Es gibt einen unvorhergesehenen Leerlauf, was vielleicht das Schönste an dieser Reise ist, denn das ist ja etwas, was Frau N und ich in unserem echten Leben nie haben. Wir haben seit heute morgen schon wieder nur gegessen, das gab mir zu denken, insbesondere, dass der Körper sich daran so schnell zu gewöhnen scheint. Ich habe Sorge, dass ich zurück in Deutschland dreimal am Tag Ente mit Knödeln und Rotkohl essen werden muss, um zufrieden zu sein. Das wäre auf sehr vielen Ebenen nicht das, was ich mir für meine Zukunft wünschen würde.
Jedenfalls saßen wir im großen böhmischen Kaffeehaus und aßen Torte, um der Ente etwas entgegenzusetzen, und dabei fiel mir auf, dass wir uns zwar seit 1,5 Tagen wirklich ganz hervorragend amüsieren, dass das aber ausschließlich am vielen Essen und den Unterhaltungen liegt. Das könnte man ja ohne Urlaub auch herstellen, diese Situation, also wollte ich etwas Urlaubiges machen. Ich googelte nach einer Abendveranstaltung und fand eine Schiffstour auf der Moldau mit Buffet und Livemusik. Der Preis war sehr angemessen, und das würde uns die Gelegenheit bieten, einfach wieder irgendwo zu sitzen und zu essen und dennoch ein Touristenerlebnis zu haben, und das fand ich sehr smart. Die Bewertungen des Erlebnissen waren teils durchwachsen, wir entschieden aber, dass uns das nicht betrifft, da wir ja auch Erlebnisse, die schlecht sind, gut genießen können, und dass wir einfach Endgeräte mitnehmen und vor Ort davon berichten, wenn uns langweilig wird. Frau N buchte also, soeben wurde storniert, und das ist die Situation, in der Frau N regelmäßig komplett über sich hinauswächst, denn selbst wenn sie nicht so euphorisch war wie ich, möchte sie sich auch nicht von anderen Menschen sagen lassen, dass sie nicht bootfahren darf.
Jedenfalls merkte ich eben, dass ich vor der Abreise angekündigt hatte, noch zu erzählen, was mir in früheren Jahren in Prag Lustiges passiert ist, aber außer der „You are a linguist“ Geschichte fiel mir keine mehr ein. Jetzt weiß ich sie wieder. Ich habe sie Frau N schon probeerzählt und kann daher Erwartungsmanagement betreiben. Sie sind offensichtlich deutlich lustiger, wenn man sie erlebt hat.
Die Amis, die ich 2007 auf der Konferenz in dem Internetcafe kennengelernt hatte, waren wie ich Doktorand:innen in der Computerlinguistik von der Brown Uni, USA, und wir verbrachten die Konferenz zusammen. Sie waren für ein Jahr in Prag, um dort mit dem CL-Professor an einem Projekt zu arbeiten. Etwa einen Monat später organisierten sie eine Einladung, ich sollte einen Vortrag halten, also reiste ich wieder nach Prag, saß aber wieder nur in der Uni rum. Wir beschlossen einen Privatbesuch im Frühling (es war kurz vor Weihnachten), und ich reiste mit meinem Kollegen Pepijn, der auch gerne nach Prag wollte, mit dem Auto dorthin, wir blieben eine Woche dort und nahmen dann auf dem Rückweg drei der vier Amis mit nach Leiden, wo sie mich dann eine Woche besuchten.
Auf der Anreise hielten Pepijn und ich kurz vor der Grenze an einer bayerischen Tankstelle und standen in der Schlange, um mich rum redeten viele sehr alte Leute, und ich sagte: „Guck mal, wie schön, hier sprechen schon alle Tschechisch“, Pepijn korrigierte mich, das sei Bayerisch. Wenn man nur Edmund Stoiber kennt, oder wer damals da war, dann denkt man ja, Bayerisch sei wie Deutsch, man sagt nur Semmeln und Grüß Gott. Aber dem ist nicht so, weiß ich jetzt.
Dann saßen wir eines Abends in der wirklich riesigen, luxuriösen Wohnung der Amis, ich weiß nicht, wie das heute ist, aber Wohnen war wohl damals noch sehr günstig, und wenn eine amerikanische Ivy League Uni für vier Mitarbeiter:innen eine Wohnung mietet, kriegt man halt für das vorhandene Budget einen Palast mit Blick aufs Schloss. Dort wohnten wir also, und wir saßen eines Abends rum und plauderten, und dann las ich ein bisschen in dem vorhandenen Lonely Planet Reiseführer für Prag, der so einen Teil hatte, in dem die wichtigsten Sätze und Phrasen standen, die man ohne Mobiltelefone, es gab ja damals nix, immer zur Hand haben sollte. Es waren vielleicht 5 Seiten, und einer der Sätze auf der *ersten* Seite lautete: „I don’t mind watching, but I don’t want to participate“. Es ist 2022, und es bereitet mir noch immer sehr viel Freude, mir Szenarien für die Anwendung des Satzes auszudenken. Die dritte lustige Geschichte wird vertagt, ich muss ein schlechtes Event bewerten.