19.03.2022

Eine meiner Aufgaben auf dieser Welt ist ja ehrenamtliches Breitensport-Marketing, und da die Sportart Fußball ja weitläufig bekannt ist, habe ich vor sieben Jahren mein Kind gebeten, den weitaus besseren Sport zu wählen, nämlich – ich möchte Sie nicht langweilen – Handball. Meine persönliche Begeisterung für diesen Sport ist hinlänglich bekannt, ich war von 6 bis 18 selber manchmal torgefährlich.

Dieses Wochenende war handballtechnisch perfekt, also für uns Eltern, das Kind wird vermutlich noch ein paar Tage mit Eispacks auf diversen Körperteilen irgendwo liegen, und ich werde es bedienen. Perfekt in erster Linie deshalb, weil es drei Spiele binnen 24 Stunden gab, und nachdem das letzte Spiel vorbei war, war das Wochenende noch gar nicht vorbei, es ist nämlich erst Samstag, und morgen haben wir frei. So richtig. Urlaub. Das erste Spiel war gestern abend, ein Nachholspiel, dessen regulärer Termin von der gegnerischen Mannschaft einst abgesagt wurde. Der Gegner war körperlich und spielerisch sehr unterlegen, und deshalb, ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, war dank wirklich miserabler Schirileistung das Ganze 40 Minuten lang eine Qual, für alle. Im Angriff hatte der Gegner eigentlich überhaupt keine Chance, an unserer Abwehr vorbei zu kommen, in der Abwehr hatte man sich überlegt (die Jungs kennen den Gegner seit 7 Jahren, und sie haben sich in all der Zeit nix anderes einfallen lassen), sich einfach an die größeren und stärkeren Jungs immer zu dritt dranzuhängen, wenn man drei Gegner quasi auf dem Arm hat, kann man ja nicht werfen. Nun hat der Schiri leider wirklich nicht gut gepfiffen, der Trick ist nämlich, dass man, wenn ein Spiel sich so aufbaut, von Anfang an progressiv strafen muss. Wenn man also immer die gleiche Regelwidrigkeit begeht, in diesem Fall war das Klammern und Ringen, es wirkte phasenweise eher wie Griechisch-Römisch als Handball, dann kann man natürlich einfach immer Abpfeifen, was im Zweifelsfall ja der bestraften Mannschaft zugute kommt, weil ein Spielzug immer wieder unterbrochen wird, aber irgendwann muss man vielleicht mal etwas weiter eskalieren und beginnen, Spieler vom Feld zu schicken. Dann ist das häufig sehr schnell erledigt und alle spielen wieder die richtige Sportart. Der Schiri gestern begann allerdings erst in der 35. von 40 Minuten damit, und dann war es eigentlich schon sehr aus dem Ruder gelaufen. Schön zu sehen war, dass Ona, der sonst eher einer ist, der lieber klug spielt als grob (das soll kein Lob sein, seine Mutter war auch lange größer und stärker als die Gegnerinnen, ich habe einfach alle umgerannt), irgendwann wirklich böse war und dann mit allen, die an ihm dranhingen, trotzdem geworfen hat. Besonders stolz war er im Nachhinein auf das Tor, das er warf, umklammert von exakt drei Gegenspielern. Das ist eine Synapse, die sich erst in dieser Saison gebildet hat. Dadurch, dass er bislang ja immer der weitaus Größte auf dem Feld war (ein Mannschaftskollege hat ihn neuerdings eingeholt und ist noch eine Ecke breiter als er), konnte er nie umgerannt werden, kann aber selber hervorragend einfach überall durchrennen, wer sollte ihn aufhalten, und wie? Das erfordert aber Mut, und den hat er erst mit dem neuen Trainer entdeckt, scheint es. Letztes Wochenende ist sein Gegenspieler im Angriff volle Wucht in ihn reingelaufen, bei Ona wackelte nicht mal die Frisur, der Gegenspieler flog beeindruckend weit zurück. Ein Vater auf der Tribüne kommentierte die Szene mit „Ja, wenn man mit der Vespa die Straßenbahn rammt, nicht?“ So ungefähr war das. Auch neu ist, dass er vom neuen Trainer nicht mehr gefragt wird, ob er 7 Meter werfen möchte. Das wollte er nämlich nie, weil er den Druck nicht so ansprechend fand. Also hat er immer den Ball weitergegeben. Der neue Trainer ruft einfach rein „Jonathan wirft“ und möchte das dann auch nicht diskutieren, und da er ja nicht werfen möchte, guckt er, dass er es schnell hinter sich bringt und wirft quasi zeitgleich mit dem Anpfiff, und das ging an diesem Wochenende immerhin vier mal gut. Teil des Erfolges ist sicherlich, dass der Torwart nicht davon ausgeht, dass es sofort losgeht. Aber gut. Quote 100%, und so sagte er eben nach dem Spiel kleinlaut: „Ja, okay, ich werfe jetzt auch 7 Meter.“

