09.03.2023

Ich war heute kurz in so einem Paralleluniversum, von dem so Großstadtmenschen wie ich immer nur ahnen können, dass es das gibt. Und das kam so:

Ich hatte ein berufliches Anliegen, welches der liebe jawl sehr gut lösen kann, also kündigte ich etwa im November an, dass ich ein berufliches Anliegen hätte, welches er gut lösen könnte, wir einigten uns darauf, das er das auch lösen wollte, und dann kam eins zum anderen und ich widmete mich anderen Themen. Kunde B, dann Kunde A, dann viel mehr Kunde A, dann Renovierung. Das Anliegen blieb knapp unter der Bewusstseinsgrenze präsent, aber ich hatte genügend Stamina es auszusitzen.

Harter Themenwechsel. Ich wollte ja auch als Ausgleich für den Beitrag über Menstruation noch über Autos sprechen. Ich musste ja eine Lösung für das im Januar abzugebende Auto finden, und da Herr H und ich uns darauf geeinigt hatten, dass es doch noch mal ein eigener Schandfleck im öffentlichen Parkraum der Großstadt werden sollte, informierte ich mich umfassend, Sie erinnern sich. Von initial etwa 5 möglichen Kandidaten schieden anhand eines Entscheidungsbaumes vier im Laufe vieler Youtube-Autobewertungsvideos aus, eines blieb übrig, da war es also, das letzte Auto, das ich in diesem Leben bereit bin, anzuschaffen. Irgendwann ist mal gut, und je länger ich darüber nachdenke, desto alberner erscheint es, für die 30 Minuten am Tag, die wir durchschnittlich ein Auto benötigen, eine Summe auszugeben, für die man im Sauerland vermutlich eine Eigentumswohnung bekommt, in der man dann die anderen 23,5 Stunden verbringen könnte. Nun denn. Eins kam zum anderen, ich fand bei Recherchen zufällig ein Autohaus, das irgendeine gute Firmenwagenaktion hatte, und irgendwie kam mir der Name des Ortes bekannt vor, und nur zwei Tage später verknüpfte ich in meinem Kopf, dass das Autohaus in der Stadt ist, in der jawl mein berufliches Anliegen irgendwann lösen könnte, wenn ich mich mal kümmern würde. Und jetzt müssen wir noch eine Erzählstrangebene einziehen: Herr H – und ich habe allergrößtes Verständnis – ist ja ganz harter Öko und möchte theoretisch gar kein Auto haben, er würde sich selber niemals ein Auto anschaffen. Auf die Frage, ob wir mal ohne Auto sein sollten, war er allerdings zögerlich, das System des letzten Jahres, nämlich der Öko hat kein Auto und leiht sich eins von seiner Frau, wenn er eins braucht, funktionierte für ihn eigentlich sehr gut. Ich sollte mir also bitte ein Auto kaufen, er signalisierte jedoch sehr klar, dass er nicht involviert sein würde, sein großer Auftritt kommt, wenn das Auto da ist und er einen Kasten Wasser kaufen muss. Nun fahre ich seit 1994 ein eigenes Auto und habe in der Zeit gelernt, dass ich es HASSE, alleine in Autohäuser zu gehen, die Autoverkäufer sprechen mit mir, als würde ich nicht verstehen, was sie sagen, vielleicht ist das auch so. Herr H wollte allerdings nicht mit, wegen der Umwelt. Langer Rede kurzer Sinn. Jawl ist derzeit ja auch mit Fragen der Elektromobilität beschäftigt, wir hatten uns dazu ausgetauscht, und als ich haarscharf kombinierte, dass das Autohaus ja bei ihm im Sauerland ist, fragte ich also, ob er mich sachkundig begleiten wolle, um im Anschluss über mein berufliches Anliegen zu sprechen. So sollte es sein.

