In mir steckt eine Eislaufmutti, das war mir still und heimlich immer klar, aber heute habe ich alles gegeben, inklusive Beckerfaust.
Mein Kind spielt ja – wie einst seine Mutter – Handball, und das auch mit großer Begeisterung. Durch seine körperliche Disposition, also stark beschleunigtes Längenwachstum seit der Geburt, überragt er seit 6 Jahren immer alle auf dem Feld, und er hat zudem sehr viel Kraft und einen überzeugenden Wurf, insgesamt eine ganz glückliche Kombination für diesen Sport. Trotz seiner meist deutlichen körperlichen Überlegenheit ist er jedoch, eventuell anders als seine Mutter einst, Zweikämpfen eher abgeneigt und präsentiert sich auf dem Feld eher höflich zurückhaltend. Da möchte ich den gegnerischen Mannschaften sagen: Glück gehabt.
Ich kann mich nicht genau erinnern, wie das in meiner Kindheit geregelt war mit den Altersklassen, ich weiß nur, dass ich von 6 bis 18 mit immer den gleichen Mädchen in einer Mannschaft gespielt habe, und das waren 76er und 77er Jahrgänge. Da es eine Dorfmannschaft war, gab es unter oder über uns aber auch nicht so sehr viel, vielleicht sind wir einfach aus der Not immer zusammengeblieben. Bei Ona ist es so, dass jede Saison die Mannschaft anders zusammengesetzt ist, immer im Wechsel. Er begann in der F Jugend, dann ging im zweiten Jahr der Jahrgang drüber in die E Jugend, sein Jahrgang spielte noch ein Jahr F, dann ging er in die E-Jugend, spielte ein Jahr mit den ein Jahr älteren, dann gingen die im Jahr drauf in die D Jugend, dafür kamen neue aus der F Jugend hoch, usw. Es gibt seit der E Jugend immer 1. und 2. Mannschaft, er begann in der E2, spielte dann im 2. Jahr E1 und D2, spielte dann letztes Jahr nur D1 und dieses Jahr widerwillig D1 und C2. Die Idee hatte sein Trainer damals, der zu dem Zeitpunkt E1 und D2 trainierte, und Ona wollte lieber nicht irgendein uncooles Musikinstrument spielen und verhandelte mit uns, dass er einfach doppelt so viel Handball spielt und dafür gar kein Musikinstrument lernen muss. Wenn man sowas schon verhandelt, muss man vielleicht als Eltern loslassen und zustimmen, seine Motivation sah ein Instrument nicht vor.
Der Unterschied zwischen E und D war für ihn im Kopf schon eine Herausforderung, denn heute gibt es, im Gegensatz zu früher, die Besonderheit, dass die Regeln für F und E Jugend andere sind, als für alles darüber. Und im Nachhinhein betrachtet, ist das tatsächlich eine Verbesserung. So dürfen die Kinder nämlich nicht dribbeln. Da man im Handball aber auch nicht mit dem Ball in der Hand mehr als drei Schritte laufen darf, ohne zu prellen, waren die Kleinen gezwungen, sich permanent den Ball zuzuspielen, um über die Länge des Feldes laufen zu können. In einem Alter, in dem sowohl Werfen als auch Fangen reine Zufallsprodukte sind, ist das für Eltern auf der Tribüne eine große Übung in Geduld, ich sage ja immer: Handball ist das Geige unter den Ballsportarten. Irgendwann sind sie dann aber in der D angekommen, können alle werfen und fangen, dürfen mit dem Ball auch einfach alleine über das Feld laufen, weil sie dribbeln können, und dann werden Menschen auf der Tribüne für vier Jahre Durchhalten belohnt.
In dem Jahr, in dem Ona E1 und D2 spielte, musste er also bei jedem Spiel umdenken, er darf dribbeln, er darf nicht dribbeln, er darf dribbeln, darf ich dribbeln? Oh, Schiri pfeift, stimmt. Darf nicht dribbeln. Das war dann irgendwann zum Glück vorbei, letzte Saison spielte er nur D1, und dieses Jahr ist halt wieder das zweite Jahr, da wurde er wieder gebeten, bei der C2 mitzuspielen. Ein Vorteil, den er nämlich bietet, ist, dass er bis neulich auch in der Altersgruppe drüber meist noch der Längste auf dem Feld war. Aber, ups, das ist jetzt wohl durch. In seiner „echten“ Mannschaft, der D, sind inzwischen zwei zu ihm aufgeschlossen, in der C2, die fast ausschließlich aus dem jüngeren der beiden C Jahrgänge besteht, ist ein Kind, das fast einen Kopf größer ist als er.
