Es ist der 4. Advent, 19.16 Uhr, ich sitze am Schreibtisch und arbeite, was man in meinem Job am Jahresende so macht halt, aber – Obacht – für ein französisches Unternehmen, und dabei gucke ich, wie Frankreich nicht Fußballweltmeister wird. Herr H. steht im Wohnzimmer und baut die letzten Möbel des ganz großen Wohn-Makeovers zusammen, so Möbel, die gar nicht dafür gedacht sind, dass normale Leute die zusammenbauen, aber gut, die Montage hätte 1.800 Euro gekostet, und da Herr H. abhängig beschäftigt ist und deshalb verlorene Arbeitszeit nicht zu verlorenem Einkommen führt, haben wir uns klug entschieden, dass er einen Advent opfert und ich nicht.
Ich wäre vielleicht schon fertig, allerdings kam Frau N kurz vorbei, bevor sie an meinem Arbeitszimmer vorbei zum Zug lief, dann aßen wir Orangen, dann war immer noch 2:0 für Argentinien, dann sagte Herr H. wieder so etwas wie „das kann alles noch kippen“, dann sagte Frau N. als Frau eines Profifußballfans „Ich denke, wir können ganz entspannt Orangen essen“, dann kippte das Spiel, 3 Minuten später stand es 2:2, und ich muss mir jetzt mein Leben lang anhören, dass Spiele auch bei 5:0 in der 90. Minute noch kippen können, das strengt mich jetzt schon an, aber gut, das ist vermutlich die grundsätzliche Unterscheidung zwischen halb voll und halb leer.
Warum ich jetzt schon wieder abgelenkt bloggen muss, liegt daran, dass ich gerade den Impuls verspürte, eine weitere Fußballfrage in den Raum zu werfen. Seit Jahrzehnten, also eigentlich, seit ich es vom Autor überreicht bekam, gehe ich zu jeder Fußballveranstaltung mit dem wichtigsten Buch im Schrank unterm Arm, nämlich Thomas Gsellas „So werde ich Heribert Faßbender: Grund-, Aufbau-, Meister- und Zukunftswortschatz Fußballreportage“, ein Standardwerk, mit dessen Hilfe ich mühelos 90 Minuten Fußballkommentatur vom Feinsten abliefern kann, wenn man mich lässt, je nach Umfeld bin ich auch schon mal rausgeflogen.
Jedenfalls dachte ich mir gerade: Sind vielleicht Fußballkommentatoren insgesamt einfach nicht so gut im Denken? Wir hatten ja neulich diese alberne Diskussion um die One-Love-Binde, die dazu geführt haben könnte, dass alle auf dem Feld so schlimm politisiert waren, dass sie sich gar nicht mehr gut auf Fußball konzentrieren konnten, und das war ja schon absurd. Aber die Idee, dass alle argentinischen Spieler aus lediglich einem einzigen Grund heute umbedingt Weltmeister werden wollten, nämlich damit Messi Weltmeister wird, naja, da möchte ich als Ex-Sportlerin sagen: So ein Quatsch. Wirklich. So ein Quatsch.
Fußballkommentatoren haben einen etwas geringen Wortschatz und eine übersichtliche Fantasie. Das zwingt sie zu diesen schrägen Phrasen.
Seit ich einmal im Studentenwohnheim aus der Küche geflogen bin wegen unterstützender Kommentare, weiß ich, dass Fußballfans in vielen Dingen den Kommentatoren ähneln.
Ja, es werden auch euphorische Sachverhalte erfunden. Das weiß ich, seit wir als Jugendliche zum Fernsehbild den Radiokommentar laufen ließen. Es wurde von Dingen gesprochen, die es einfach nicht gab. Eben Quatsch.