Also platzierte ich eine Anfrage für eine Probefahrt für das betreffende Modell, denn – und jetzt wissen Sie, dass hier ein Nerd ein Auto kauft – ich habe das Auto ja noch nie gesehen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie es wirklich aussieht. Ich habe 25 YouTube Videos angesehen, in denen das Modell vorgestellt und probegefahren wurde, ich habe die Abmessungen verglichen mit den Abmessung meines jetzigen Autos (zu klein) und des vorigen Autos (zu groß), informierte mich ausführlicher, als ich es je gewollt hätte, über Ladezeiten, Ladekurven und überhaupt alles, was wichtig sein könnte, wenn ich zweimal im Jahr irgendwo anders laden müsste, ein hartes Kriterium bei der Auswahl war nämlich, dass ich stressfrei ohne zu laden zu Frau N und an die Mosel fahren kann, woanders muss ich ja nicht zwingend öfter hin, und dann, ganz am Ende, nach Ladezeiten, Effizienz, Größe und dem wichtigen Mädchenkriterium Verarbeitung und Qualitätsanmutung (das Tesla Model Y war unter anderem ausgeschieden, weil ich ein Bewertungsvideo sah, in dem erklärt wurde, dass die Qualitätsstandards für manche Fahrer*innen in Deutschland gewöhnungsbedürftig seien, verbunden mit einem Klopfen auf das Armaturenbrett, welches ein lautes, schlimmes Scheppern erzeugte, und nein, da bin ich raus, ich war eigentlich bei „kein Armaturenbrett“ schon raus, aber das Plastikscheppern, nein, das kann ich nicht, wo war ich? Ja. Es blieb nur ein Auto übrig, und praktischerweise gab es schon Gebrauchtwagen, die in meiner Welt quasi neu waren, allerdings vollausgestattet deutlich weniger kosteten als neu konfiguriert, also beschloss ich, bis November zu warten und dann ein solches gebrauchtes Auto zu kaufen, und alles hätte gut sein können. Mir war jedoch auch klar, dass selbst bei so einem Nerdansatz die bessere Variante ist, das Auto vorher wenigstens einmal gesehen zu haben, vielleicht sehe ich es und finde es abstoßend. Daher die Probefahrt, um zu entscheiden, ob das mein Auto ist, und ich hätte ja auch erwartet, dass so ein Autohaus mir dann erklärt, dass das natürlich gut gedacht ist mit dem Jahreswagen, weil ich die Ausstattung nicht bezahlen möchte, aber wenn ich einfach direkt bezahle, könnte man sicher noch so ein Schiebedach oben drauflegen, und well, ich wäre vielleicht interessiert gewesen.

Also fuhr ich ins Sauerland, in die Region des Flugplatzes von Friedrich Merz, wie ich dann lernte, holte jawl zuhause ab, und wir fuhren zum Autohaus. Dort schloss ich mit den Worten „Während Sie mich beraten, kann ich doch sicher laden“ mein Auto an eine Ladesäule, und Herr W., der sich auf meinen Besuch laut Email sehr gefreut hatte, wurde gesucht. Er kam, sah aus wie mein Schwager, begrüßte mich mit Titel und Handschlag, um dann etwas rumzudrucksen, Probefahrt wäre so spontan jetzt doch nicht möglich gewesen, es täte ihm sehr leid. Ich bin ja ein netter Mensch, also winkte ich ab, das sei okay, ich könne mir das Auto ja auch im Showroom ansehen, in erster Linie müsse ich wissen, ob der Hund in den Kofferraum passt. Jaaaa, mmmmmh, alsoooooo, leider sei einfach überhaupt gar kein Auto dieses Modells da, das täte ihm leid. Als ich darauf verwies, dass auf der Webseite ja ein gebrauchter im Bestand angeboten würde, ich müsse nur mal in den Kofferraum gucken, wieder drucks drucks, ja, mmmmmh, also der ist in Braunschweig. Ich verlor das Interesse. Er wollte sich dann noch in einem Kabuff mit uns unterhalten, also gingen wir in ein Kabuff, dort hatte ich das Gefühl, dass ihn nicht interessiert, was ich erzähle, und dann wollte ich irgendwann wieder nach Hause fahren. Ich war zu jedem Zeitpunkt sehr freundlich und habe auch nicht einmal erwähnt, dass ich 200 km angereist bin, ich nehme an, das weiß er selber, vielleicht ist es ihm heute Abend beim Zubettgehen unangenehm.

