29.11.2024

Let’s talk shop. Ich spreche ja selten über meinen Beruf, aber ich möchte es so formulieren: Ich mache PowerPoint Folien, auf denen steht, was man sagen sollte, in welcher Reihenfolge, und wann. Das ist quasi das Endprodukt, davor gibt es in der Regel eine sehr große Anzahl von anderen PowerPoint-Folien und Excel-Tabellen, in denen sich die gedankliche Herleitung dessen findet, was am Ende auf der einen kondensierten PowerPoint-Folie steht, die dann vielleicht exekutiert wird, um auch mal in so einen martialischen Slang zu verfallen. In der Regel beschäftigt sich der Foliensatz in meinem Fall mit politischen Themen, gerne auch mal mit etwas schwieriger gelagerten.

Lustig ist, dass ich bis dato meiner Familie und vielen anderen Menschen nicht gut vermitteln konnte, was ich so den ganzen Tag mache und warum ich ständig so langweilige Sachen in faktisch allen Zeitungen lesen muss. Diejenigen unter Ihnen, die etwas eher Abseitiges beruflich machen, werden das kennen, vielleicht sind Sie ja auch so jemand, der auf goldenen Hochzeiten der entfernten Verwandtschaft einfach so etwas sagt wie „Ich bin Übersetzerin“. Dieses Problem werde ich in der Zukunft nicht mehr haben – ich kann einfach sagen: „Ich schreibe beruflich diese D-Day-Papiere, wie das von der FDP, nur in ganz anders.“

So, jetzt ist es raus. Und aus meiner sehr speziellen Perspektive möchte ich ein paar Dinge zur Diskussion hinzufügen, ich bin nämlich wirklich etwas beleidigt. Mein Job wird hier in den Dreck gezogen, es ist nämlich im Prinzip richtig und wichtig, dass man sich in exponierter Position vorab überlegt, welche Handlung bei wem wie ankommt, was besten- und schlechtestenfalls passieren kann, und wie man seinen Punkt am besten darstellt, damit so wenig wie möglich verbrannte Erde entsteht. Ich bin aber auch in der glücklichen Situation, dass ich nur machen muss, was ich machen will, nachdem es durch meinen persönlichen Ethikfilter gelaufen ist. Aber zur Sache.

  1. Aus langer Berufserfahrung kann ich sagen: Tatsächlich wie eine Pyramide strukturiert ist die Gruppe der Menschen, die in einer Sondersituation in Überlegungen einbezogen sind. Kurz gesagt: Wenn es unwichtig ist und die Welt das wissen dürfte, dann sind auch Praktikant:innen mit im Verteiler. Wenn es um etwas kritische Dinge geht, wird die einbezogene Gruppe sehr schnell sehr schmal, und wenn es um so richtig heikle Dinge geht, dann spricht man gerne nur noch mit einer Person. Oder zwei. Oder vielleicht vier, von denen aber absolut gesichert ist, dass die mit keiner Zeitung über das Thema sprechen werden. Ich habe in der Vergangenheit Aufträge gehabt, für die ich ein anderes Büro beziehen musste und ein Ministerium kontrollierte, ob meine Tür abschließbar ist. Oder Jobs, bei denen ich eine von zwei Menschen in einem großen Unternehmen war, die über die benötigte Security Clearance verfügte, sodass mein eigenes Team nicht wusste, woran es gerade arbeitet. Ja, das gibt es, und in einer professionellen Welt funktioniert das erstaunlich gut.
  2. Wenn in einem solchen Kontext Dokumente angefertigt werden, und wir stellen uns jetzt einmal vor, dass wir uns in der Pyramide irgendwo oben befinden, dann sind diese zu jedem Zeitpunkt passwortgeschützt, bevor sie verschickt oder abgelegt werden. Das Passwort wird den anderen ein oder zwei Menschen auf einem anderen Wege mitgeteilt, und wenn es gut läuft, wird es nicht auch irgendwo mit abgelegt. So kann man recht gut gewährleisten, dass Informationen, die nicht in fremde Hände gelangen sollen, dies auch nicht tun, und wenn doch, dann ist die Gruppe derer, die die Information hätten durchstechen können, deckungsgleich mit der Gruppe derer, die keinesfalls Interesse daran haben, dass die Information durchgestochen wird. In einem professionellen Setup habe ich bislang noch nicht erlebt, dass das schiefgeht (wenngleich ein einziges Mal fast ich das Leak gewesen wäre, aber ich lerne gut aus Fehlern).
  3. Nie, wirklich nie, sind in solche Prozesse untere Arbeitsebenen eingebunden, und schon gar nicht ausschließlich. Wenn ich mir die Berichterstattung ansehe, scheint die Geschichte, dass die Führungsgremien der FDP von dem sogenannten D-Day-Papier nichts gewusst haben wollen, nicht gut zu verfangen, ich kann ergänzen, dass es völlig ausgeschlossen ist, dass das so ist, und wenn es aus Versehen doch so sein sollte, dann müssen sowieso alle zurücktreten, weil sie offensichtlich nicht wissen, wie man vernünftig mit schwierigen Situationen umgeht, und dann kann man leider auch kein Land führen.
  4. Ich schließe aus reiner Eitelkeit übrigens auch aus, dass in irgendeiner Form Berater:innen an dem veröffentlichten Papier der FDP beteiligt waren. Das, was wir da zu sehen bekommen haben, sieht exakt so aus, wie mein 15-jähriger Sohn ein Strategie-Deck schreiben würde, wenn ich ihm vorher erklären würde, wie man das macht, und dann würde er ein bisschen Rocket League spielen und dann ein bisschen PowerPoint basteln. Ich habe für Unternehmen, Parteien und die öffentliche Hand gearbeitet, und ich habe überhaupt noch nie etwas gemacht, ohne vorher einen PowerPoint-Master zu bekommen, jeder noch so kleine Pups wird in CI gemacht, immer und überall. Es ist mir wirklich unerklärlich, wie es sein kann, dass Menschen in einer Regierungspartei ihre Folien im ppt-Standard, Office 2016, schreiben. Das ist in der Sache natürlich völlig egal, lässt mich aber ratlos zurück, es eröffnet Raum für Verschwörungstheorien.
  5. Und inhaltlich möchte ich mal nix sagen, es haben auch alle bereits etwas zu der Pyramide gesagt. Ich habe mal einen Artikel zum Thema „Auswahl von geeigneten Visualisierungen in der Datenkommunikation“ geschrieben, finde ihn aber nicht, nicht auszuschließen, dass er auch gar nicht mehr benötigt wird, es ist keine Hirnchirurgie. Flächen erklärt man gut mit Fußballfeldern oder dem Saarland, Gewichte als Elefanten, Abläufe als Flowchart (!), hierarchisch aufeinander aufbauende und sich in der Menge verjüngende Massen gerne als Pyramide, die vielleicht bekanntesten Beispiele sind die Maslowsche Bedürfnishierarchie oder die Ernährungspyramide. Den Rest können Sie sich jetzt gerne denken, wenn ich meinem Kind sagen würde „Mach mal so ein paar Charts“, dann würde er sich vielleicht die verschiedenen Diagramme, die PowerPoint vorgibt, mal ansehen, und dann würde er sich vielleicht auch für so eine Pyramide entscheiden, um einen zeitlichen Prozess, ach mir ist langweilig.

