Boost

Da ich das Internet nur noch für schöne Dinge nutze, rege ich mich jetzt naturgemäß im echten Leben ein bisschen mehr auf, so zum Beispiel über die Abschaffung der Maskenpflicht in den Schulen, unter anderem in NRW. Ich formuliere freundlich und sage, dass ich das nicht für klug halte, und wie so oft in den letzten 1,5 Jahren bin ich durch und durch überrascht, nicht etwa davon, dass die Leute sich jetzt wie verrückt infizieren, gestern zum Beispiel erstmals über 50.000, und dass die Inzidenzentwicklung im schlechtesten Sinne atemberaubend (oh, das ist ja auch noch ein schlechter Wortwitz, ich bitte, den zu entschuldigen, ich mag nur das Wort ‚atemberaubend‘ ganz gerne) ist, sondern davon, dass die Politik sich die Mühe macht, so zu tun, als sei das eine gute Idee, wo das ja offensichtlich eine sehr schlechte Idee ist. Die 250 ist geknackt, und darauf wird in den Karnevalshochburgen seit 11.11 Uhr angemessen angestoßen. Mit Bützchen, versteht sich. In Jonathans (wie auch in vielen anderen) Schule ist drei mal die Woche Testroulette, gestern hat er wieder eine positive Banknachbarin gewonnen. Da er für sich entschieden hatte, weiter in der Schule die Maske zu tragen, fühlt er sich sehr darin bestätigt gerade, eine kluge Entscheidung getroffen zu haben. Ein Gefühl der Selbstermächtigung, von dem ich bei meinem Kind sehe, dass es auch in diese Richtung wirkt, nicht nur in der, die meine Lieblingspolitikerin Frau Gebauer uns immer einreden möchte. Mein Kind ist sehr zufrieden mit seiner Entscheidungsfreiheit.

Gestern abend wurde ich auf Twitter nach meinem neuen Pandemievermeidungssystem befragt, habe das dann ausführlich verargumentiert und mir anschließend gedacht, dass ich das auch hier noch einmal tun sollte. (Ich ordne häufig meine Gedanken beim Schreiben, und mit dem gestrigen Ergebnis war ich hochzufrieden. Ich habe ja selten das Gefühl, dass ich irgendwem irgendwas erklären müsste, ich glaube, das letzte mal hatte ich hier geteilt, wie man in NRW sein Kind aus der Schule halten kann, wenn man das Risiko für unüberschaubar hält…) Es ist nämlich so.

Wir befinden uns in Pandemiemonat 21, die Infektionen und Inzidenzen, die das RKI meldet, sind jeden Tag ein neuer Rekord, die Intensivstationen laufen voll, und zumindest die Menschen in Düsseldorf machen nicht mehr in Pandemie. Da ich jedoch eigentlich auch nicht mehr in Pandemie machen möchte, habe ich mir ein System überlegt, welches mir einerseits die Möglichkeit gibt, am Leben in der Form, wie ich es wünsche, teilzunehmen, und andererseits dafür sorgt, dass meine Familie heil da durch kommt. Zumindest im Rahmen unserer Möglichkeiten. Ein Restrisiko bleibt immer bestehen, das akzeptiere ich auch, ich bin gut in Statistik. Da ich nach wie vor aus Gründen über neue Daten, Studien und politische Entscheidungen immer auf dem neuesten Stand bin, erachte ich mein Modell übrigens als mindestens pseudo-wissenschaftsbasiert. Es beinhaltet die folgenden Komponenten:

1) Boostern. Wir haben noch keine Termine, wollen auch noch 4 Wochen warten, dann ist mir allerdings egal, wer uns wo auf der Welt boostert, die Zahlen aus Israel sprechen eine sehr klare Sprache. Wir werden geboostert. Und wenn Frau N uns impfen muss.

2) And that’s the big one: Mindestens bis zur Auffrischungsimpfung tragen wir FFP3 Masken, wenn wir uns unter Leute begeben. Die Hygienekonzepte werden zumindest in meiner Lebensrealität (UBahn, Zug, Theater, Konzert, Handballhalle) nicht oder angesichts der Inzidenzen und der Infektiösität der Delta Variante vollkommen unzureichend umgesetzt (Wedeln mit irgendwelchen QR Codes, Appell an die Vernunft, in den letzten Tagen ja mein neues Lieblingskonzept, der Appell, ich bin mir sicher, dass meine Mitmenschen alle supervernünftig sind, deshalb bin ich ja generell Menschen sehr zugewandt), und die pädagogischen Bemühungen der letzten 21 Monate, Menschen im Supermarkt, im Theater, in der Bahn oder in der Handballhalle zu sagen, sie mögen doch bitte ihre Scheißnase in ihre Scheißmaske stecken, halte ich für nicht mehr bewältigbar, zumindest nicht durch mich, also gilt jetzt das Gebot des Selbstschutzes. In meinem Fall die Entscheidung, konsequent in Umgebungen, wo mir die Situation nicht kontrolliert scheint, FFP3 Maske zu tragen, und zwar ohne Unterbrechung. Das bedeutet auch, dass es leider keinen Sekt vor der Vorstellung gibt, aber immerhin gibt es am Samstag eine Vorstellung, sogar mit Hase und Schnecke, also meiner Mutter und ihrem Bekannten, und das an sich ist doch schon toll, das hätte sich im März 2020 ja niemand vorstellen können, dass wir bei einer Inzidenz von, rechne rechne, über 300 noch ins Theater können. (Die Senioren sind übrigens geboostert). Im öffentlichen Raum essen und trinken geht folglich nicht, alles andere sehr wohl doch, ich fahre weiter auch im Berufsverkehr Bahn und setze mich im Zweifelsfall auch bei Menschen auf den Schoß, solange die Maske gut sitzt. Und das mache ich jetzt so lange so, bis alle, für die ich verantwortlich bin, geboostert sind, und dann sehen wir weiter. Im privaten Kreis setze ich auf 2G+, damit man weiter zusammen essen kann.

3) Verstärkter Versuch, nicht mit dem Auto gegen den Baum zu fahren, ich denke, unsere Krankenhäuser sind gerade mit anderen Dingen beschäftigt, und sollte ich jemals so richtig böse in ein Krankenhaus müssen, möchte ich dann bitte sofort alle Spots on me, jetzt ist also nicht der Moment. Ich werde wohl in den nächsten Wochen mit Frau N wieder einführen müssen, dass man sich vor Autofahrten daran erinnert, dass man nicht ins Krankenhaus kommen darf. Auch hier ist ein gewisses Restrisiko, das ist mir schon klar.

Und so mache ich das jetzt. Und dann ist Weihnachten, da sitze ich geboostert unterm Baum, dann kommt der Frühling, und dann gehen die Zahlen wieder runter und, naja, irgendwann ist ja auch die ganze AfD eins der 2 Gs.

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