25.01.2023

Gestern war ein wirklich sehr schöner Tag, es passierte einfach sehr viel, und alles davon war gut, das ist ja auch mal schön. Morgens fuhr ich recht angespannt zum Landgericht und dann war alles sehr kurz und schmerzlos, sehr netter und sehr bemühter Richter, also bemüht, dafür zu sorgen, dass keine Fragen übrig bleiben. Sehr erfahrener, alphamaskuliner zweiter Schöffe, der einige Dinge tat, die mir sehr eigenartig vorkamen, aber gut, ich habe nicht gefragt, ich hatte so viele Lebensjahre, Penisse und akademische Titel weniger als er (Titel stimmt gar nicht, ich gebe sie nur nie an), dass er mir gegenüber sehr, naja, väterlich auftrat. Nicht wirklich unangenehm, auch kein Mansplaining im klassischen Sinne, ich war eventuell auch etwas überempfindlich, jedenfalls führte der Morgen zu etwas, was ich für mich eigentlich immer ausgeschlossen hatte: Ich lasse mir den Dr. in den Perso drucken. Schade, dass der Perso ja gerade erst neu ist, aber wo der gedruckt wurde, kann man bestimmt auch noch mal einen drucken.

Seit 14 Jahren gibt es den Titel, und ich hatte bis dato kein Interesse daran, ihn im täglichen Leben zu tragen. Zwei Situationen gab es bisher (eine davon mehrfach), in denen ich ihn berufsunabhängig benutzt habe. Die eine ist: Amerikanischer Leihwagenstand, Formular wird ausgefüllt, Standardfrage „Is it Ms oder Mrs?“ beantwortet mit „It’s Dr“. Allein dafür hat sich jede Minute Graduiertenausbildung gelohnt, ich halte es nämlich für komplett irrelevant, ob ich verheiratet bin oder nicht, um zu entscheiden, ob ich ein Auto leihen darf oder nicht. Die zweite Situation war in einem bösen Krisentermin mit einer Behörde, wo man mir ein bisschen bauchpinseln wollte und mich in den Raum bat mit „Liebe Frau Dr. H, kommen Sie bitte rein“, was ich wiederum beantwortete mit „Danke, auf den Titel lege ich keinen Wert, auf die Anwesenheit von Frau Dingsbums allerdings auch nicht“, und dann musste sie gehen, auch sehr gut gelöst. Insgesamt im Privatleben also eine sehr magere Ausbeute für 14 Jahre, entsprechend entstand nie der Wunsch, den Titel im Personalausweis aufnehmen zu lassen. Es ist nämlich auch kompliziert, ich verfüge über zwei Urkunden, eine in lateinischer, eine in englischer Sprache. Wenn ich das einst richtig verstanden habe, kann in einer deutschen Behörde niemand eine englische Urkunde lesen, also müsste sie übersetzt und beglaubigt werden, und ganz ehrlich, für einen Nutzwert von Null ist der Aufwand zu groß. Bei der gestrigen Titelschlacht der Alphamales auf der Rolle neben dem Gerichtssaal habe ich jedoch erstmals das Gefühl gehabt, dass es vielleicht ein wenig zu meiner Präsenz beigetragen hätte, wenn ich auch mit Titel angeschlagen gewesen wäre, einfach nur, um nicht als die Hausfrau zwischen all den Intellektuellen wahrgenommen zu werden. Eventuell ist das Problem dann aber auch nur verschoben, ich wäre ja nach wie vor die Frau zwischen den Intellektuellen gewesen, vielleicht auch nicht besser. Vielleicht war das gesamte Ungleichgewicht auch nur in meinem Kopf, das kann natürlich auch gut sein.

Jedenfalls werde ich, wenn ich mich irgendwann noch daran erinnere, das mal rausfinden, wie das so geht, mit der Urkunde und der Übersetzung und der Beglaubigung, und dann müsste ich ja zu alledem auch noch dafür sorgen, dass das Gericht darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass das geändert wurde, und jetzt habe ich schon die Lust verloren.

16 Gedanken zu „25.01.2023“

  1. Ich bereue es manchmal, dass ich aus ähnlichen Gründen („vielleicht muss man mal einen Polizisten davon überzeugen, dass man normalen Respekt verdient hat“) den Grad in den Perso genommen habe.
    Spätestens, als bei der Beurkundung des Immobilienkaufvertrags der Notar fein säuberlich jedesmal, wenn im vorgelesen – augedruckten -Standardtext mein Name vorkam, per Hand ein „Dr.“ ergänzte, kam ich mir affig vor.
    Die Verkäufer haben das dann auch noch im Haus rumerzählt, und so kam es schließlich dazu, dass die Hausverwaltung mich sogar über einem Doppeldoktor führt. Halte ich aber für ein Softwareproblem, kann man nix machen.

