16.02.2024

Man könnte ja an der Welt verzweifeln, wenn man wollte, aber ich weigere mich beharrlich. Noch. Heute zum Beispiel waren wir im Schauspielhaus, wo Meron Mendel und seine Frau Saba-Nur Cheema mit Navid Kermani über Europa und den Nahen Osten sprachen. Ein sehr gutes Gespräch, es gäbe ein paar kleine Kritikpunkte, die behalte ich aber für mich, in der Sache war es nämlich genau das, ein sehr schönes Gespräch. Welches das Publikum vielleicht hinterher ein bisschen verzweifelter und ratloser zurückließ, weil manche Dinge eben nun einmal so kompliziert und vertrackt und in der Wurzel schwer zu lösen sind, dass es einerseits sehr schmerzhaft ist, zu sehen, dass die Situation kompliziert und vertrackt und schwer zu lösen ist, andererseits ist es nahezu heilsam, zu sehen, dass auch sehr kluge Menschen damit ringen, alles im Kopf zu ordnen, zu erklären, zu überlegen, wie ein Weg aussehen könnte. Nicht, dass das Ergebnis ein Vorschlag für einen konkreten Weg gewesen wäre, aber jetzt mal als Wissenschaftlerin gesprochen: Das kann ja auch nicht das Ziel sein. Wenn wir uns im Laufe eines Gesprächs darauf verständigen, dass die Situation so ist, wie ich oben jetzt schon zweimal wiederholt habe, ich will ja nicht redundant sein, dann kann eine Lösung, die auf einer Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus in zwei Stunden erarbeitet wird, ja nur maximal unterkomplex sein, und damit ist sie dann keine Lösung.

Schade, dass das Publikum – wie immer bei solchen Veranstaltungen – in erster Linie aus den Leuten bestand, denen man sowieso schon ansieht, dass sie sich mit Dingen, wenn sie dazu eine Meinung haben wollen, auch in der Tiefe auseinandersetzen. Ich habe heute viel gelernt, das war sehr interessant, aber leichte Kost war das nicht, zumal ich (und auch Herr H., der berichtete vom gleichen Gedankengang) dazu neigte, immer alles Gesagte mit dem eigenen Wertegerüst, Vorurteilsinventar, etc. abzugleichen. An manchen Stellen war ich klar anderer Meinung als Kermani zum Beispiel, und das hätte ich im Gespräch auch gut begründen können. An anderen Stellen habe ich neue Dinge gelernt, die ich nicht wusste, und die bei der nächsten Runde der Meinungsbildung mit in den Korb der Gedanken geworfen werden.

Schade, dass nicht Peter und Lieschen Müller bei solchen Veranstaltungen im Publikum sitzen. Herr H. forderte Schulklassen ein. Ich halte das für illusorisch, so ist die Welt nicht, ich habe es einst geschafft, den Teenager zu der Ausgabe der „Düsseldorfer Reden“ mit Luisa Neubauer zu überreden, aber das ist auch der Boden, tiefer wird es mit 15 nicht mehr gehen. (Zur Düsseldorfer Rede von Sophie Passmann gehe ich sogar alleine, da fand sich hier niemand mehr). Für Peter und Lieschen Müller, ich nehme die jetzt mal stellvertretend für Menschen, die vielleicht ganz am Ende eines sehr kurzen Denkprozesses zu schlechten Entscheidungen neigen, AfD wählen zum Beispiel, oder Sätze beginnen mit „Ich bin ja kein Antisemit aber“, die haben gestern wahrscheinlich Maybrit Illner geguckt, ein weiterer Sargnagel für mein Vertrauen in den deutschen Journalismus. Wobei – und ich werde da selten so scharf, bin aber seit spätestens 2020 in einer beobachtenden und konstant bewertenden Position, die mich selbstbewusst sagen lässt, dass ich mit professoraler Stimme sagen kann: Die Medien machen einen wirklich schlechten Job. Nicht alle immer. Aber alle oft. Und da spreche ich nicht nur über Markus Lanz und Co, die Speerspitze der öffentlich rechtlichen Politikaufklärung. Es gibt Menschen in diesem Land, die sehr gut erklären und einordnen können, was da draußen passiert, manche von denen schaffen es sogar, ein bisschen im Rampenlicht zu stehen. Melanie Amann vom Spiegel ist sicherlich so eine, die Frau hat oftmals bewiesen, dass sie in Diskussionen sachlich den Punkt machen kann, wenn sie Irren gegenüber sitzt. Wenn man sie jedoch mit Beatrix von Storch, Sahra Wagenknecht, Jens Spahn of all people und Kevin Kühnert in ein Studio setzt und Maybrit Illner den wöchentlichen moderativen Totalausfall hat, dann kann es eben gut sein, dass die Einzige, die die Diskussion hätte in Schach halten können, gar nix sagt, Frau von Storch und Frau Wagenknecht ihre albernen Populismusphrasen dreschen können, und am Ende ist dann wieder das passiert, was schon so Vielen vor Illner passiert ist: Sie laden einen kontroversen Gast ein, um ihn zu zerlegen, und der erzählt alle Talking Points, die er gerne erzählen möchte, und wenn die alle Quatsch sind, hat er sie trotzdem gesagt, Markus Lanz sagt „Ah interessant“ oder Maybrit Illner sagt einfach gar nichts, und am Ende haben Peter und Lieschen Müller all das gehört, was sie hören wollten und fühlen sich bestätigt.

