Sie sehen vor sich eine gebrochene Frau. Na gut, genau genommen sehen Sie gar keine Frau, stellen Sie sich eine vor.
Ich stand heute 11,5 Stunden in der Küche. Also 10,5 in meiner, eine in der von meiner Mutter. Ich kürze es ab: Das hat mir keinen Spaß gemacht. So wenig Spaß, dass ich zwischenzeitlich sogar überlegte, ob ich nicht irgendeine wirklich sehr dringende Deadline vergessen haben könnte, oder irgendwas mit Buchhaltung, ich wusste aber natürlich, dass in der Sekunde, in der mein Gesäß mit dem Bürostuhl eins würde, ich unwiederbringlich verloren wäre und es morgen keine Torte geben würde.
Seit 2016 kriegt Jonathan jedes Jahr zum Geburtstag eine Torte von mir. Damals hatte ich beruflich jeden Tag viele Stunden lang mit Torten zu tun, in so einer Situation denkt man schnell, dass man auch einfach mal schnell eine machen könnte. Fun fact: Geht gar nicht so schnell, so eine Torte. Jedenfalls kamen dann ein paar Jahre sehr einfache und langweilige Torten, fertige cremefarbene Marzipandecke und irgendwelche Zuckerguss-Smileys, dann dachte ich irgendwann, dass es das doch alles in schön geben müsste, dann versank ich für ein paar Tage wie paralysiert auf Torten-YouTube, kaufte ganz viel Profi-Equipment, bestellte gutes Marzipan und originellere Deko, lernte, dass man Marzipan und Fondant mischen kann, damit das mit dem Überziehen nicht so schwierig ist und trotzdem fast lecker schmeckt, und dann wurde alles gut. Die letzten zwei Jahre waren die Torten nicht nur lecker, sondern auch hübsch.
Das größte Problem ist, dass die Herstellung einer Torte, so wie ich sie machen möchte, einfach unfassbar lange dauert, weil es so viele einzelne Minischritte gibt, und dann auch noch ständig alles abkühlen muss. So kam es also, dass ich heute morgen um 9 Uhr in der Küche stand und aus Eigelb, Stärke, Vanille und Milch einen Pudding kochte, nur damit ich heute um ca. 20.30 Uhr endlich eine Torte machen konnte.
Ich denke übrigens, dass es genau das ist, was diese Geburtstagstorte für Jonathan so schön macht. 2016 war ja noch vor Corona, meine ich, und da war ich einfach nie zu seinen Wachzeiten zuhause und hatte einfach sehr wenig Zeit, so insgesamt. Die Torte bedeutete für ihn und für mich, dass ich einen ganzen Tag in der Küche stehe und nur Sachen mache, damit er sich am nächsten Tag darüber freuen kann, eine Handlung, die uns beiden einmal im Jahr sehr gut tut. Nun gut, seit Corona bin ich ja im Homeoffice gestrandet, bin jetzt also immer da, habe aber trotzdem oft keine Zeit. Das ist aber dennoch die viel bessere Variante, keine Frage.
Um 9 kochte ich also einen Pudding, dann eine Karamell-Ganache, dann ging ich kurz zu meiner Mutter, der ich kurzerhand, nachdem ich zwei Jahre lang versucht hatte, eine irrtümlich doppelt gekaufte Rührmaschine an die Person zu bringen, also an irgendeine Person, das aber nicht konsequent verfolgt hatte, dann neulich, als sie erzählte, dass sie es so anstrengend findet, länger ein Handrührgerät zu halten, die doppelte Rührmaschine hingestellt hatte, es ist nämlich so, ich erwähnte es, dass ja die inzwischen vier Generationen umfassende Blutsverwandschaft ständig zu Besuch kommt, was sehr schön ist, aber es sind inzwischen so viele Menschen, dass meine Mutter mit backen muss, und dann kann ich natürlich nicht riskieren, dass sie die Lust verliert, weil sie kein Handgerät mehr halten möchte. Heute wollte sie also zwei Kuchen für morgen backen, und da sie die Rührmaschine zum ersten Mal benutzen wollte, hatte ich angeboten, dass wir das einfach schnell zusammen machen. Unerwartet war dann Hase schon da, also musste nur gebacken und nicht ganz so viel geplaudert werden, Hase wird sich bestimmt sehr geduldig alles über Frau Müntefering (schlimme Nachbarin) und das gestrichene Treppenhaus anhören, ich kenne die Geschichten ja alle bereits.
