08.06.2022

Heute war ich im Theater, was wirklich erstaunlich war, nicht, dass ich im Theater war, es gibt ja wenige Dinge, die ich hier teilen würde, die ich lieber mache, als ins Theater zu gehen, aber dass ich ERST heute wieder im Theater war, das war schon erstaunlich. Ich bin ja recht konsequent die ganze Pandemie über ins Theater gegangen, so es denn geöffnet war, zur Not mit einer FFP12 Maske, somit war das Schauspielhaus eigentlich intrapandemisch der einzige Ort außerhalb meines Zuhauses, an dem ich überhaupt noch war. Die gute alte Tradition, vor Beginn im Foyer noch ein Glas Sekt zu trinken, musste zwischenzeitlich unterbrochen werden, sogar auf die Gefahr hin, dass meine Mutter im Kommödchen eine Szene macht, weil sie so gerne etwas trinken möchte, wo wir doch so schön aus sind („Nein Mama, wir trinken zuhause, andere 80Jährige sterben!“), und so hat sich das Theater in meinem emotionalen Gefüge einen noch wichtigeren Platz erarbeitet, als es eh schon hatte. Als das, wo ich noch hingehe, wenn ich nicht mal mehr in den Aldi gehe.

Nun ist aber ja die Pandemie „vorbei“, also gehe ich wieder ständig überall hin und treffe permanent irgendwelche Menschen, da ist zwar das Alleinstellungsmerkmal des einzigen Amüsements verpufft. Macht aber nix, jetzt gehe ich einfach wieder so hin, wie vor der Pandemie. Altnormales Theater. Die heutige Karte erreichte mich unerwartet, und da ich derzeit ein wirklich sehr stark beschäftigter Mensch bin und wenn ich gerade nicht sehr stark beschäftigt bin, bewirtschafte ich eine Farm, dazu demnächst noch mal mehr, ich habe Kapitalismus im Alter von 45 (nicht 46) jetzt komplett verstanden und umgesetzt, jedenfalls bekam ich eine Theaterkarte zugespielt und konnte oder wollte, das ist unklar, mich nicht auf das Stück vorbereiten. In einem vorbereitenden Telefonat bekam ich noch die Information, dass a) das Stück bereits in Aspekte besprochen worden sei, und zwar mit größter Lobhudelei und b) dass es ein 90minütiges Solostück ist. Da bin ich ja meistens schon raus. Ich bin ja ein großer Fan von Geschichten, ich möchte immer gerne eine Geschichte erzählt bekommen, Charaktere sehen, so das ganze Programm des bunten Abends. Irgendwo 90 Minuten lang einem Mann zuhören und dabei stillsitzen… Menschen, die mich kennen, sagen, das bildete mich nicht ab.

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Umso größer die Überraschung – es war die Generalprobe, die Premiere ist morgen – als wir uns setzten und Robert Wilson himself sich vorne hinstellte und ein bisschen was erzählte. Wir dürften auch gerne lachen. Okay. Dann kam Christian Friedel auf die Bühne (im Publikum identifizierte ich unter anderem Menschen, die ich aus so etwas wie dem Tatort kenne, da Fernseh aber ja nicht mein Metier ist, kann ich da nichts weiter zu sagen, außer: Das sind Menschen, die ich aus dem Fernseh kenne, vielleicht Tatort), und dann war, wie man es hätte erwarten können, wäre man besser vorbereitet gewesen, 90 Minuten wirklich beeindruckendes Bühnenbild, gefolgt (nicht zeitlich gemeint) von 90 Minuten wirklich beeindruckende Schauspielkunst, inklusive Singen und Tanzen und Steppen und Stimmen und Mimik und sehr, sehr viel Körperbeherrschung, und dann war es vorbei. Es hätte, ich sage es ungern, weil es so unfair ist, so handwerklich fantastisch wie das alles war, keine Minute länger dauern dürfen, zumindest nicht für mich, wegen, Sie erinnern sich, Geschichte und Charaktere, das kam vermutlich alles vor, wenn ich es 10 mal sehen würde, würde ich auch alles vielleicht verstehen, so war ich die gesamte Zeit irgendwo zwischen vollkommen reizüberflutet und etwas gelangweilt, aber wie gesagt, das ist unfair, eventuell habe ich auch einfach den überwiegenden Teil nicht gut verstanden.

Zudem kommt ja eine Qualität, über die ich verfüge, mir das sehr zu Pass: Ich kann mich ja uneingeschränkt darüber freuen, wenn andere Menschen sich Mühe geben und etwas machen, um mich zu unterhalten. Diese Credits bekommt jedes einzelne Stück und jeder einzelne Mensch in jedem einzelnen Theater von mir gratis. Ich finde es einfach einen sehr schönen Gedanken, dass ich in so einem gemütlichen Sessel sitzen darf, während andere Leute sich stark bemühen, damit ich gut unterhalten bin. Das erzeugt eine gewisse Dankbarkeit, die über Schwächen hinwegsehen lässt. Das hatte Christian Friedel allerdings gar nicht nötig, ich denke nicht, dass ich viele Menschen kenne, die das hätten leisten können. Robert Wilson , der ein paar Plätze neben uns saß, sah sehr zufrieden aus. Und ich hab eine Sache mitgenommen. I rise up and I walk with myself.

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