Als wir wieder zu meinem Auto kamen, konnten wir es nicht von der Ladesäule befreien, man brauchte eine Karte. Und plötzlich hatten wir beide das Gefühl, dass das Auto neben meinem Auto exakt so aussähe, wie ich mir einen EQA vorstelle. Wir fanden keine Bezeichnung, dafür Hinweise, dass es ein Verbrenner ist, dann fragten wir den netten Herrn, der mich abstöpselte, was das für ein Auto sei, er nannte das Modell, ich erklärte, dass ich vorangekündigt aus Düsseldorf gekommen sei, um einen EQA anzusehen, den habe es aber nicht gegeben, etwa so hätte ich ihn mir aber vorgestellt, der nette Kollege bestätigte, dass der etwa ganz genau so aussehe, er sei nämlich in vielen Belangen ganz genau gleich, und dann fragte ich freundlich, ob sein Kollege nicht vielleicht hätte sagen können: „Ach, das tut mir leid, dass ich vergessen habe, ihnen zu sagen, dass das Auto, dessen Kofferraum Sie sehen wollen, ja überhaupt nicht existiert, aber wir haben hier ein genau gleiches Auto, vielleicht wollen Sie diesen Kofferraum mal sehen?“, aber ich sagte auch sofort, dass ich jetzt nicht noch einmal zurückgehen würde, dann wollte der nette Kollege den Schlüssel holen, um mir den Kofferraum zu zeigen, den hatte dann ein anderer Kollege in der Hosentasche, der war allerdings an einem anderen Standort – vermutlich in Braunschweig – und dann fuhren wir in ein Ommacafe, von dem Jawl mir kurz erklärte, dass das kein Ommacafe sei, und dann wies ich eine Stunde später darauf hin, dass nicht eine einzige Person unter 70 jemals außer uns hier gewesen sei, er stimmte zu, und dann war es 17 Uhr, da schließt im Sauerland alles.

So war das. Ich weiß noch immer nicht, wie das Auto, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen werde (also bis Auto als Privatbesitz in Großstädten endlich keine Rolle mehr spielt) aussieht, aber eine gute Sache hat das jetzt alles gehabt. Herr H stellte fest, dass es ja total unsinnig sei, noch mal ins Sauerland zu fahren, um ein Auto anzugucken, auch wenn da jetzt extra eins zum Angucken organisiert würde, ich warf ein, dass ich aber ja in den letzten 28 Jahren gelernt habe, dass ich ungern alleine in ein Autohaus gehe, und da er sich nicht interessiert, gehe ich jetzt mit jawl, und dann haben wir kurz die Ökobilanz gezogen, und jetzt geht Herr H mit mir in ein Autohaus. So war das.

Und weil ich natürlich mit jawl über Gott und die Welt aber nicht über das Einbinden von Fotos in Kommentaren gesprochen habe, hier noch der Nachtrag: die Lampenaugen.

I see faces.

6 Gedanken zu „09.03.2023“

  1. Ich komme inzwischen zu dem Schluss, Autohäuser wollen eigentlich gar keine Autos verkaufen. Was sie stattdessen wollen, ist mir nicht ganz klar, aber die Sache mit der Probefahrt ist sehr ähnlich bei meinem Freund verlaufen: Autohaus A war über zwei Wochen nicht in der Lage eine Probefahrt zu organisieren und hat sich totgestellt, auf persönliche Nachfrage wurden wir dann in den Nachbarort zur anderen Filiale geschickt mit den Worten, dort sei das Modell verfügbar. Leider wusste die Nachbarfiliale nichts davon und nach einem kurzen Blick hat der Freund mich schnell aus dem Haus befördert bevor ich jemandem an die Gurgel gehe.

