Sollten Sie zufällig Eigentümer:in einer sehr alten Immobilie in einer interessanten, naja, relevanten Stadt sein, wo vielleicht sogar interessante Sachen passieren können, dann möchte ich Sie ermutigen, einen Termin im Bauaufsichtsamt zu machen und sich mal die Akte der Immobilie anzugucken, das ist hochinteressant.
Wir haben das heute gemacht, nicht etwa, weil uns langweilig war, sondern weil sehr einschneidende Sanierungen an der Teenagerhölle vermutlich unausweichlich sind, und bevor wir jetzt irgendwelche Anträge für irgendwas stellen, damit dann jemand von der Stadt rauskommt und sagt: „Das Ding? Nö, das muss weg!“ und wir dann wieder ein Zimmer zu wenig haben und der Teenager wieder in mein Arbeitszimmer ziehen muss, wollten wir lieber erstmal gucken, ob es überhaupt jemals eine Baugenehmigung für das Gartenhaus gab, und wenn man schon mal dabei ist, könnte man Wintergarten und Küche ja auch mit kontrollieren. So unser Plan.
Es war hochinteressant. Wir hatten einen Zeitfenster von 11.50 Uhr bis 12.50 Uhr zugewiesen bekommen, um 13 Uhr ist nämlich Mittagspause, und als wir pünktlich eintrafen, lagen zwei sehr dicke Aktendeckel bereits auf einem Tisch. An diversen anderen Tischen saßen hälftig Architekturstudenten (richtig gegendert) und alte Männer, ebenfalls hinter dicken Akten. Nach dem 5. begeisterten Foto wurde ich auf das Fotografierverbot hingewiesen, wir haben jetzt von einzelnen Dokumenten Kopien bestellt, die in 2 bis 4 Wochen mit der Post zugestellt werden. So ist das in Deutschland.
Ich habe sehr viel erfahren, was ich nicht wusste, und ein kleiner Traum, naja, das ist zuviel gesagt, ist geplatzt: Ich wohne nicht in der Wohnung, in der einst der Bruder von Konrad Adenauer gelebt hat. Das hatten wir immer für zumindest nicht ausgeschlossen gehalten, jetzt weiß ich aber, war nicht so. Gebaut wurde das Haus erstaunlicherweise im Jahre 1900, ich dachte, es sei von 1906, aber gut, so richtig ändert das jetzt auch nichts. Wir wissen jetzt, wer es gebaut hat und wie es (auf Zeichnungen) vor dem Krieg aussah, das war sehr hübsch. Was wir auch wissen, ist, dass das Gartenhaus bereits 1900 gebaut wurde, sehr beruhigend, es gibt sogar eine Baugenehmigung für das „Projekt“, eigentlich hätten wir also gehen können, aber es wurde noch sehr spannend, wir blieben bis zur Mittagspause. 1911 wurde das Haus zwangsversteigert, leider waren alle Unterlagen in dem ersten Ordner handschriftlich und in Sütterlin, wir waren damit etwas überfordert, also konnten wir in der Schnelle der Zeit nicht herausfinden, aus welchem Grund. Die neuen Besitzer:innen waren vier Geschwister, Familie S., die dann recht schnell die Idee hatten, einen Raum für ihren Neffen anzubauen, das ist heute meine Küche. Die Baugenehmigung wurde erteilt, dann ging ihnen vielleicht das Geld aus, für einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren jedenfalls schrieben sie immer wieder ans Amt mit der Bitte um Verlängerung der Baugenehmigung für den Raum für ihren Neffen. Auch der Wintergarten stammt bereits aus der Zeit vor dem Krieg (wer ihn kennt, wird wissend nicken, wir lagern dort Schuhe und Hundebälle), er war einst eine „Veranda mit Dach“, das trifft es vielleicht auch besser. Wir nennen ihn im Sommer den Solartrockner, weil man bei 50 Grad sehr gut Wäsche trocknen kann, im Winter ist er der erweiterte Kühlschrank für Obst und Gemüse.
