02.05.2022

Ich wollte soeben eigentlich einfach nur noch auf dem Bett liegen und den Kopf bis morgen früh resetten, da er sich heute sehr viel konzentrieren musste, und morgen muss er sich auch wieder sehr viel konzentrieren, und zwischendurch ist es wie bei so einem elektronischen Endgerät, man muss ihn auch mal ausmachen. Allerdings musste ich mein Kind aus einem Schmuckstück retten, und dabei ist ungeklärt, was mehr gerettet werden musste, Kind oder Schmuckstück.

Ona ist ja gerade in dieser Phase, in der er gerne aussehen möchte wie ein amerikanischer Rapper, der gut in Latein und Physik ist, also kaufte er sich T-Shirts mit irgendwelchen toten Gangstern drauf und Hoodies, die immer ganz tief ins Gesicht gezogen werden, und so eine Hose, die man gut brauchen kann, wenn man zum Beispiel in seinem Schlafzimmer Bilder aufhängen möchte und die Nägel und den Hammer nicht auf den neuen Möbeln ablegen möchte, weil das Holz so furchtbar schön ist, genau, so eine Funktionshose. Meine Hosen haben in erster Linie die Funktion, den Hintern zu bedecken, aber ich schweife ab. Für mich war der Weg zur Akzeptanz ein längerer, ich erwähnte das einst, aber nun soll er so rumlaufen, wie er möchte, hab ich in dem Alter auch gemacht, und aus mir ist auch etwas geworden. Teil seines neuen Looks ist auch Schmuck, was ich lustig finde, denn niemand in dieser Familie trägt Schmuck. Er kaufte sich also ein Armbanduhr, die cooler ist als die, die ich ihm einst zu Weihnachten schenkte, und Ringe, ja, er trägt Lord of the Rings Ringe, und dann fehlte noch eine Kette, er kaufte sich eine ganz zierliche silberne, wo manche Menschen zum Beispiel Babyzähne dranhängen oder irgendwelche Anhänger. Die fand er schön (ich sogar auch), aber irgendwie passte die nicht zum Look, also kaufte er noch eine unechte dicke Kette, wie so ein Gangster. Nun gut. Er trägt meistens die kleine.

Am Sonntag kam meine Schwester, im Moment kommen permanent irgendwelche Familienmitglieder, was eigentlich sehr schön ist, wir mögen uns alle sehr, aber in den letzten 40 Jahren haben wir uns meist auf die Feiertage beschränkt, weil permanent irgendjemand im Ausland war oder sehr beschäftigt, aber seit meine Mutter nebenan wohnt, ist das hier wie im Taubenschlag. Jedenfalls kam am Sonntag meine Schwester unangekündigt und schenkte Ona ein Armband. Ein silbernes Armband mit schwarzen Dingern, ich kann jetzt kein Foto machen, ist schon spät, von Onas verstorbenem Onkel Jim. Der Onkel, für den ich Schmetterlinge auf Torten klebe, und der Ona mit 6 Monaten, ein paar Wochen vor seinem Tod, gewünscht hat, dass er später im Leben Dinge zu schätzen weiß. Jetzt trägt Ona sein Armband, und er weiß es sehr zu schätzen und kontrolliert minütlich, dass er es nicht verloren hat, und weil meine Schwester es am Sonntag falschrum drangemacht hat, kriegte er es heute nicht ab, und morgen ist Schulschwimmen und Training, und dann flossen Tränen, weil meine Schwester am Telefon sagte, Herr H. solle es im Zweifelsfall aufkneifen und hinterher reparieren lassen und dann musste ich tatsächlich aufstehen, denn ich habe zwar wenig Bezug zu Schmuck, aber so ein Armband auffummeln, das ist natürlich Ehrensache.

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