31.05.2023

Ich sitze am Schreibtisch, und Siri spricht wieder ungefragt zu mir, oder zu dem Podcast, den ich gerade nebenher laufen habe. Ihr heutiger Beitrag: „Weise ist der, der wenig verlangt“.

Was Siri nicht weiß, ist Folgendes: Weise ist die, die aus Versehen richtig guten Smalltalk macht. Was nämlich im Vorfeld passiert war: Ich habe eine Vertragsverlängerung absolviert, mit einem netten Herrn in den USA, der mich nicht kennt, der meine Kund:innen nicht kennt, der gar nicht weiß, was ich mache, aber der mit mir kurz darüber sprechen wollte, ob ich nicht einen kleinen Rabatt geben könnte. Nun können wir an dieser Stelle natürlich abkürzen. Niemand möchte freiwillig einen Rabatt geben, ich mache das ja nicht (nur) zum Spaß, sondern, weil ich einfach sehr gerne in Urlaub fahre. Und Essen kaufe.

Im Prinzip sind Procurement-Verhandlungen ja wie Paartanz, und ich kann besser verhandeln als tanzen, allerdings nicht, weil ich so super verhandele, sondern weil ich ein paar Tricks gelernt habe, die oft dazu führen, dass am Ende alle zufrieden sind. Ich gebe die natürlich hier nicht preis, vielleicht muss ich ja irgendwann mal mit Ihnen verhandeln über irgendwas, aber der Haupttrick, den vermutlich alle kennen, die jemals mit Konzern-Einkäufen zu tun haben, ist: Man schreibt ein Angebot, setzt da Stundensätze rein, die 6% über dem sind, was man eigentlich haben möchte, dann sagt der Einkauf „Oh oh, bitte noch mal über die Stundensätze gucken“, und dann geht man 5% runter, und dann ist alles schön, und vermutlich lacht der Einkauf sich immer kaputt, weil man auch mehr bezahlt hätte, aber die Dienstleisterin lacht sich ja auch kaputt, und wenn alle lachen, ist ja alles gut.

Jedenfalls wird so etwas gerne alle paar Jahre erneuert, heute war die Erneuerungsrunde, und ich sag’s mal so: Mein Plan ging auf, allerdings passierte zwischenmenschlich etwas, was ich so nicht erwartet hatte. Ich hatte den Termin mit Jonathan, okay, how nice, my son is called Jonathan, und schon menschelt es. Jonathan kam aus Prag, how nice, I just went there, beautiful, blabla, dann die Geschichte von der Taxifahrt, oh well, lach lach, dann irgendwas zu meinem Lebenslauf, dann die Frage, ob ich Niederländisch spräche, dann weiter im Text auf Niederländisch, Jonathan hatte lange dort gelebt, dann zurück zu Englisch und zum Thema, ich spielte den wirklich einzigen Trumpf, den ich hatte, er zog sofort, dann die schriftliche Vereinbarung, Trumpf noch mal gezogen, wieder geklappt und „Kompromiss“ erwirkt, und dann zack, alles geregelt. Und ich sag’s mal so: Ich kenne das auch viel unangenehmer. Ich werde zukünftig einfach immer lügen. Mein Sohn wird immer den gleichen Namen wie der Procurement Guy tragen, und wenn es Ewald ist – egal. Oder ich habe eine Tochter, auch schön. Und ich werde immer am liebsten dahin in Urlaub fahren, wo der Procurement Mensch herkommt. Und jetzt muss ich noch ganz viele Sprachen lernen, und dann werde ich nur noch menschelnd verhandeln.

9 Gedanken zu „31.05.2023“

  1. Das kenne ich beim Kleidungs-/Schuhlauf, dass Verkäuferinnen erzählen: Ja, das habe ich auch (evtl: in einer anderen Farbe o.ä.)!
    Und dann haben wir uns beim Gebrauchtwagenhändler ein blaues Auto angeschaut, und der Verkäufer schwärmte, er hätte das gleiche in rot und wäre sehr zufrieden – da hatte ich doch so meine Zweifel.
    (Wir haben das blaue Auto gekauft und finden es gut)
    Gratulation zum Verhandlungserfolg!

    • Ich hatte das auch! Mit einer Verkäuferin mit kleinen Brüsten (BH-Körbchen A? B? C?), die angeblich wie ich eine Brustverkleinerung durchführen lassen wollte (Körbchen weiter hinten im Alphabet;)) und ich war fassungslos… Das war so unpassend und unsensibel, und sie hat es nicht mal gemerkt…

      • Meine Güte, wie schrecklich. Aber zwischen „Mein Kind heißt wie du“ und „Sie wollen sich bestimmt die Brüste verkleinern lassen, ist ja klar, wollte ich auch“ sehe ich noch mal einen wesentlichen Unterschied. Hoffentlich haben Sie wenigstens gut verhandelt.

      • Wenn man hier einen dumm guckenden und einen augenrollenden Smiley einfügen könnte, wäre das der Moment. Ich mein… ich bin ja selbst ein praktizierendes Gesprächs-Trampel, aber das? Was ist nur mit diesen Leuten los?

        • Och, Leute die Smalltalk über wie auch immer geartete Probleme machen, denken nicht über Verhältnismäßigkeit nach. Meine Mutter (Abstand zum Enkelkind 900 km) jammerte ausgerechnet bei der in Deutschland arbeitenden Mongolin darüber, dass Tochter und Enkel so weit weg sind. Immerhin hat sie es nach der sparsamen Reaktion gemerkt.

          • Ups. Das ist finde ich ähnlich unpassend.
            Danke für die Kommentare, mich hat das so schockiert, dass ich da leider überhaupt nicht reagiert habe, sondern fassungs- und sprachlos war.

  2. Gab es ein vergleichbares Vorgehen nicht mal als Film mit Woody Allen in der Hauptrolle? „Zelig“? 😉

    • Das kann absolut sein. Lohnt es sich, den Film zu gucken, um das zu überprüfen? 😉

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