11.01.2024

Es geht bergauf, es geht bergauf, aber doch langsamer, als ich dachte, und auch der baumlange Teenager liegt nach wie vor rum und rennt gar nicht ständig in die Küche, das ist ungewöhnlich. Der Arzt wollte uns heute noch einmal sehen, vielleicht wollte er auch nur über das gestrige Handballspiel sprechen, jedenfalls sollen wir mal das Wochenende noch in einer gemütlichen halbliegenden Position verbringen, dann sind wir hoffentlich gut.

Was ich aber eigentlich sagen wollte: Ich habe soeben an Correctiv gespendet, wenn Ihnen die Idee gefällt und Sie sich in der Lage sehen, möchte ich Sie nur ermutigen, das auch zu tun. Und dann lesen Sie – wobei hier ja viele kluge und informierte Menschen manchmal mitlesen, Sie kennen das ja vielleicht schon, aber sicher ist sicher – doch gerne die Recherche, die in den letzten Tagen in aller Munde ist. Es ist wirklich erschreckend, und ich bin ein unerschrockener Mensch, ich öffne Trikottaschen von 14jährigen Handballern zwei Wochen nach dem letzten Spiel, mir kann eigentlich keine:r was.

Aber das mit diesem unschönen Brei aus AfD, Identitärer Bewegung und Einzelidioten (die Werteunion verbuche ich jetzt mal unter Einzelidioten, weil immerhin ein Mensch aus der CDU, Marco Wanderwitz, versucht, Mehrheiten im Bundestag für ein AfD-Verbot zu finden), das ist wirklich schrecklich, erschreckend, unvorstellbar. Dass der versprochene Linksrutsch in den letzten zwei Jahren irgendwie ausgeblieben ist, okay, das ist leider so. Dass die AfD gefühlt täglich Prozentpunkte in Umfragen dazugewinnt, das ist leider auch so. Dass sich eine Gruppe formiert, die schrecklicherweise auch noch „Düsseldorfer Forum“ heißt und Menschen mit meinetwegen weit zurückliegendem Migrationshintergrund aus Deutschland vertreiben möchte, unerträglich. Dass die Medien so blöd sind und den Begriff „Remigration“ statt „Vertreibung“ oder „Deportation“ so übernehmen, meinetwegen auch „vernünftig eingeordnet“, nicht okay, da sollte jede:r vom Fach wissen, dass das so nicht gehen darf, wir besprechen doch neuerdings ständig die sogenannte Diskursverschiebung, wir können ja einfach mal nicht daran teilnehmen. Ich bleibe vorerst bei Deportation, das klingt nämlich genau so, wie es anscheinend gedacht ist.

Ich gehöre übrigens auch zu den Menschen, die sich einfach überhaupt nicht vorstellen können, dass sich so etwas wie das Dritte Reich noch einmal in Deutschland wiederholen könnte. Ich würde sogar sagen, dass ich das für komplett ausgeschlossen hielte, ich bin die Generation, die heute in den entscheidenden Positionen ist, und wenn alle so viel über das Dritte Reich in der Schule gelernt haben, wie ich, dann sollte doch allen klar sein, dass wir das nicht noch mal machen wollen, aus allen Gründen. Dann kommt aber wieder dieser kleine Moment, in dem ich mich frage, wann denn der Zeitpunkt wäre, einzuschreiten, und wie man „das doch hätte verhindern können“, es gab sicher auch vor 1933 irgendwelche klugen, weltoffenen Leute, die das gerne alles verhindert hätten, aber vielleicht haben sie den Zeitpunkt verpasst, und vielleicht konnte man sich damals auch noch nicht gut vorstellen, wie weit politische Systeme eskalieren können. Aber hey. Wir wissen doch, wie weit politische Systeme eskalieren können. Wir wissen doch, wie Deportationen aussehen. Wir kennen doch die Bilder von den Zügen, und wir kennen die Bilder aus Auschwitz. Wir, die wir jetzt in den gestaltenden Positionen sind, haben doch irgendwelche Eltern gehabt, oder immer noch, die sich noch an den Krieg erinnern. Die vielleicht Familienmitglieder verloren haben. Die sich vielleicht jahrelang in einem Kohlenkeller versteckt haben. Die keine Familie mehr haben, weil der Rest der Familie deportiert wurde. Wie kann das denn sein? Meine Mutter hat doch nicht umsonst dem leeren Stammbaum über ihr drei Kinder entgegengesetzt, die dann wieder Kinder gekriegt haben, um dann erstaunt so einen Artikel von einem „Geheimplan gegen Deutschland“ zu lesen und dann zu denken „Ja, das ist schon alles schlimm mit der AfD, die sollte man am besten verbieten“. Aber was, wenn wir den Zeitpunkt verpassen? Was denn dann?

