Heute bin ich sehr sehr müde. Außen im Körper und innendrin, der Teil meiner Person, der heute abend Koffer packen muss, möchte viel lieber schlafen. Nun kann ich natürlich einfach schlafen, muss aber gleich zum Schnelltest, und allein die Tatsache, dass ich irgendwann irgendwo sein muss, drückt seit dem Aufstehen die Stimmung wie verrückt.
Dabei war gestern doch so ein aufregender Tag. Morgens nach dem Aufstehen präsentierte Jonathan mir seinen ausgefeilten Plan des Nichtstuns und wie ich an welcher Stelle da Teil von sein sollte. Ich war nicht vollständig überzeugt und benutzte schwarze Pädagogik, um ihn davon zu überzeugen, mit mir schnorcheln zu gehen. Da ich allerdings statt zwei Brillen, zwei Masken und vier Flossen lieber nur eine Brille, einen Schnorchel, 7 Shirts und 5 lange Jeans eingepackt hatte (um dann eine Woche lang in den gleichen paar Kleidern hier rumzusitzen) mussten wir Equiment mieten. Der Plan war: Wichtige Dinge in die wasserdichten Handyhüllen, dann Sachen mieten und so weit wie irgend möglich von dem überfüllten Strand mit der lauten Musik wegschwimmen, ein paar Kilometer weiter an einen ruhigen Strand anlanden und da dann so lange zu sitzen, bis der Handyakku gebietet, dass wir zurückschwimmen. Am Wassersportservicepunkt angekommen lernten wir, dass sie keine Flossen vermieten, und dass die Maske 10 Euro pro Stunde Leihgebühr kostet. Da ich mich so auf mindestens 6 Stunden eingestellt hatte, allerdings mit Flossen, um auch Meter zu machen, lehnte ich dankend ab und ging weiter zur Tauchschule, die Flossen draußen rumstehen hatte. Der 63jährige Tauchtyp beantwortete meine Frage, ob ich was zum Schnorcheln bei ihm leihen könne mit dem Satz: „You should go diving.“ Was genau dann passierte, kann ich gar nicht sagen, jedenfalls zögerte ich keine Sekunde und sagte „Maybe I should.“
Mir war natürlich klar, dass Schnorchelkönig Ona das sofort machen wollen würde, mir war überhaupt nicht klar, dass ich das machen wollen würde. Bislang hatte ich den Gedanken noch nie. Zwei Sachen sprechen eigentlich nämlich dagegen. Erstens bin ich wirklich sehr schlecht in Druckausgleich, ich bin jahrelang nur mit so komischen Ohrstöpseln geflogen, weil mir sehr oft bei der Landung das Ohr zugegangen ist und ich dann tagelang nix gehört habe und Ohrenschmerzen hatte. Mir schien Tauchen keine gute Idee. Außerdem hatte ich in den letzten Jahren so kurze Perioden, in denen ich anlasslos beim Schnorcheln nicht gut, also gar nicht, atmen konnte. Sobald das Gesicht unter Wasser war, konnte ich schlichtweg nicht einatmen. Beim letzten Versuch klappte das zwar wieder, dennoch ist das natürlich keine gute Voraussetzung dafür, 10 Meter tief zu tauchen. Bei der Entscheidung, tauchen zu gehen, hatte ich das wohl vergessen, beim Ausfüllen der nötigen Formulare fiel mir das allerdings alles wieder ein. Also erklärte ich eher länglich, dass es ein gewisses Restrisiko gibt, dass ich einfach oben bleibe, sollte ich merken, dass mich das alles stresst.
Zudem hatte ich noch mehrere Stunden Zeit bis zum Tauchgang, also lieh ich mir Onas Maske und Schnorchel, ging zurück aufs Zimmer und schwomm dort Bahnen mit Maske und Schnorchel. 30 Minuten, in denen ich nichts anderes gemacht habe als „Einatmen, Ausatmen“ denken. Bis an den Punkt, wo der Puls ganz ruhig wird und die Atmung gleichmäßig, dann weiterschwimmen, mit dem guten Gefühl, mich auch 30 Minuten unter Wasser selbst ganz ruhig atmen zu können. Und überhaupt. Atmen.