Long story short: Aus meiner Binnenperspektive kann ich abschließend nur sagen: Are you fucking kidding me? Haben da Leute Politik gespielt, sich überlegt, wie man so etwas jetzt machen würde – ich habe da doch 2015 mal mit so einer Agentur gearbeitet, die hatte so Charts, moment, ach hier, ja so machen wir das – und dann gucken wir mal, was passiert? Bis dato dachte ich ja immer, das schlimmste, was ich an politischer Krisenkommunikation gesehen hätte, sei der Abgang von Anne Spiegel gewesen, aber nun, im Vergleich bin ich mir nicht mehr sicher. Was mich nämlich ganz besonders fasziniert: Krise 101 sagt: Nicht lügen, und wenn man doch lügt und dabei auffällt, nicht weiterlügen. So gesehen bin ich ganz gespannt, wie lange sie das durchziehen wollen. Ich schreibe derweil mit, fühle mich bestens unterhalten und hoffe einfach, dass all die, die so dillettantisch ein bisschen mit dem Land rumspielen, da mehr als beschädigt rauskommen und uns im weiteren Verlauf nicht mehr mit ihrer Anwesenheit belästigen, und dass die, die nun lange darunter leiden mussten, irgendwie heil da raus kommen. Ich gehöre übrigens zu denen, die sagen, dass die FDP jetzt nicht zwingend in der APO landen. Aber gut, das sehen wir dann.

14 Gedanken zu „29.11.2024“

  1. Sehr spannende und hilfreiche Einordnung. Im Moment tut man ja immer noch so, als habe es der Praktikant verbockt…
    Hatte eben eine Idee, was die Form des Papiers angeht: Die haben ja diese Version heute selbst veröffentlicht, da es schon in anderen Händen war. Kann es es sein, dass bewusst auf die Masterfolie bzw. das Corporate Design verzichtet wurde und nur eine davon befreite Dateiversion freigegeben wurde?
    Dann lässt es sich besser davon distanzieren und die Verbindung zur „Brand“ ist weniger offensichtlich.
    Der Inhalt bleibt da aber natürlich gleich schlimm.

