten, also eben die, die entweder die Wahrheit sagen oder lügen müssten, würden sie jetzt befragt, und beides wäre schlecht) auch gar keinen Plan B für den Fall, dass sie mit der allgemein vereinbarten Lesart – wir haben den Deutschen gegenüber eine Verantwortung und wir konnten es nicht mehr länger mit unserem staatstragenden Gewissen vereinbaren, mit den inkompetenten Ampelpartnern das arme Land in den Abgrund zu reiten, nicht durchdringen. Achten Sie mal drauf. Die Botschaft ist immer: Wir wollten Deutschland retten. Und wenn dann wieder und wieder nachgefragt wird, warum man nicht einfach in einem normalen Prozess aus der Ampel ausgestiegen ist, dann kommt irgendwann „Aber das sind doch nicht die Probleme, die wir hier in Deutschland haben, wir müssen jetzt nach vorne gucken, lassen Sie uns über Inhalte sprechen“, und das ist natürlich im Prinzip eine schöne Lösung, nur wird das sicherlich nicht für immer funktionieren, dass man allen Journalist:innen die ganze Zeit erklärt, dass sie ja völlig unwichtige Fragen stellen. Ganz sympathisch auch die Form der Übernahme von Verantwortung, da gibt es verschiedene Varianten: Djir-Sarai übernimmt Verantwortung, weil er gänzlich ohne es zu wissen etwas Falsches gesagt hat (gelogen), Christian Lindner übernimmt einfach die „Gesamtverantwortung“, weil er leider für das Papier oder die Metaphorik ja keine übernehmen kann, da hat er ja nichts mit zu tun, daher zack, Gesamtverantwortung, die so aussieht, dass er sagt, dass er Verantwortung übernimmt. Ich kann ja nicht schon wieder mit meinem Kind argumentieren, aber bei kleinen Kindern gibt es manchmal den Moment, an dem sie verstanden haben, dass man hinterher „Entschuldigung“ sagt, und damit ist alles wieder gut, was man vorher gemacht hat. Teil des Großwerdens ist dann, dass man lernt, dass die Entschuldigung mit irgendwas einhergehen sollte, bestenfalls der Einsicht, dass man das zukünftig nicht mehr macht. Verantwortung übernehmen dafür, dass die Praktikanten im Hause leider sehr schlecht gearbeitet haben, zeigt ähnlich wenig menschliche Größe wie Entschuldigung sagen, dass man Benny jetzt zum 10. Mal das Schüppchen über den Kopf gezogen hat.

Ich finde übrigens auch, dass derzeit die falschen Themen besprochen werden. Klar, D-Day ist schlecht, Kriegsmetaphorik braucht kein Mensch, und ja, ich fiebere natürlich auch gerne mit, wann die nächste Bombe platzt, aber warum wird eigentlich nicht viel mehr darüber gesprochen, dass offensichtlich eine Partei in Regierungsverantwortung mindestens über Monate absichtlich Dinge verhindert hat, die das Land nach vorne hätten bringen können, um maximalen Schaden an den anderen Regierungsparteien zu verursachen? Ist das nicht vielleicht die eigentliche Frage? Müsste nicht auch einmal besprochen werden, was die FDP in den letzten drei Jahren alles verhindert hat und wie groß der dadurch entstandene Schaden ist? Am echten und am politischen Kapital? Also das fände ich viel interessanter, eine Aufarbeitung der Tragweite der Sabotage, das wäre für die FDP aber weniger praktisch als eine absurde Debatte über „er wusste es“ – „nein, tat er nicht“.

Und wir wissen doch, dass er es wusste, und wer noch irgendwo einen kleinen Restzweifel hat, dem empfehle ich das Nachhören vom ZEIT-Podcast „Was jetzt?“ vom 1. Dezember, spätestens dann wissen Sie, wo die Reise hingeht. In der Folge spricht nämlich erstmals Robert Pausch, der Autor, der mit dem einen und dem anderen Artikel in der ZEIT den Stein ins Rollen gebracht hat. Also der Mann, der weiß, wer seine Quellen sind, ach, wie gerne wir alle das wüssten. Sehr selbstbewusst und ohne jedes Zögern berichtet Pausch jedenfalls, dass seine Quellen einhellig schildern, dass das besagte D-Day-Papier von Lindner selbst in Auftrag gegeben wurde. Und dann möchte ich noch einen Absatz zitieren, er ist beeindruckend:

„Ich glaube, Glaubwürdigkeit ist tatsächlich das entscheidende Stichwort, weil ich es wirklich bemerkenswert finde, und man muss es so hart formulieren, wie systematisch die FDP in den letzten Wochen und Monaten gelogen hat. Und mit ‚lügen‘ meine ich tatsächlich ‚lügen‘, das ist etwas anderes, als ein bisschen taktisch das Unwahre zu behaupten. […] Aber hier wurde gelogen. Zum Beispiel von Christian Lindner selbst, der…“ und dann kommen Lügen, aber hören Sie bitte selbst. „Das ist schon wirklich bemerkenswert und in den letzten Jahren in der deutschen Politik einmalig.“

Und jetzt können wir natürlich alle sagen, dass der Mann vielleicht selber lügt oder einfach nur ein Irrer ist, aber wenn ich die Person wäre, die – ich zitiere aus dem ersten Artikel – mit gut einem Dutzend Eingeweihter, die auch die notwendigen Dokumente zur Verfügung stellen, bewaffnet ist, dann würde ich mich nicht scheuen, diesen Vorwurf in dieser Deutlichkeit und gerichtsfest belegbar zu formulieren, und dann würde ich auch viel besser schlafen als Christian Lindner. Der tut derweil so, als habe er davon Kenntnis, oder, wie man früher sagte: Vielleicht ist es ihm nicht erinnerlich.

Der Fisch ist jedenfalls noch nicht gegessen, ich freue mich auf die nächste Runde.

8 Gedanken zu „02.12.2024“

  1. „… dass offensichtlich eine Partei in Regierungsverantwortung mindestens über Monate absichtlich Dinge verhindert hat, die das Land nach vorne hätten bringen können, um maximalen Schaden an den anderen Regierungsparteien zu verursachen? Ist das nicht vielleicht die eigentliche Frage?“

    Ja, natürlich ist sie das – so bescheuert auch all das drumherum mit D-Day-Rhetorik und verunglückten Pyramiden ist!
    Manchmal fürchte ich, dass da schon wieder eine Lindner-Ablenkungsstrategie verfängt.

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    • Ja genau, und es ist so ärgerlich, dass er mit seinen immer gleichen Nebelkerzen-Floskeln durchkommt. Und noch schlimmer: Einige seiner Parteikollegen haben denselben Jargon.

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  2. Man darf bei Lindner nicht vergessen, dass er nie gearbeitet hat. Er ist Berufspolitiker seit jeher und den Job macht er schlecht. Er hat nie gelernt, was gute Arbeit ist. Das meine ich völlig frei von Sarkasmus.

    Miosga fragt böser, weil der kleine Robert sich eben im Außenbereich bei Spielen besser verhalten hat, als der kleine Christian. Verursacherprinzip und so, lernt man bestenfalls, aber halt nicht als FDP-Berufspolitiker.
    Das eigentliche Problem ist doch das hier: „Der Vorwurf ist in seiner Blase auch sehr gut angekommen (…)“. Die „ungerecht“-Kindergartenkommunikation wirkt in der Zielgruppe, qua Mangel an Sozialisation.
    Dezenz ist Schwäche, gelle? Mal gucken, wie viele Prozent der Bundesbürger das wählen wollen.

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