Wo war ich? Ach ja. Anstrengendes Spiel, nicht progressiv gepfiffen, dadurch immer unfaireres Spiel auf der Gegenseite, viele Situationen, wo Onas Mannschaft wirklich viel abgekriegt hat, aber dennoch 21:18 gewonnen. Es gab in den letzten Minuten doch noch viel Gelb, zwei Minuten für unseren eigentlich sehr feinstofflichen Trainer, den man sonst nie hört (zum Glück total egale Strafe, er hatte gemotzt, weil G., Onas Buddy, einen Schlag ins Gesicht bekam, was durchaus sehr motzwürdig war, dann war der sehr schlecht gelaunte Schiri sauer, gab ihm 2 Minuten, die er selber aber ja gar nicht ausführen musste, in dem Fall kann man einen Spieler vom Feld nehmen, da in der D-Jugend die 2 Minuten aber noch reine Personenstrafen sind, führen sie nicht zu Unterzahl und der bestrafte Spieler muss ausgetauscht werden, und da wir immer zu acht anreisen, sitzt eh immer einer auf der Bank, also wurde ein Spieler vom Feld genommen und der Auswechselspieler ging aufs Feld, ich weiß nicht, ob Sie noch dabei sind, aber: War egal.) Eine Beobachtung in dem Spiel übrigens war Folgendes: Unser Trainer rief mehrfach vom Rand „Lass ihn werfen“. Das ist sehr schlecht fürs Ego, wenngleich natürlich berechtigt. Der Gegenspieler war sehr wendig und hat sich oft in die Lage versetzt, werfen zu können, dummerweise konnte er aber halt nicht gut aufs Tor werfen, und naja, stimmt schon, da unser Torwart sehr gut ist, war ein Teil der Taktik, diesen Jungen sehr oft den Angriff mit einem schlechten Wurf beenden zu lassen. Das war für uns gut, für den Jungen, der das vielleicht auch immer hörte, sicher nicht so gut fürs Selbstbewusstsein.

Heute morgen war dann das reguläre Wochenendspiel mit seiner regulären Mannschaft, und der Gegner war zwar in der Tabelle vor Onas Team, aber als wir in Minute 3 schon 4:0 führten, entwickelten die Jungs eine gewisse Spielfreude. Ich kürze ab. 17:11, und auch nur, weil der Schiri der Trainer der gegnerischen Mannschaft war (was eigentlich NICHT in Ordnung ist und ein schon mehrfach so gespielter Trick: Es wird kein Schiri bestellt, dann muss die Heimmannschaft einen stellen, und der pfeift dann sehr fragwürdig. In der Hinrunde hat Onas früherer Trainer gepfiffen. Als Revanche. Wir haben uns auf der Tribüne teilweise geschämt, so parteiisch war das. Ich habe hinterher angemerkt, dass ich das lieber anders hätte, denn, so wie wir heute sahen, gewinnen sie ja auch, wenn parteiisch gepfiffen wird.) Von den 11 Gegentoren hätten 4 abgepfiffen werden müssen, 2 waren Schritte (man darf nicht mehr als zwei Schritte mit dem Ball in der Hand laufen) und eins war Kreis (die 6-Meter-Linie um das Tor darf nicht betreten werden, schon gar nicht einen Fuß lang). Das Spiel war super, denn selbst mit dem maximal parteiischen Schiri, der uns mehrere Tore weggepfiffen hat (wenn die Abwehr zu doll ran geht, wird abgepfiffen und es gibt einen Freiwurf, wenn der Angreifer sich trotz dreier Klammeraffen bis zum Wurf durchkämpft und wirft, sollte der Schiri erst gucken, ob er trifft, den Freiwurf kann er dann immer noch geben.) Man kann aber natürlich auch laufen lassen, bis der Ball schon fast im Tor ist, und wenn man sieht, dass der Wurf saß, dann schnell abpfeifen und einen Freiwurf geben. Dann ist das Tor halt weg. Cool ist das nicht, aber wenn man das konsequent macht, steht es hinterher halt 17:11 und nicht 25:4. Na gut. Jedenfalls war ab Minute 3 klar, dass man gewinnen wird, es war dennoch anstrengend, aber – und ich bin ja eine kritische Person – es haben alle wirklich ganz großartig gespielt und die Tribüne war sich einig: Das war das beste Spiel, das wir in dieser Saison gesehen haben, es war einfach großartig, was sie gemacht haben.

