In these shoes?

Ich wäre gerne Vegetarier, und ich würde auch sehr gerne ohne Auto leben, in der Praxis esse ich Fleisch und fahre Auto. Gerne. Ich gehöre zu den Menschen, die eine enge Verbindung zu ihrem Auto aufbauen. Im Moment ist die allerdings leicht gestört. Und das kam so.

Ich bin behütet aufgewachsen, und mit 18 übernahm ich den Wagen meiner Mutter, deren Hauptaufgabe die 14 Jahre davor war, mich zum Sport zu fahren. Das fiel weg, also ging das Auto an mich. Es handelte sich um einen Toyota Corolla, und in sehr kurzer Zeit verwuchs ich mit dem Auto zu einer Einheit. Insgesamt 280.000 Kilometer haben das Auto und ich in 14 Jahren zusammen bestritten, und das, und nein, das ist nicht Werbung, das ist Fakt (gibt es aber heute nicht mehr, heißt es) ohne einen Pfennig reinzustecken. Jetzt bin ich nicht so irre, dass ich Autos Namen gebe, aber er hatte ein wirklich gutes Kennzeichen, NE-RD 256, ich habe mich ja schon früh gut einschätzen können, und als ich irgendwann mit dem Auto ausgewandert bin und mit vielen internationalen Menschen zu tun hatte, konnte ich immer so Sätze sagen wie „Do we go by train or by Nerd“.

Mit 32 und schwanger riet die Schrauberwerkstatt, sich eventuell genau jetzt zu trennen, und dann kamen ein paar sehr dunkle Jahre, die ich erfolgreich verdrängt habe. 2016 kam dann ein Auto, das wieder das Potenzial hatte, mit mir zu verwachsen. Ein Firmenwagen, den ein Kollege für sich bestellt hatte, er hat aber weder Probezeit noch Auslieferung des Wagens überstanden, und so bot ich mich an, statt eines selbstgewählten Modells dieses zu übernehmen. So fuhr ich ab dem Moment also einen A3. Golf in etwas netter. Größe für mich perfekt, eigentlich war alles an dem Auto so, wie ich es wollte. Etwas spöttisch guckte ich auf die Karren, die manch Kollege auswählte (und versteuerte) und fand mich sehr überlegen mit meinem kleinen aber schnittigen Auto.

Wirklich ans Herz ist es mir gewachsen, als ich einst in Spanien mit schlafendem Kind quer auf dem Rücksitz auf der Landstraße gegen ein 100 Kilo Wildschwein fuhr. Der gar nicht mal so große Wagen verhielt sich sehr unauffällig, es machte puff, für das Wildschwein war das eher unangenehm, dass Nummernschild flog hinter dem Tier her in die Böschung, und Ona war wach. Mehr passierte nicht, und ich bin mir nicht sicher, ob wir das in einem Fiat Bambini überlebt hätten.

Die Geschichte war übrigens wirklich sehr lustig, nachdem wir alle unverletzt waren, denn nun standen wir nachts um 1 im Stockdüsteren auf dem platten Land auf der Landstraße in der Kurve, brauchten das Nummernschild, da wir am nächsten Tag nach Deutschland zurückfahren mussten, und trauten uns nicht, auszusteigen, das Wildschwein war nämlich ins Gebüsch verschwunden und voraussichtlich sehr schlecht gelaunt. Ich habe dann die Polizei angerufen (nachdem ich versuchte, mir ohne 5G irgendwie herzuleiten, was Wildschwein auf Spanisch heißt), und war sehr überrascht, dass sich ein Deutscher meldete. Die Notfallnummern sind international besetzt, und wenn ein deutsches Handy anruft, geht auch ein Deutscher dran. Ich kürze ab: Es kam niemand, die Polizei fand das nicht so dringend, und in dem Ort, in dem wir waren, war die alle 6 Jahre stattfindende Fiesta, da konnte eh keiner fahren. Ich hatte am nächsten Morgen große Probleme, dem Arbeitgeber zu erklären, dass es leider auch keinen Unfallbericht geben konnte, da wegen der Fiesta die Polizei drei Tage lang geschlossen war. Also fuhren wir sehr langsam in die nächste Audiwerkstatt (80 km inkl Serpentinen entfernt), lernten da dann, dass das Auto heute sicher nicht mehr nach Deutschland fuhr und mussten uns dann wirklich wirklich beeilen, um noch zum Flughafen zu kommen. Ohne all unsere Sachen. Kleidung, Schwimmflossen, Bücher, meine Espressomaschine, wie Sie wissen, reise ich mit Espressomaschine, wenn es sich um mehrere Tage Aufenthalt handelt, und die Lebensmittel. Als die Maschine nach Düsseldorf abends abhob, sah ich meinen Mann ängstlich an und sagte „Haben wir die Wurstbrote noch im Kofferraum?“ Ja.

Das Auto brauchte 5 Wochen, bis es nach Deutschland geschleppt war, und dann noch mal eine, bis ich wusste, wo es sich genau befand. Als ich in der Werkstatt anrief und sagte, ich würde gerne mal eben vorbeikommen und meine Sachen holen, sagte der rheinisch-charmante Mann: „Och Ihnen gehört das Messi-Auto?“

Mit dem Auto zu dritt in Urlaub ist mit dem A3 schon sehr auf Kante genäht gewesen, mit dem großen Hund dabei war das letztendlich nicht mehr abbildbar. Somit kam der Jobwechsel, bei dem ich traurigerweise das Auto gar nicht behalten durfte, nicht ungelegen. Die Auswahl des neuen Gefährts habe ich mir nicht leicht gemacht, aber, und jetzt bitte keine Diskussionen, danke, ich musste mich aus ökologischen Gründen für einen Hausfrauen SUV entscheiden. Und das kam so.