Gestern spielte er mit der D, und zwar gegen den Tabellenführer, und sie haben souverän gewonnen. Die Mannschaft ist ein Garant für Spannung, sie sind abwechselnd Angstgegner und, ich formuliere es wertschätzend, weniger Angstgegner, seit drei Wochen sind sie wieder Angstgegner, was eventuell auch daran liegt, dass sie nach langer Durststrecke wieder einen festen Trainer haben. Das Spiel war jedenfalls sehr schön, er hat 5 von 15 Toren geworfen und eine gelbe Karte wegen Pubertät bekommen. (Um Nachfragen vorab zu beantworten: Er hatte sich über sich selber geärgert, weil er vorm Wurf abgepfiffen wurde und der Gegner kriegte einen Freiwurf, und dann war er etwas ungestüm und prellte den Ball so feste, dass er wegsprang, was unsportlich ist und Gelb gibt).
Heute sollte er noch C2 spielen, was er nicht wollte, denn: Gegner wieder Tabellenführer, aber halt von der C, also von den ganz ganz Großen. Nun gut, das Ding mit Mannschaftssport ist halt, dass man die anderen nicht hängenlassen kann, also moderierte ich alle Sorgen gewissenhaft weg, das sind vielleicht nicht alles nur 2007er, kein Ding, er sollte einfach alles geben, er ist ja auch sehr groß, und nein, es wird ihn niemand umrennen, blabla. Also saß ich auf der Tribüne, und als der Gegner zum Aufwärmen in die Halle kam, rang ich den Impuls, runter zu rennen und mein Kind zu retten, erfolgreich weg, faltete die Hände und ging an diesen inneren Ort, wo Zuversicht und Ruhe dominieren.
Die Gegner waren riesig. Und breit. Und schnell. Und warfen wie Erwachsene. Nichts an denen sah aus wie eine Kinderhandballmannschaft, die sich warm macht. Mein Kind machte sich mit seiner Mannschaft warm, sie guckten immer wieder verstohlen auf die andere Hälfte, und ich fühlte mich stark erinnert an Asterix gegen eine riesige Truppe von Legionären. So sah das von oben aus.
Ich kürze ab. Der Verein macht seit einem Jahr mannschaftsübergreifend zweimal die Woche Torwarttraining, und unser Torwart hat in den 50 Minuten Heldenstatus erreicht. Ich hätte fast Kleidung aufs Feld geworfen, als er (und er ist wirklich keine Kante) erst einen WIRKLICH schnellen Tempogegenstoß eines 1,90m großen Kleiderschranks hielt, dann den ersten Nachwurf, dann den zweiten Nachwurf, und dann hielt er sogar noch den Ball nach dem zweiten fest, und mehr kann ein Torwart an Ruhm nicht erreichen. Die anderen 6 lagen nach sehr kurzer Zeit 1:8 zurück und wurden dann böse entschlossen. Das Problem ist ja, dass ein Kind, das 1,50 groß ist und 50 Kilo wiegt, ein Kind, das 1,85 ist und 85 Kilo wiegt, nicht so einfach mal zur Seite schieben kann. Andersrum kann das große Kind das kleine Kind zur Not einfach kurz wegtragen. Ein Dilemma. Aber sie bissen sich fest und haben zumindest geschafft, so viel Chaos auf dem Feld zu verursachen, dass der Gegner sehr verwirrt war, und zack, haben sie zwar folgerichtig verloren, aber mit 14:24, und das war mehr als großartig. Das Kind der hier schreibenden Eislaufmutti hat sogar ein Tor geworfen, was eine tatsächlich ganz großartige Leistung war, weshalb ich aufsprang, die Arme hochriss und jubelte, und dann machte ich noch eine Beckerfaust. Nachher hörte ich aus dem Kindermund, dass das voll peinlich gewesen sei. Zuhause gab es eine Dusche, ein Kühli für den Ellenbogen, der gestern schon nur noch ein bisschen Haut hatte, der Rest blieb heute auf dem Hallenboden kleben, was aber in der Situation nicht weh tat, weil er nach dem Wurf zu seinem fulminanten Tor noch 5 Meter durch den Kreis rutschte, aber das war in der Situation nachrangig.
Was wollte ich eigentlich sagen? Wenn Sie sich gefragt haben, wann der Übergang von Kind zu Mann eigentlich genau stattfindet, kann ich nach der heutigen Beobachtung sagen: Zwischen dem ersten und dem zweiten Jahr in der C Jugend.