Dann wieder nach Hause, der nächste Schritt war möglich, da alles abgekühlt war, also Buttercreme machen und Tortenböden stapeln. Wer jetzt gut aufgepasst hat, hat gemerkt, dass ich gar keine Tortenböden gebacken habe, und ja, das stimmt, ich habe die nämlich einfach fertig gekauft. Die ersten Jahre habe ich die selber gebacken, und das fand ich schrecklich, manchmal sind sie nämlich nicht hochgegangen, dann musste so ein Bisquit in drei Lagen geschnitten werden, dafür habe ich zwischenzeitlich exakt jede einzelne Hilfsvariante gekauft und probiert, sie sind trotzdem immer schief geworden. Wenn man die fertig kauft, sind sie quasi gleich unbemerkt geschmacklich, mein Stresslevel ist aber deutlich niedriger. Dieses Jahr habe ich aber einen Fehler gemacht und Wiener Böden statt Bisquit gekauft, weshalb ich beim Einstreichen mit der zu kalt gewordenen Ganache an den Seiten gescheitert bin, weil die Böden einfach weggebröselt sind. Also Schleifchen drum und tun, als sei nix. Die große Show mit „Ach, das ist mir jetzt aber unangenehm, dass der Marmorkuchen so kletschig geworden ist, das ist mir ja noch nie passiert“ passiert jedes Mal meiner Mutter, da will ich ihr nicht die Show stehlen. Die gesamte restliche Familie hat fest einstudierte Sprechrollen dafür, ich kann da jetzt nicht reingrätschen mit den Wiener Böden.
Marzipan-Fondant-Decke ist auch gut geworden, leider aber – ich lebe es jetzt einfach hier aus – nicht ganz so, wie ich es geplant hatte, ich hatte nämlich zu gut geknetet. Ich hatte so einen grünblauen Marzipan und weißen Fondant, und meine Theorie war, dass ich die so knete, dass es noch ein bisschen Struktur gibt, wie Wasser quasi. Und wenn ich etwa eine Minute früher aufgehört hätte zu kneten, dann hätte das perfekt gepasst. Gut, weiß ich nächstes Jahr Bescheid.
Fische sind auch schon draufgeklebt, der Rest kommt morgen, ich habe in den letzten Jahren gelernt, dass alles, was ich abends reinstecke, morgens umgefallen ist und dann die Decke kaputt und doof ist, also habe ich mir das heute verkniffen.
Nebenbei habe ich noch eine Gulaschsuppe und eine vegane Linsensuppe gekocht, okay, das gab es vor vier Wochen schon, als alle hier waren, aber – und das werde ich morgen offiziell verkünden – das gibt es jetzt einfach immer. 13 Leute zu bekochen, ist logistisch anstrengend, und da ich ja lieber mit feiere als koche, möchte ich das lieber am Vortag machen. Und es hat niemand sich beschwert, also gibt es das jetzt immer.
Und jetzt muss ich schlafen.
Egal ob Essen, Aktivität oder sonst was: beim ersten Mal ist es neu, beim zweiten Mal langweilig und ab dem dritten Mal Tradition und man braucht sich nie mehr Gedanken zu machen. Also durchhalten und eine Suppen-Tradition begründen!
Ich werde das morgen exakt so erklären.
Der Trick „Marzipan mit Fondant mischen“ hat blitzartig meine erkaltete Leidenschaft für Motivtorten neu entfacht – einfach 1:1 verkneten oder wie oder was?!
Karamellganache klingt auch absolut vorzüglich – verdammt, ich brauche sofort einen Anlass für eine Torte. Muss sofort den Kreis an befreundeten Personen auf anstehende Hochzeiten, runde Geburtstage oder sonstige Feierlichkeiten abklopfen…
Ja genau, ich mach einfach 50/50, Fondant 10 sek in die Mikrowelle, dann kneten. Das geht erstaunlich gut, und man kann neue Farben machen, das ist cool. Das Ergebnis lässt sich extrem gut ausrollen und ist unkaputtbar, nicht ganz so lecker wie nur Marzipan, aber viel besser als Fondant. Und mein Tip für die Karamell Ganache: Callebaut Gold. Callebaut insgesamt sehr zu empfehlen, wenn der Anlass erfordert, dass es sehr lecker werden soll. Und ebenfalls extrem praktisch zu verarbeiten. Guten Hunger (einfach mal jemanden einladen?)
Hmm, die quasi-Schwiegereltern kommen nächstes Wochenende, aber die beiden Mengen „Motivtorte backen“ und „eine einigermaßen vorzeigbare Küche haben“ sind in meinem ganz persönlichen Venn-Diagramm zwei Kreise ohne Überlappung – ah, dann ist es in Wirklichkeit ein Euler-Diagramm, nicht wahr?
Aber es findet sich bestimmt bald eine Gelegenheit, und wenn ich dann wieder nicht weiß, was ich backen soll, erinnere ich mich hoffentlich auch wieder an den Karamellganache Tipp – danke 🙂
Falls doch mal der Wunsch nach selbst gebackenen Biskuitböden auftaucht – ich kann auch auch nur schräge Böden schneiden : einzelne Böden auf Umluft gleichzeitig in gewünschter Dicke backen. Benötigte Anzahl an Springformen vorher in der Nachbarschaft einsammeln und hinterher mit Tortenstücken vergelten. Klappt bestens.
Viel Spaß bei der Feier!
PS: Nie sind Gastgeber_innen entspannter als bei gut vorbereitetem Essen. Bolognesesoße ist auch dafür geeignet – mit Fleisch oder rotem Linsen.