Mein Mann ist ja Öko, und auch wenn wir in nichts auf der Welt einer Meinung sind, haben wir uns darauf geeinigt, dass wir privat nicht fliegen. In den allermeisten Fällen muss das ja nicht sein, und irgendwann in den nächsten Jahren möchte ich mit Ona nach Kalifornien und ihm dort Dinge zeigen, aber alles andere sparen wir uns. Da ich allerdings nicht mit Kind und Kegel mit der Bahn verreisen möchte, fahren wir also Auto, wenn wir in Urlaub fahren. Nun sind wir ja keine Zwerge, und ich brauche in vielen Fällen die Espressomaschine, der Hund braucht auch viel Platz, somit war ein großes Auto leider gesetzt. Eigentlich wäre ein E-Auto die Fortbewegung der Wahl gewesen, da wir aber sehr städtisch und als Straßenparker leben, kam das ladetechnisch schon nicht in Frage. Ein Kombi ebenso wenig, da ich, wenn ich abends spät aus dem Büro komme, selten eine Parklücke finde, wo durchschnittliche Parker sich trauen, einen Smart einzuparken. Ich kann das sehr gut, und moderne Technik hat das ganze Themenfeld ja noch mal neu sortiert, aber man kriegt halt kein 5 Meter Auto in eine 4 Meter Lücke. Den Audi hab ich immer gut unter gekriegt, also durfte das Auto maximal so lang sein wie der A3. Das nächste schwierige Thema ist, dass mein Mann, Sie erinnern sich, ja keine Beine hat und aus 2 Metern Oberkörper besteht. In jedem normalen Auto stößt er oben an, was ihm egal ist, mir auch, aber der Wiederverkaufswert sinkt drastisch, wenn man abgewetzten Stoff am Himmel hat.

Was es also brauchte, war ein Auto, das groß, hoch und kurz war, und das fand ich im Volvo XC40. Ja. Ich fahre einen SUV. Noch. Er muss jetzt nämlich gehen. Aus verschiedenen Gründen.

1) Die Scheinwerfer heißen „Thors Hammer“, das fand ich auf eigenartige Weise sexy. Ich hatte vergessen, dass ich ja in dem Auto sitze und die gar nicht sehe, und den Namen sieht man schon erst Recht nicht. Also kein Grund.

2) Ich kann in dem Auto nicht blinken, ohne zu blinken kann ich aber aufgrund diversester Selbstfahrtechniken die Spur nicht wechseln. Halten Sie mich gerne für verrückt, das ist ja spätestens ab „ich fahre aus ökologischen Gründen einen SUV“ eh im Raum, aber das Blinkgeräusch ist für mich total off. Der Takt synchronisiert nicht mit mir, und wenn ich an der Ampel stehe, wird er manchmal für 2, 3 Schläge etwas schneller und dann wieder normal off, und dann möchte ich weinen, aussteigen und das Auto zurücklassen. Ich werde vermutlich demnächst sterben, weil ich im Stadtverkehr nicht blinken und auf der Autobahn nicht mehr die Spur wechseln kann.

3) Ich möchte auch Witze über SUVs machen. Ich finde das Konzept ja auch Kacke, fand aber, dass ich (ich fahre wenige Kilometer im normalen Leben) mit dem Nichtfliegenkönnen Punkt eine gute Legitimation vor mir selber habe, aber jedes Mal, wenn ich auf einem Parkplatz soeben noch in die Lücke passe, möchte ich allen Umstehenden zurufen „Ich habe eine wirklich große Familie und einen riesigen Hund und aus Umweltgründen fliegen wir nicht, und als Straßenparker hatten wir keine andere Wahl“, das will aber niemand hören, weil ja alle Kopfhörer drin haben und denken „boah, schon wieder so eine Mutti in einer Carpool Schleuder“, und das ist schade.

4) Über Tanken sprechen wir besser nicht.

5) Mein erster Tweet aus dem Auto lautete „Das neue Auto gegendert“, das war mir beim Probesitzen nicht aufgefallen.

Somit ist diese Entscheidung jetzt gefallen. Ich bin nicht SUV, nicht einmal aus ökologischen Gründen. Das Auto kommt wieder weg, und eventuell miete ich künftig einfach ein größeres, wenn ich damit nach Noordwijk, an die Mosel oder nach Spanien fahren möchte, woanders zieht es mich eh nicht mehr hin. Und jetzt? Was fahre ich jetzt? Ich habe keine Ahnung. Ich mag einen gewissen Komfort, es darf nicht viel verbrauchen, Größe etwa Golf/A3, KEIN Volvo (leider, ich wäre ja theoretisch sehr für Volvo, praktisch brauche ich das Erlebnis nicht mehr), und der Blinkertakt muss ziemlich genau der eines Toyota Corolla von 1993 sein. Gerne Hinweise. Ich denke ja, dass ich wieder beim A3 lande, aber vielleicht fällt ihnen ja was ein, was ich nicht auf dem Schirm habe.
In these shoes?

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