Sehr optmistisch gingen wir also zu unserem Termin zur Tauchschule, bekamen die Einweisung in die Ausrüstung und die Gesten unter Wasser, zogen uns die Neoprenanzüge an und waren dann doch sehr überrascht, wie schwer Luft sein kann, wenn man sie sich in Form eines Lungenautomats auf den Rücken schnallen muss. Dann legten wir die Strecke meiner Träume zurück, nämlich im Neoprenanzug mit 100 Kilo auf dem Rücken und nackten Füßen zwischen Millionen Touristen über heißen Kies ins Meer, dort gab es einen wirklich sehr guten Flossenanziehservice, den ich mir für den Privatgebrauch gemerkt habe, und dann ging es los. Tauchlehrer Ahmet zeigte mir noch fünfmal das Handzeichen für „Hilfe, ich muss sofort gerettet werden“, und dann ging es runter.
Die ersten zwei Atemzüge gingen nicht gut, ich tauchte wieder auf, visualisiert mich beim Bahnenschwimmen zwei Stunden vorher und tauchte dann eine Stunde lang. Angekündigt waren 6 Meter Tiefe, letztlich tauchten wir auf 10 Meter. Nach ein paar Minuten hörte Ahmet auf, uns permanent zu fragen, ob alles okay sei, weil erstens alles okay war und wir zweitens einfach immer proaktiv das Handzeichen machten, damit er uns in Ruhe lässt. Den ersten Druckausgleich musste ich schon nach einem Meter machen, klappte aber auf beiden Ohren, und gefühlt brauchte ich einen pro Tiefenmeter. Alle geklappt. Atmen war unspektakulär, ein paar Mal wurde mir kurz unwohl, weil ich Ona nicht neben mir sah. Toter Winkel durch Taucherbrille, ein Thema, das in der Gesellschaft zu wenig besprochen wird. Ich fand mein Kind unter Wasser übrigens spektakulär schön. Aber ich bin befangen.
Zu sehen gab es nichts. Ein paar Feuerfische, ein paar mehr sehr langweilige Fische, ein bisschen Müll am Grund. Unspektakulär und nicht schön. Für Leute, die gucken wollen statt tauchen lernen sicherlich nicht reizvoll, für uns total okay, da Ona alles schön fand und ich einfach mit mir und dem Meer beschäftigt war.
Nach einer knappen Stunde tauchten wir wieder auf, ich hatte Kreislauf sowie das Gefühl für unten und oben komplett verloren und musste dennoch in full gear über den heißen Strand zur Tauchhütte zurücktaumeln, trat in eine Glasscherbe (und kann jetzt wirklich schlecht laufen, da mein Fuß gefühlt in der Mitte durchgeschnitten ist, danke dafür Touristen!) und fiel dann letztendlich nach dem Ablegen der Sauerstoffflasche einfach auf einen Stuhl. Der Teil des Taucherlebnisses müsste für meinen Komfort sehr geändert werden. Ich bräuchte einen Kran, der mich aus dem Wasser schweben lässt und mich dann auf einer Liege ablegt, auf der ich zurück zum Ausgangspunkt gerollt werde. Dann wär’s perfekt.
Nach dem Auftauchen war Ahmets allererste Reaktion übrigens „You two are like fucking fish“, gefolgt von der vermutlich allen zahlenden Kunden mitgeteilten Beobachtung, wir hätten eine großartige Hydrodynamik (danke an Vanessa Giese für den Hinweis, dass Robben auch großartige Hydrodynamik haben, ich fühle mich denen auf vielen Ebenen sehr verbunden), gefolgt von einer unangemessen langen Exploration seines völligen Unglaubens, dass ich so „stark“ gewesen sei und so cool und so entspannt. Eventuell wirkte ich im Vorfeld wieder „tense“, vielleicht einfach nur wie die allerletzte Idiotin aus dem Nichtschwimmerbecken, man weiß es nicht. Aber es ist ja auf jeden Fall schön, Leute mit Overperformance zu überraschen. Andersrum wäre blöder.