29.09.2022

Seit 1995 wohne ich in Großstädten, und das ist auch gut so. Ältere Menschen erinnern sich jetzt an Herrn Wowereit, der mal Bürgermeister in einer Großstadt war. Es gab eine kurze Unterbrechung, da wohnte ich in einer weniger großen Stadt, die aber seit Jahren alljährlich zur schönsten Stadt des Landes gekürt wurde, das fand ich dann auch wieder überzeugend, irgendwann war sie aber durchgespielt, dann zog ich weiter. Es gab seit 1995 zwei Kriterien, die eine Stadt erfüllen musste, um für mich als Lebensmittelpunkt okay zu sein: U-Bahn und mindestens zwei Sushiläden.

Die U-Bahn ist vermutlich selbsterklärend, eine Stadt, die groß ist, hat eine U-Bahn, eine Stadt, die keine hat, ist zu klein. Mit den Sushiläden (und ich möchte erinnern: 1995!) verhielt es sich anders: Irgendwann rundum diese Periode wurden Sushiläden modern, um als Stadt zukunftsfähig und hip zu sein und tolle Startups (Augenrollen) anzuziehen, brauchte man also einen Sushiladen. Das hatten alle verstanden, aber die Frage, die zumindest in den Anfangsjahren wichtig war: Hat die Stadt einen Hipster-Alibi-Sushiladen, oder hat sie vielleicht zwei, weil die Kultur vor Ort so hip und weit vorne ist, dass zwei Sushiläden nebeneinander existieren können und genug Laufpublikum da ist, dass beide auch mal Essen verkaufen. Soeben fällt mir ein, dass ich ja in Münster studiert habe, wo es keine U-Bahn gibt, dafür gab es aber bereits 1996 einen, 1997 zwei Sushiläden. Einer war lecker, der andere hatte Preise, dass man sich als Studentin leisten konnte, einmal im Monat drei Nigiris zu essen, vorher gab es zuhause Chili con carne aus der Dose.

Egal, wo wollte ich denn noch mal hin? Ach ja. Heute wohne ich natürlich in der Stadt der maximalen Kriterienerfüllung, in Düsseldorf wohnt jeder an der U-Bahn, und Sushiläden gibt es auch mehr als genug. Die Kurve jetzt nach dieser länglichen Einleitung noch so zu dem eigentlichen Punkt zu kriegen, dass niemand denkt „mannmannmann“ ist leider nicht mehr möglich, also noch mal von vorne:

Vor ziemlich genau 7 Jahren habe ich das Domizil gekauft, in dem ich jetzt wohne, und ich bin mit zwei benachbarten Parteien sehr gut befreundet, alle anderen Menschen, die in unserer Konklave wohnen, kenne ich nicht. Ich erkenne auf der Straße einen Mann, von dem ich weiß, dass ihm das Nachbarhaus gehört, den sehe ich aber auch sehr oft, er besitzt nämlich einen älteren Porsche Cayenne, ist in Rente und verbringt den größten Teil des Tages auf der Straße mit seinem Auto, er sortiert was im Kofferraum oder poliert einen Scheinwerfer, irgendetwas. Seine Frau hat knallrot gefärbte Haare, wie der von den Prinzen, und ist üblicherweise drinnen und wartet auf ihn. Neulich erzählte Herr H mir, dass sein Bruder auch in dem Haus wohnt. Ich weiß noch von einem anderen Opa in diesem Haus, der ist es aber nicht, der ist mir aufgefallen, weil er so einen fulminant bepflanzten Balkon hat, seine Frau hat einen grünen Daumen, nehme ich an. Was Herr H auch wusste, ist, dass vor zwei Jahren seine Frau gestorben ist. Das wusste ich nicht, und ich fühlte mich auch ein wenig beklommen. Das hätte man ja wissen können, man winkt sich ja immer hier in der Großstadt.

Gerade kam ich aus dem Supermarkt, und der Porschefahrer ging auf seine Haustür zu. An der Hand hielt er eine Frau mit weißem Bob, das irritierte mich kurz, dann fiel mir ein, dass es ja zwei geben soll, also habe ich mir das so erklärt. Es gibt wirklich zwei Männer in diesem Haus, einer fährt den Porsche und hat eine Frau mit roten Haaren, einer fährt nicht den Porsche und hat eine Frau mit weißen Haaren. Wusste ich alles nicht, aber eigentlich ist mein Leben jetzt genau gleich wie vorher.

1 Gedanke zu „29.09.2022“

  1. Wir wohnen hier seit fast 11 Jahren und ich bin mir nur bei vier oder fünf Wohnungen (von elf) sicher, wer da wohnt. Der Gatte kennt alle😊

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