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    • Ja klar, das kann sehr gut sein, und es ist natürlich klug, die Brand da rauszuradieren, Sie haben absolut recht. Es wurde ja auch inhaltlich noch dran geschraubt, die Version unterschied sich teils von der, die der ZEIT vorlag. Und meine Güte, ich kann mir jetzt sofort 1.000 Sachen vorstellen, die noch schnell irgendwie gedreht wurden, andererseits ist in keinem Szenario, das ich mir vorstellen kann, das Ergebnis so beschissen wie in der Realität 😂

      Ich schrieb gerade auf Mastodon, dass es der FDP mit dieser Quatscherklärung, niemand aus der Führungsriege habe davon gewusst, momentan ja sehr gut gelingt, von dem eigentlichen Punkt abzulenken: Sie haben die Charts veröffentlicht, weil ZEIT und SZ die sowieso schon hatten, als Belege für die Geschichte, wie Christian Lindner das Land verarscht. Und ich denke nicht, dass die beiden Medien es länger als einen Tag mit ansehen werden, wie weiter so getan wird, als würden sie lügen.

      Und dann ist da ja noch ein Trumpf im Ärmel, auf den ich mich ja schon wie verrückt freue: Irgendwelche – mindestens zwei – Leute aus der Gruppe haben die Jungs ja verpfiffen. Und es wäre ja wirklich verrückt, wenn die nicht noch mehr erzählen könnten.

      Ich bin gespannt, wer gewinnt!

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  2. Spannend finde ich auch die Trump-Strategie zur Krisenkommunikation: Lügen, dass sich die Balken biegen und wenn es auffällt, dann noch schlimmer lügen. Es trifft mich, dass es funktioniert. Aber anscheinend ist es auch recht erfolgreich.

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    • Ja, ich habe das sehr akribisch verfolgt und war gleichsam überrascht wie erschüttert davon, dass das aufging. So gesehen bräuchte man strategisch ja gar nix mehr. Keine politischen Kenntnisse, keine Ideen zur Vermittlung derer, nur irgendeinen richtig guten Diktator, und dann läuft‘s.
      Und vor dem Hintergrund ist wahrscheinlich auch völlig egal, was Lindner jetzt macht oder nicht macht, unterm Strich wird alles eh irgendwie so ausgehen, dass Merz Kanzler und Spahn Wirtschaftsminister wird, und dann machen wir Öl und Atom und nach uns die Sintflut. 🤷🏻‍♀️

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  3. Die Pfeffermühle mit Erika Mann und Therese Giehse hatte bis 1933 neben dem Hofbräuhaus München eine Bühne mit dem „Lügenprinz“, bevor sie lieber in die Schweiz gingen:

    „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, wer immer lügt, dem wird man glauben“.

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  4. Eigentlich hoffe ich, dass die FDP nicht in der APO landet, sondern untergeht. Jahrzehntelang bestand die FDP aus einem wirtschaftsliberalen und einem sozialliberalen Flügel. Der sozialliberale Flügel war im Freiburger Kreis organisiert und ihm gehörten FDP-Schwergewichte wie Burkhard Hirsch, Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an. Das war keine unbedeutende Randgruppe in der FDP, sondern die waren etwa gleich stark wie die Wirtschaftsliberalen. Der Freiburger Kreis und der sozialliberale Flügel der FDP existiert nicht mehr. Es ist aber auch nicht so, dass die FDP dadurch nun zu einer wirtschaftsliberalen Partei geworden wäre, weil theoretisch nur noch der wirtschaftsliberale Teil übrig ist. Die FDP ist zu einer bizarr wirtschaftsinkompetenten Trolltruppe verkommen, die man zur Durchsetzung von Partikularinteressen mieten kann (u.a. Frank Schaeffler).

    Unabhängig davon, wo man politisch steht: Die Lindner-FDP hat im politischen Spektrum keine Existenzberechtigung mehr. Die Planstelle für sozialliberale Politik wird heute von den Grünen abgedeckt.

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  5. Sehr-neben-Bemerkung: ppt ist sogar nur Office 2003, aber 2007 ist es schon pptx. (Was ich nur spontan weiß, weil eines meiner Hobbies daraus besteht in der Organisation den noch genutzten ppt (doc/xlm)-Dateien hinterherzujagen und die Kolleg*innen zur Umwandlung zu zwingen – in 100% der Fälle ist die Ursache, dass es eine entsprechend alte „Standarddatei“ gibt, aus der dann eine Kopie gezogen wurde, um als Formatvorlage zu dienen.) Wer weiß wie viele Jahre „Konfliktestrategie_Vorlage_final_neu-ppt“ schon als Datei im FDP-Netzwerk herumwabert.

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    • nur etwas neben und sehr wunderbar.

      Ich liebe alles an diesen Beiträgen hier.
      Danke allen!
      A propos neben:
      (Sagen wir etwas zur Verkündigung der Schwangerschaft im Hause LehfeldLindner und damit einhergehende Überlegungen zu jagen fischen promovieren?)

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  6. Wohltuende Einordnungen, mit denen man nicht rechnet und schon gar nicht denkt, dass sie in diesen Zeiten möglich sind. Wenn wir von ernsthafter Einordnung reden, kommt hier bald ne Paywall.

    Danke für dieses Thema, die Gedanken und Bloggedanken, sind gute Gedanken!

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