Ich kann nicht verstehen, wie das nicht gelernt werden kann. Und wie insbesondere die öffentlich rechtlichen Medien nicht sehen, dass die telegenen Menschen, die handwerklich – wenn wir jetzt über „richtigen“ Journalismus sprechen – nix können, vollkommen überfordert sind mit solchen Gesprächen, und dass das der Demokratie schadet. Ja. Das tut es. Wenn Tino Chrupalla seine Geschichte in einer deutschen Talkshow erzählen darf, weil man das für eine gute Idee hält, und dann niemand es schafft, ihn zu entblößen, tja, dann hat er anschließend halt mehr Fans, aber gut, dafür hatte der Sender auch eine gute Quote. Wir können nicht von den Müllers erwarten, dass sie akribisch Leitmedien lesen. Wir wissen ja genau, dass die Müllers fernsehen, und wenn es ganz gut läuft, dann haben sie ein wenig Kontakt mit Politik durch Maybrit Illner. Das ist schon mehr als die Meiers, die (wie ich) nur das Dschungelcamp und Love Island gucken. Aber die absolut naive Idee, dass so Stümper wie Illner und Lanz es schaffen würden, demokratieerhaltend Extrempositionen zu entlarven, ist natürlich schon bei Geburt gescheitert. Dann sagt Sahra Wagenknecht halt immer „Krieg ist bestialisch und muss beendet werden“, und dann klatschen die Müllers, und dann vielleicht noch „Man müsste den Krieg durch Verhandlungen beenden“, und dann denken die Müllers „Ja, das ist viel besser als von meinem Steuergeld irgendwelche Waffen zu schenken“, und dann wäre das Problem ja, naja, „gelöst“. Niederkomplex, absurd, vielleicht auch niederträchtig, ich halte Sahra Wagenknecht ja nicht für ungemein dumm, aber in solchen Situationen wird Klugheit nicht zugelassen.

Für das Publikum, das an diese Form von Diskurs, Frage, absurde Rede 1, niederkomplexe Gegenrede 2, dann ein Schlag unter die Gürtellinie, denn die Ampel kann ja sowieso nix, und davor hat doch die CDU 16 Jahre regiert, egal, man müsste den Müllers irgendwie beibringen, dass all dies mit der Realität überhaupt gar nichts zu tun hat. Wer sich mit der Realität beschäftigen möchte, braucht vielleicht ein Gespräch von mehreren Stunden, in denen dann vielleicht auch niemand eine Lösung weiß, aber wenn man viele solcher Gespräche führt, dann ist man hinterher zumindest klüger, und das ist auch schön, denn eine Sache ist auch klar: Wenn jemand fordert, jetzt müsste ja auch mal verhandelt werden, hat das überhaupt gar nichts mit irgendeiner diplomitischen Realität zu tun, ich denke, wir können uns darauf verständigen, dass in den letzten Monaten und auch genau jetzt durchaus diplomatische Bemühungen unternommen worden, und dass die nicht bei Markus Lanz diskutiert werden, ist eher ein Qualitätssiegel, öffnet aber populistischen Quotenkönig:innen Tür und Tor.

Wie schrecklich alles. Ich mache jetzt das, was ich konstant als Alternativprogramm zu den Quatschformaten mache. Ich gucke zum Einschlafen etwas, was so ist wie die Diskussion gerade. Ich hab mir sogar schon etwas ausgesucht, habe ich zwar schon gesehen, allerdings schon etwas her, kann man ruhig noch mal sehen. Ein Gespräch zweier Menschen, denen ich überaus gerne zuhöre, auch wenn sie sehr unterschiedlich sind. Carolin Emcke und Michel Friedman, die über Toleranz sprechen. Machen Sie sich ein Bookmark, und wenn Sie das nächste Mal so eine Talkshow gucken wollen würden, gucken Sie lieber das.

6 Gedanken zu „16.02.2024“

  1. Aus diesen Gründen sehe ich schon seit Jahren keine politischen Talkshows mehr. Es geht nicht um Aufklärung, Demokratie oder Sichverständigen, es geht um Quote, Skandal und Vorführen. Wer bin ich, dass ich solchen (unfähigen oder unwilligen) Moderatoren die Ehre erweise.

  2. Ich kann mir alle Videos von Gregor Gysi mit großem Vergnügen anschauen auch wenn ich ihm politisch nicht nahestehe. Er hat die Fähigkeit mit präzisen aber einfachen Worten komplizierte Sachverhalte aufzuzeigen. Siehe seine Serie auf YouTube „missverstehen Sie mich richtig“ oder der Podcast Gysi gegen Guttenberg.

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