Urlaubstagebuch Teil 8

Ich habe jetzt etwa 45 Minuten Zeit, hier etwas hinzuschreiben und zeitgleich zu verdrängen, dass gerade von rechts eingeflogen kam, dass ich 21 neue Emails habe, wobei mein Eingangspostfach doch gerade noch leer war. Dann kommen nämlich T und P, meine neuen Urlaubsfreunde, und ich werde mich über Hunde, Kinder und die Pandemie unterhalten. Oder vielleicht nicht über die Pandemie, das hat gestern nicht so gut funktioniert, ich musste umschwenken auf das Sexleben meiner Mutter.

T und P sind die Eltern von Onas Freund L, und ich habe sie gestern am Strand angesprochen, ob sie eventuell Onas Wechselgeld verwalten können, während ich oben Bahnen schwimme, sonst wäre das Wechselgeld nämlich weg gewesen, Sie sehen, es war nicht abwendbar. Sie waren sehr nett, sind sie auch immer noch, abends setzte man sich zusammen und plauderte.

Das war also am vorletzten Tag der Reise und damit vermutlich ungefährlich. Ich bin da grundsätzlich ja sehr zurückhaltend, hinterher möchte man vielleicht nicht noch einmal zusammensitzen, und wenn der Urlaub dann noch 13 Tage dauert, werden die nächsten 12 ein Spießrutenlaufen, da bin ich ja schlauer. 2013 war ich mit Mann und Kind in Spanien, da, wo wir immer sind, allerdings zum ersten Mal, und das Kind schoss einen Ball in den Nachbargarten, also mussten wir im Nebenhaus klingeln, es öffneten Ralf und Tanja, setzten uns auf ihre Terrasse und zack, waren wir gefangen. Ralf und Tanja waren absolute Idioten, hatten eine komplizierte on/off Beziehung, die sie mit uns besprechen wollten, wir hatten keine Idee, wie wir uns aus der Situation entfernen konnten, und abends wollte Ralf uns das tollste Restaurant im Ort zeigen. An dem Punkt gibt es keinen unkonfrontativen Weg, zu sagen, dass man lieber alleine essen möchte, zumal wir ihn aus Einfallslosigkeit nach dem tollsten Restaurant im Ort gefragt hatten. So gingen wir also gemeinsam essen, wunderten uns sehr, dass jemand 20 Jahre jedes Jahr nach Spanien fahren kann und sich dann damit rühmt, außer dos zervezzas por fovor kein Wort sagen zu können, dann die unwillkürliche Frage nach den Plänen für den nächsten Tag, wir wollten nach Barcelona fahren, und upsi, Ralf kennt sich in Barcelona super aus (wir auch) und möchte Tanja das auch mal zeigen, vielleicht könnten wir doch einfach zusammen fahren, dann mein unfassbar guter Einwurf, wir würden da nur das Kinderprogramm machen (sie hassten Kinder), und dann konnten wir das alleine machen. Am letzten Tag, nach wirklich vielen Abwimmelversuchen, wollte Tanja die Telefonnummern austauschen, ich Schaf gab ihr die richtige Nummer, sie rief zwei Tage später an, und ab dann war unsere Festnetznummer verbrannt. Irgendwann gab es irgendeinen Vorfall, durch den ich bei Herrn H schwer einen gut hatte, und ich wünschte mir von ihm, dass er einfach mal ans Telefon geht und Tanja sagt, dass sie bitte nicht mehr anrufen soll, wir hätten ja nun wirklich NICHTS gemein. Er machte das, und danach habe ich nie mehr im Urlaub mit Menschen gesprochen. Zu gefährlich. Bis gestern.

Und eigentlich war das okay. T ist Polizist, P ist Sachbearbeiterin im verbeamteten Status, sie kommen aus der nordrhein-westfälischen Provinz und bezeichnen sich selbst als Gesprächsstarter als „gesellig und lustig“. So wie ich, quasi, Match made in heaven. Wir starteten mit Hunden (alle für), gingen über Kinder (haben alle) und plötzlich waren wir bei „Hurra, Ona ist geimpft“, und dann. Stille. Nein, da seien sie nicht so für (beide sind ein bzw zweimal geimpft), das sei ja alles schon schlimm genug gewesen mit Corona, und es sei ja erwiesen, dass die Impfung für Kinder schädlich ist, das würden sie jetzt nicht mehr mitmachen, ihre Kinder würden sie nicht mehr opfern. Dann kamen etwa 20 Argumente, die vielleicht in so einer Parallelwelt Sinn ergeben würden, und dann kam ich kurz und lernte viel über die absolute Sinnlosigkeit meines Jobs. Seit einem Jahr beschäftige ich mich beruflich ausschließlich mit Corona, einmal aus politischer Ecke, einmal aus medizinischer. Sie können mir glauben, dass ich alle Literatur kenne, wenngleich ich mir nicht anmaße, die bewerten zu können, ich habe aber das Gefühl, dass ich ganz gut verstanden habe, wer das doch kann. Deshalb kann ich im Schlaf alle Argumentationen für und gegen alle möglichen Dinge runterbeten, ich kenne alle Spezifikationen und Studienergebnisse aller Impfstoffe auswendig, ich kann aber eine Sache nicht: noch irgendwas Sinnvolles beitragen, wenn jeder einzelne Scheiß letzte Satz ist „nee, ich bin mir wirklich ganz sicher, das sagt mir mein Bauchgefühl, das mit den Impfungen der ganzen Weltbevölkerung, das ist nicht koscher, da ist der Fisch noch nicht gegessen.“ Es gibt ja auch niemanden mehr, der geschützt werden müsste, die 80Jährigen sind ja entweder geimpft oder sterben eh bald. Und für alle anderen ist das ja ganz ungefährlich, aber der Staat möchte gerne PIIIIIIIIIEP.

Der Rest wird wegen Nichtgefallens zensiert. Ich habe alles runtergebetet, was argumentativ passte, habe alles sehr sachlich gekontert, und am Ende landeten wir jedes einzelne Mal bei „Ja aber ich habe da so eine Intuition“.

Gut. Wir haben andere Themen gefunden. Und irgendwie waren sie auf den anderen Terreins auch sehr rührend. Ich kenne so Leute nicht, aber ich war ganz angetan. Ich glaube, so sieht so eine richtig glückliche Doppelbeamtenehe nach 20 Jahren aus:

„Also wir waren 2003 damals in der Dom Rep gewesen, oder Schatz?“ „Ja. Oder warte, war das nicht 2004?“ „Ja, du hast Recht, 2004.“ „Nein Schatz, du hattest Recht, das war 2003, hatte da der Dackel nicht die Geschichte mit der Wirbelsäule?“ „Ja Schatz, du hast recht, das war auch schlimm, und da war Jolene noch nicht geboren.“ „Ja, richtig Schatz, das war kurz bevor du schwanger geworden bist, also wir.“ „Ja Schatz, stimmt, du hast Recht, ach, das war auch noch schön, da konnten wir noch richtig lange schlafen.“ „Ja Schatz, da haben wir am Wochenende immer schön im Bett gefrühstückt.“ „Naja Schatz, bald sind die Kinder ja groß, dann können wir das wieder ganz in Ruhe machen, hahahahaha.“ „Hahahahaha.“

Und nur, dass wir uns hier richtig verstehen: Das ist Kommunikation in meine Richtung. Nicht untereinander.

Morgen fahre ich nach Hause.

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