Entsprechend groß war die Freude und Motivation der Jungs, als sie fertig waren und dann hörten, dass um 17:30 Uhr noch ein C2 Spiel sei, und die Mannschaft sei quasi komplett krank. Wir hatten das eh geplant, da Ona, sein Kumpel G. und J. standardmäßig dort auch spielen, aber voila, um 16:45 Uhr lief die Mannschaft zum Warmmachen in die Halle und war die komplette Besetzung vom Morgen plus zwei Stammspieler aus der C. Dummerweise – ich hatte das neulich ja schon berichtet, ist das in der C halt manchmal so, dass die Gegner halt im Januar 2007 geboren sind und 4,30 Meter groß. So auch heute. Und so kann abschließend gesagt werden: Der Gegner spielte krankheitsbedingt mit nur 6 statt 7 Spielern, und unsere Mannschaft hielt sich tapfer, gewann letztendlich auch mit 21:17, was die Gegner nicht erwartet hatten, und die altbekannte Konfiguration von Eltern auf der Tribüne war in erster Linie erstaunt, wie groß die Kinder morgens auf dem Feld aussahen, und wie klein abends. Ona wollte eigentlich auf der Bank sitzen bleiben so lange es geht, da er morgens schon 3 7-Meter erspielt hatte durch schwer gefoult werden, aber jeder Zentimeter zählte, um nicht von die Riesen komplett überrannt zu werden, und so spielte er doch 30 von 50 Minuten, war dann aber so malade, dass er nach einem Treffer, der härter erkämpft war als alle anderen aus den beiden Spielen davor, auf die Bank wollte und durfte. (Die D spielt 40, die C 50 Minuten). Die Gegner wurden dann irgendwann sehr pubertär und schlecht gelaunt, da sie vermutlich davon ausgegangen waren, gegen die Kleinen auch zu sechst zu gewinnen, aber wir waren klein, aber viele, und so gab es zum Abpfiff von dem größten und pubertärsten Gegner noch einen Stinkefinger und ein „Ihr Pisser“ auf unsere Tribüne (und nein, wir sind nie unfair, glauben aber daran, dass man den Angriff zum Tor klatschen kann), und dann war es vorbei, drei von drei gewonnen, Kind muss sich sehr erholen, jetzt noch Urlaub, und dann war alles schön. So handballtechnisch.

Sie geben einem ja so viel zurück, aber das Beste, was mein Kind in seinem Leben jemals für mich getan hat, war im Alter von sechs Jahren der Wechsel vom Fußball zum Handball. Ich weiß, dass es viel mehr Fußball- als Handballeltern gibt, und ich fühle sehr mit Ihnen. Vielleicht sollte ich zukünftig die Blogeinträge nach einem Handballwochenende immer mit einer Content Note versehen, damit niemand traurig ist. Ich habe Fußballmutti gehasst. Abgrundtief.

9 Gedanken zu „19.03.2022“

  1. Ich las das gerade mit großem Vergnügen, die Begeisterung sprüht förmlich aus dem Text heraus!
    Und ich hab mit Sport jeglicher Art so gar nix am Hut 🙂

  2. Ich habe den Text gelesen während meine Tochter gerade, wie passend, bei einem Fußballspiel antritt. Ich habe mein möglichstes getan, um diesen Sport zu verhindern aber irgendwie ist es vor drei Jahren doch passiert. Wobei ich unsicher bin, ob ich mit Handball so viel glücklicher wäre (früher auch gespielt). Ich glaube, dieses ganze Vereinsthema und die damit verbundenen Kontakte liegen mir nicht so sehr.