12 Gedanken zu „11.01.2024“

  1. Gute Besserung! Und eine so feine Idee – ich habe es auf bluesky geteilt, natürlich mit Verweis auf die Ideenhaberin 🙂

  2. Nein, die Gesellschaft versagt! Wir, jede Einzelne Person von uns muss immer und überall Haltung zeigen, die Dinge auf den Punkt bringen und auch laut sein, wie Frau Herzbruch! Danke, dass Sie so schreiben!

    • So sehe ich das auch, wir sind die Gesellschaft! Wir müssen die Politik bedrängen, das Richtige zu tun und dieses schnell. Derzeit schicke ich an a l l e meine Kontakte den Link zur Campact Petition „wehrhafte-demokratie-höcke-stoppen“. Diese Petition erscheint mir einigermaßen aussichtsreich.
      Aufschlussreich sind die Reaktionen darauf, sehr vereinzelt möchte ich verzweifelt schreien „wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“!

      Es gibt Menschen, die stolz darauf sind, noch nie demonstriert, noch nie eine Petition unterschrieben zu haben, sich weder in einer Partei oder Bürgerbewegung engagierten, sich selbst für aufrechteste Bürger und Stützen der Gesellschaft halten, den Zustand
      unseres Gemeinwesens aber lebhaft beklagen.

  3. es kommt auf uns alle an, überall, wo wir arbeiten, feiern, unterwegs sind. verstörend finde ich die wortwahl im tv, teilweise auch die fragen der journalisten und journalistinnen. die öffentliche sprache ist anders geworden, verstörend wie die plakate der demonstrierenden. es geht nicht um dialog, sondern um niedermachen. ich schrieb heute in meinem blog auch darüber. (https://weggefaehrtin.blogspot.com/)
    gute besserung allen!

  4. Gute Idee. Danke für den Link zum Spenden. Gemacht,
    Und danke für den Lesestoff. ich mag es sehr, immer wieder.

  5. neulich hörte ich ein interview mit dem autor und umweltaktivisten George Monbiot, der erklärte, wie es plötzlich zum umschwung von „unvorstellbar“ zu „unvermeidlich“ kommen kann. er meinte eher die umweltbewegung, die nicht die hoffnung verlieren darf, weil irgendwann ist das, was heute noch unvorstellbar ist (geschwindigkeitsbegrenzung auf der autobahn?) dann unvermeidlich.
    aber es kann sich auch auf die nazis beziehen. dass das, was heute unvorstellbar ist, die „remigration“ (ich muss nachher meine tastatur desinfizieren) unvermeidlich erscheint. wir müssen uns dem entgegenstellen.
    danke auch für diesen text!

  6. Vielleicht noch ein ganz konkreter Hinweis, was man tun kann: Schreiben Sie Ihren Bundestagsabgeordneten aus Ihrem Wahlkreis, dass die sich für eine AfD-Verbotsprüfung stark machen sollen. Dass die eine klare Kante gegen rechts zeigen sollen. Schreiben Sie Herrn Wanderwitz, dass Sie das gut finden, dass er sich als CDU-Mitglied dafür stark macht.
    Die gängigen Suchmaschinen zeigen einem relativ schnell die Personen an und über die Bundestagsseite kann man die direkt kontaktieren, das sind vielleicht 5 Klicks und ein bisschen Text…

    Gerade für Sie getestet: Eine Mail an Herrn Wanderwitz hat genauso lange gedauert, wie dieser Blog-Kommentar ;o)

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