Mein lieber Herr

Das mit den Überschriften fand ich ja schon immer das Alleranstrengendste am ganzen Bloggen. Mittelfristig brauche ich da eine andere Lösung. Eigentlich wollte ich ja immer einfach ein Lied hinschreiben, welches ich an dem Tag aus irgendeinem meist unbemerkten Zusammenhang in den Kopf gespült bekam, aber wie das so ist, ist natürlich auch der Ohrwurm intrapandemisch noch viel anstrengender als sonst. Es ist ja einfach absolut alles intrapandemisch viel anstrengender als sonst.

Heute morgen wachte ich um 7 Uhr auf und sah mich mit einem großen Problem konfrontiert. Ich hatte einen Ohrwurm, von dem ich allerdings nur 1/4 Takt überhaupt zu fassen kriegte. Ich wusste, dass das Lied ein französisches ist, sehr bekannt, dass es sicherlich sehr viel Spaß machen würde, das zu singen, weil es mich irgendwie anregt, und ich erinnerte mich, dass es zwei Frauen gab, die das Lied in einer französischen Show gesungen haben. Beide im Etuikleid, eines schwarz, eines weiß.

Nun habe ich ja vor einiger Zeit das System, einfach immer alles nur noch bei Twitter zu erfragen, statt selber nachzudenken, von Frau N abgeguckt, aber in diesem Fall sah ich da wenig Hoffnung. Ich drehte mich also auf die andere Seite, ich habe Rücken, und dachte nach. Irgendwann kamen zwei Namensbestandteile hinzu. Ein Name einer Sängerin endete auf d, einer, eventuell der gleiche, aber vielleicht auch nicht, hatte ein Doppel-L. Ich drehte mich auf den Rücken und überlegte, ob ich überhaupt irgendeine französische Sängerin kenne und kam zu dem Entschluss, dass ich keine einzige französische Sängerin kenne. Dann fiel mir allerdings ein, dass es wohl so war, dass eine der beiden, oder vielleicht beide, auch eher eine Schauspielerin als eine Sängerin war, nach einem kurzen Check war aber klar, dass ich ja überhaupt nur zwei Schauspielerinnen auf der ganzen Welt namentlich kannte, nämlich Heike Makatsch, und zwar deshalb, weil ihre Patentante bei unserem Dorfmetzger arbeitete und vor 20 Jahren mal erzählte, dass sich auch eine erfolgreiche deutsche Schauspielerin nur eine Einzimmerwohnung in London leisten kann, und Jodie Foster. Und Liza Minelli, stimmt, die kannte ich auch, und plötzlich war mir klar, dass das Lied, das ich suche, so ähnlich war wie Mein lieber Herr aus Cabaret, aber eben auf Französisch und ganz anders. Aber irgendwas mit Herr auf jeden Fall. Die Frage, ob es eventuell reichen könnte, den aufkommenden Ohrwurm mit dem exzessiven Hören von Cabaret zu bekämpfen, habe ich realistisch sofort wieder verworfen.

Um 7.45 Uhr war ich entsprechend angestrengt und genervt. Dann kam noch eine Anfrage des Kompagnons, ob wir uns um 8 eben mit geteiltem Bildschirm zusammenschalten könnten, die ich mit einer sehr bestimmten Einordnung des Wochentags beantwortete (als ungläubige Selbständige teile ich meine Tage intrapandemisch nur noch auf in „kann um 8 telefonieren“ und „kann nach 10 telefonieren“), und dann dachte ich weiter nach.

Ich fand keine unterbewussten Bruchstücke mehr, nahm also um 8 Uhr eine sitzende Position ein und entschied, den vielleicht nicht unanstrengendsten aber hoffnungsversprechendsten Weg einzuschlagen. Ich googlete „französische Schauspielerin“ schloss dann ein paar Namen noch aus, die anscheinend berühmt sind, und suchte minutenlang nach Namen, die ein ll und ein d haben.

Ich kürze ab. Das ist das Lied. Milord. Gesungen von einer kleinen und einer großen Frau, die große ist Marion Cotillard. Beide tragen ein Etuikleid. Warum mein Hinterkopf mir Edith Piaf nicht angeboten hat, ist natürlich nicht bekannt. Ich schaute mir das Video zweimal an, dann kam das Kind in mein Schlafzimmer und fragte schlaftrunken „Warum hörst du das rote Pferd auf Französisch?“, dann drehte ich mich um und sang ein bisschen Cabaret Stücke leise im Kopf.

Ich habe nachgedacht. Manchmal hilft das, Herr Laschet.

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