    Falls Sie am Wochenende nichts besseres vor haben, können Sie ja hier ein wenig Zeit verbringen, vielleicht kommt ja ein EQA vorbei:
    https://seedandgreet.de/

  2. Danke für das Augenbild. Ich stelle fest, ich habe mir das völlig anders vorgestellt.
    Aber es stimmt, das sind Augen und das Telefon in der Mitte ist der Ansatz einer Nase. Herrlich!

  3. Mich wundert eigentlich, warum es in Autohäusern nicht mehr Amokläufe gibt. Also überhaupt gibt.
    Ich bin als Frau praktisch nicht vorhanden, es wird nur mit Herrn croco gesprochen. Dem Autos sowas von wurschd sind und der keine Vorstellung davon hat, wie ein Auto auszusehen hat.
    Jetzt war die Kupplung kaputt, direkt gemeldet an die Zentrale in München und von dort abfragbar, bevor ich mich noch in der Werkstatt angemeldet hatte.
    Es kam, was kommen musste. Der Meister sprach mich bei der Autoabgabe direkt an. Falls ich ein neues Auto kaufen wolle, solle es bitte eine Automatik sein. Ich käme ja nicht mit der Kupplung zurecht.
    Da er meine Mordlust wohl fühlte, und wahrnahm, dass Herr croco daneben stand, bog er ab und sagte, dass er es vielleicht gewesen wäre, der die Kupplung geschunden hätte.
    Junger Mann dachte ich, ich habe schon gekuppelt, als sie gerade Krabbeln gelernt haben.
    Gesagt habe ich nichts, habe ja sehr viel in die Ausbildung zur Deeskalation investiert.
    Es gibt sie noch, die Männerwelten.

  4. Autohäuser. Seltsames Volk dort. Ich formulierte bei meinem letzten Autokauf klare Anforderungen (Automatik, Freisprech- und Multimedia-Anlage, Sitzheizung, alles andere verhandelbar). Mir wurden Autos nach Farbe vorgestellt („Ein erfrischendes Blau!“), die weder Automatikautos waren noch eine Freisprechanlage noch eine Sitzheizung besaßen, aber es gab ein Netz, an dem ich die Einkaufstasche festmachen kann, was mehrfach betont wurde. Ich meinerseits hatte vorher mehrfach betont, dass es sich um einen Geschäftswagen handelt. Auch an dieser Stelle hatte man kein Erinnerungsvermögen.

    • In einem Gespräch gestern wurde mir vorgeschlagen, ich solle ein Autohaus finden, in dem mir eine Frau ein Auto verkauft. Das klingt jetzt vielleicht erst einmal ein wenig aktionistisch, andererseits habe ich ja einst eine Küche ausgedacht und die in zwei Küchenhäusern konfigurieren lassen. In dem ersten sagte ein sehr junger Verkäufer immer wieder, was der Ofen alles kann, was ich immer wieder beantwortete mit „180 Grad Umluft ist alles, was ich mit dem Ofen mache“, im zweiten war eine Frau kurz vor der Rente, die auf den Grundriss guckte und sagte: „Das geht so nicht. Wenn Sie hier den Porree waschen und dann dahin zum Herd gehen, ist der ganze Boden nass.“

      SO will ich ein Auto kaufen. Und das ist gar keine Geschlechterfrage. Das ist eine Frage der Beratungskompetenz. Wenn Ihnen wichtig wäre, dass irgendwo eine Einkaufstasche festgemacht werden kann, würden Sie das vermutlich sagen und die Beratungsleistung dann auch sehr schätzen.

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