Dann war alles kurz schön bei Familie S., wie es sich gehörte wurden ab Ende der 30er Jahre alle Schreiben mit zwei Wörtern mit H unterschrieben (Herrn H. – also Herzbruch – fiel auf, dass es im Amt einen Beamten gab, der seine Antworten ohne die übliche Grußformel schickte, das rührte uns ein bisschen), bis dann am 2. November 1944 eine Bombe in das Haus fiel. Das war uns natürlich nicht neu, aber das Datum zu sehen und die schriftliche Dokumentation, das war schon etwas anstrengend. Familie S. wollte dann 1948 das Erdgeschoss, welches noch mehr oder weniger intakt war und wo wir heute wohnen, für 28.000 Mark wieder aufbauen und bewohnbar machen. Die Formulare aus der Zeit sind übrigens in Englisch mit deutscher Übersetzung in Klammern. Es gibt viel Korrespondenz, in der das Amt überzeugt werden sollte, dass leider nur das EG aufgebaut werden kann, für den Rest sei kein Geld da. Die Argumentation lautete: „Wir sind vier Geschwister, alle über 50 Jahre alt, eine Rentnerin, zwei sind verarmt.“ Fünf Jahre später hieß es dann in einem anderen Schreiben „Wir sind vier Geschwister, alle über 55 Jahre alt, eine Rentnerin, zwei sind verarmt.“ Für „alle über 60“ und „alle über 65“ haben wir auch noch Quellen gefunden.
1949 schwärzte dann der Nachbar, der damals schon den gleichen Familiennamen trug wie der heutige Nachbar, die S. an, weil sie in ihrem Erdgeschoss einen Kohleofen betrieben, die Abgase würden in sein unbeschadetes Haus ziehen, jemand vom Amt möge sich das bitte ansehen und den Nachbarn den Ofen wegnehmen. Lustig, wie Doofheit sich über die Generationen gar nicht rausmendelt.
1952 wurden dann die anderen Geschosse wieder aufgebaut, Familie S. wurde immer älter, dann gab es ein Feuchtigkeitsproblem, welches dazu führte, dass ihnen irgendein Wohnrecht entzogen wurde, dann passierte dies und das, und dann war Mittagspause und das Bauaufsichtsamt musste zum Mittagessen.
Wie interessant ich das fand, kann ich kaum in Worte fassen. Wir sind in den letzten 8 Jahren sehr gut hier angekommen, und wir waren uns immer darüber im Klaren, dass das schon viel Geschichte hat. Aber dass das Gartenhaus von 1900 ist, ich sag mal so, dafür ist es wirklich noch gut in Schuss.
Wie absolut großartig!
Da es zur Geschichte des Hauses, in dem wir seit 24 Jahren wohnen, spannende Geschichten gibt, ich aber bislang keine Möglichkeit zur Überprüfung fand, suchte ich gleich mal nach „bauaufsichtsamt münchen akteneinsicht“. Um festzustellen, dass ich dafür die Besitzerin des Grundstücks sein müsste. Zefix.
Ja, das ist hier leider auch so. Wie schade!
„Die Akteneinsicht ist in der Regel gebührenpflichtig.“ – Das ist mir für pure Neugier dann doch zu doof. Aber vielleicht frage ich ja erstmal nach, wie hoch solche Gebühren wären. Die Gegend ist vermutlich nicht so relevant oder bedeutend, aber Geschichte/n gibt’s bestimmt trotzdem.
In Düsseldorf ist die Einsicht kostenlos.
So sollte es auch sein, finde ich
Schade, bei uns gibt es nichts mehr 🙁
„Beachten Sie bitte, dass Altakten von Gebäuden, die vor 1945 entstanden sind, durch Kriegseinwirkung zerstört wurden und eine Akteneinsicht deshalb nicht möglich ist.“
Oh, das ist wirklich schade.