    • Lustigerweise ist die Elternschaft in unserem Verein nur zusammengesetzt aus Familien, die exakt so sind wie unsere. Vielleicht ist das pädagogisch gar nicht gut, da man, insbesondere das Kind, immer in der gleichen Blase schwimmt. Andererseits macht es mir sehr viel Freude, mit 7 anderen Elternpaaren auf der Tribüne zu sitzen, die in genau der gleichen Welt leben, wie wir. Es ist ein zweischneidiges Schwert. (Der häufigste Name in allen männlichen Jugendmannschaften ist übrigens … Jonathan. Jede Mannschaft hat mindestens zwei.)

  3. Ich verstehe die Liebe zu diesem Sport. Die Mannschaft unseren Gymnasiums war ziemlich gut im Handball, so dass ich selbst (die Ballspiele nur geht so selber spielen mag) oft zu Spielen gegangen bin und angefeuert habe. Es ist halt ein schöner schneller eleganter Sport.

    Und ich mag sehr die stolze Mutterliebe die hier und da im Artikel aufblitzt! 🙂

  4. Schön, schnell, elegant, und es braucht viel Biss, etwas, was man von klein auf hat, dann lernt man, dies in der Mannschaft zu kanalisieren, denn manchmal steht ein Mitspieler besser zum Tor, und dann muss man den anspielen, statt selber zu werfen, oder man lernt, dass man selbstbewusst in Zweikämpfe gehen muss, und was die eigenen Stärken sind und wie man sie nutzt. Ona ist der zweite Typ, er hat sich alles erarbeitet, und ja, da bin ich durchaus stolz auf ihn. (Und klug spielen ist auch immer besser als dumm spielen. Ich glaube, das ist in allen Mannschaftssportarten so, aber insgesamt ist Handball für mich der perfekte Sport. Und das sage ich natürlich nicht nur, weil ich selber so lange gespielt habe, versteht sich.)

  5. Schöner Bericht. Meine Tochter ist, seit sie acht Jahre alt ist, begeisterte Eishockeyspielerin. (Mein Sohn musste dann eher notgedrungen auch, war aber okay, er hat dann darauf bestanden Torwart zu werden). Und jetzt ist sie schon viele Jahre als Schieri unterwegs und, obwohl ich selbst diese Begeisterung nur wenig nachvollziehen kann, kann ich inzwischen quasi auch das Spiel „lesen“ und verstehe gute Schiedrichterinnen. Heute habe ich mir sogar einen Livestream angeschaut, in der ihr Wiener Team von den Budapesterinnen verdroschen wurde. Immerhin kann man das heute und durch die Pandemie habe ich diese Möglichkeiten sehr schätzen gelernt. (Ich habe meine Kinder in den letzten zwei Jahren nur zweimal gemeinsam sehen können, leider, wir mögen uns eigentlich sehr gerne).

  6. Ewig les ich mit Vergügen mit und habe wenigstens hier nachdem Vanessa Gieße ihren Handballcontent wohl eingestellt hat, hier dann wieder ein wenig (oder auch ein wenig mehr) davon. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, schlimm wird es wieder, wenn länger schlafen nach abendlicher Party oder den ganzen Tag mit Freund/Freundin zu verbringen die zweiten oder auch dritten Spiele am Wochenende ersetzt. Man möchte fast dann ohne eigenes Kind trotzdem zuschauen 😉

    Zuletzt noch ein Hinweis auf § 22 Spo DHB (https://www.dhb.de//?proxy=redaktion/DHB-live-/Storage/Dokumente/2021/211129_DHB-Spielordnung.pdf). Das dritte Spiel wäre wohl als verloren zu werten. Wenn schon malada, dann wenigsten ohne Risiko, dass sich das am End enicht lohnt.

  7. Danke für den Link, das war gestern schon aufgefallen. Ist natürlich alles blöd, wenn jedes zweite Wochenende Mannschaften nicht spielen können, weil die Hälfte krank ist, und dann wird nachgeholt, und die Hälfte ist gesperrt. Naja. Geht ja um nix (und malade war er nach 2 Fouls, ist aber alles wieder verheilt.)

  8. Wir sind zwischen Ruhrgebiet und Münsterland evtl. schon etwas weiter mit der Durchseuchung. Nächstes Wochenende nochmal und dann ab 30.4 gehts wieder los

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