    Begegnungen mit der Polizei dagegen seit Promotion: Genau Null …

    • An dieser Stelle eine kleine Anekdote (und Chapeau für den „Grad“, aber ich bin faul und bleibe bei Titel):
      Nach der Verteidigung meiner Arbeit – das ist in den Niederlanden ein sehr großes Zeremoniell mit einer riesigen internationalen Kommission, hinterher Sektempfang, dann Bootsfahrt, dann Abendessen mit allen, dann Party, und meine Freunde und Familie aus D war angereist, wir hatten in einem Bungalowpark in der Pampa mehrere Bungalows gemietet – fuhr mein Mann nachts stocknüchtern mit mir auf dem Beifahrersitz, sehr betrunken, über eine dunkle Landstraße, viel zu langsam allerdings, er wurde also folgerichtig von der Polizei angehalten. Als er das Fenster runterdrehte, lehnte ich mich zu ihm rüber, ich glaube, ich trug ein Partyhütchen, und brüllte „IK BEN DOCTOR!!!“
      Ich kürze ab: Kein bisschen mehr Respekt trotz Dr. bei der Polizei. Grämen Sie sich nicht!

  2. Aber er hat nicht „Kleines Fräulein“ gesagt wie in so einem alten deutschen Film??? 🤭
    Mein Titel steht im Perso und es hat sich schon deshalb gelohnt, weil die dämliche Möbelfachverkäuferin hochnäsig meinte, „dieser Schrank kommt für Sie wohl eher nicht in Frage“(preislich) und dann beim Ausfüllen des Kaufvertrages erkennen musste, wie sehr sie daneben lag……und alkes nur wegen Fleecejacke und Birkenstocks 😉

    • Das ist insofern lustig, dass ich natürlich in einer Welt sozialisiert bin, in der Dr. in den meisten Fällen heißt „Prekär beschäftigt, bettelarm, in Dauerangst“. Ich nehme an, Sie sind Medizinerin? 😉

      • Veterinär….meine Tochter meint, Birkenstocks sind „Berufskleidung“ 😂
        Was das Gehalt betrifft: Doktoranden gerne 3-Monatsverträge als wiss. Hilfskräfte ohne gesicherte Verlängerung. Anfangsassistenten in der Praxis ca. 2000 brutto mit inkludierten Wochenend- und Nachtdiensten…

  3. „wäre ja nach wie vor die Frau zwischen den Intellektuellen gewesen“ – ich mag ja solche Halbsätze, die ganz subtil daherkommen.

    • Ja, auf den Moment warte ich übrigens seit 14 Jahren. Meine Magisterarbeit habe ich in Münster geschrieben, allerdings nicht auf Deutsch, da musste ich einen Antrag stellen, da die Prüfungsordnung nur vorsah, dass die Arbeit auf Deutsch oder Latein verfasst wird. Es überstieg meine Kompetenz bei Weitem, aber wie cool ich mich gefunden hätte, wenn ich auf Latein geschrieben hätte und niemand mich hätte stoppen dürfen 😉

  4. Jetzt hat die Blog-Software „Schulabschluss“ in spitzen Klammern aussortiert…
    Soll also heißen:
    Ist ein Klammer „Schulabschluss“ Klammer eigentlich Voraussetzung für das Schöffentum?

    • Nein, keine Muss-Voraussetzung. Wenn man sich allerdings die sog. „praktischen Befähigungskriterien“ ansieht (Kommunikations- und Dialogfähigkeit, logisches Denken, Denken in Gerechtigkeitskategorien, etc.), ist ein gewisser Grad an Bildung vermutlich doch von Nöten, den man am ehesten auf einer Schule erwerben kann.

    • Alte weiße Männer aushalten zu müssen? Ich fürchte ja – aber keine Bange: Es gibt eine gewisse Routine damit.

  5. Ich hab meinen Dr in meinem Perso, und ich musste die Urkunde nicht übersetzen lassen (hab auch – aus NL eine riesige protzige lateinische Urkunde und eine englische in A4). Vielleicht geht es also leichter als gedacht? Ich hab, glaub ich, damals einfach auf Anabin verwiesen.

  6. ich hab den Dr. im Perso, aber eher mit Blick auf Arztbesuche… beim ersten Besuch hilft es in der ist zumindest interessant
    sind Sie Kollegin?
    nein, Kunstgeschichte.

  7. Hallo, das Übersetzen macht ein vereidigter Dolmetscher, geht schnell und kostet ca. 30 EUR – dafür hat es sich gelohnt. Liebe Grüße aus Münster, Milla

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