15.03.2022

Besondere Situationen bedürfen besonderer Sendeformate, daher hier heute ein Gleichnis.

Herr H hatte jahrelang einen Zahnarzt in einer anderen Stadt, ein Freund seines Bruders. Nennen wir ihn Thorsten. Okay. Er heißt Thorsten. Thorsten war optisch weit vorne, hatte einen Sommer- und einen Wintersaab und eine Zahnarztpraxis in einer Ruhrgebietsstadt, in der scheinbar unterdurchschnittlich viele Privatpatienten wohnten. Ein Drama. Wir trafen Thorsten und seine Freundin auf diversen sozialen Veranstaltungen, und irgendwann passierte es, dass Herr H die beiden zu uns einlud. Ich kochte drei Gänge und machte alles ordentlich, und dann kamen sie uns mit dem Wintersaab, es war Winter, besuchen. Das ist mindestens sieben Jahre her, ich erinnere mich nämlich, dass Ona noch selbstgenähte Kleidung trug (Thorsten näht auch, ich war überrascht, ich sah ihn eher golfen) und wir sehr gut wirtschaften mussten mit dem Geld, das wir verdienten und zu großen Teilen für Wohnen, Kinderbetreuung und Bahncard 100s ausgaben. Und so kam es also, dass wir beim zweiten Gang über Arbeit und Ausgaben sprachen, und dann war Thorsten sehr geknickt, da so eine Zahnarztpraxis mit sehr vielen Kassenpatienten etwas sei, was man quasi nur als Hobby machen könne. Und ich möchte jetzt wirklich keine Ärzt*innen bashen, um Gottes Willen. Ich erinnere mich, dass ich nicht vollkommen überzeugt war von der Geschichte, und so fragte ich Thorsten die Killerfrage für Selbständige: „Kannst du denn so aus dem Kopf sagen, wieviel du im letzten Jahr verdient hast?“, nachjustiert mit „Plusminus 20.000 Euro meinetwegen.“ Nun wollte ich gar keine Zahl hören, das hatte ich auch angekündigt, ich wollte nur einen wichtigen Punkt machen, und der gelang mir auch, denn nein, Thorsten konnte nicht auf plusminus 20.000 Euro sagen, wieviel er im letzten Jahr verdient hatte: Wenn ein Mensch auf plusminus 20.000 Euro nicht weiß, wieviel er im letzten Jahr verdient hat, dann wird es nicht zu wenig gewesen sein, und dann kann man die Diskussion auch wieder auf irgendein interessantes Thema lenken. Nähen zum Beispiel.

Ich habe mir gestern mal überlegt, ob ich denn weiß, wieviel ich im Jahr für Gas bezahle, und das Ergebnis ist: Nein. Weiß ich nicht. Ich weiß noch nicht einmal, ob es eher 500 oder 5.000 Euro sind. Ich habe wirklich einfach gar keine Ahnung. Das wird von irgendeinem Konto irgendwie abgebucht, und damit ist dann ja auch alles gut. Wenn es jetzt teurer wird, dann wird halt ein anderer Betrag von irgendeinem Konto abgebucht, und es wird noch immer alles gut sein. Ich weiß auch nicht, was ein Liter Benzin letzte Woche gekostet hat. Denn: Kann ich ja eh nix dran machen. Ich versuche, Sprit zu sparen, mehr muss ich nicht wissen. Damit ist doch an dieser Stelle alles gesagt. Und ja, ich weiß sehr wohl, dass es bei sehr vielen Menschen anders aussieht. Und für diese Menschen wünsche ich mir von der Regierung eine vorab hinter verschlossenen Türen entschiedene Regelung, die dafür sorgt, dass niemand in einer kalten Wohnung sitzen muss und alle zur Arbeit fahren können. Aber nicht für mich und nicht für meinen Nachbarn, der einen Cayenne und einen Jeep fährt. Das ist doch Unfug.

Wenn ich also gleich tanken gehe, möchte ich bitte keinesfalls irgendwas besprechen, ich möchte auch nix subventioniert kriegen, und am allerwenigsten möchte ich, dass ein BILD-Tankreporter an der Zapfsäule steht, der für ein debiles Interview dann meine Tankfüllung bezahlt. Ich möchte ganz unaggressiv sagen: Sollte an der Zapfsäule ein BILD-Tankreporter stehen, kann ich nur hoffen, dass der auch so einen Kriegsgebiethelm trägt wie Paul in der Ukraine. Ich könnte nämlich böse werden.

2 Gedanken zu „15.03.2022“

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