Wandtattoo in der Duisburger Halle, in der ich als Kind und Jugendliche bestimmt mehr als 100 Spiele gemacht habe, oder vielleicht auch weniger, jetzt wo ich so drüber nachdenke, maximal drei pro Saison, gut, das sind in 12 Jahren dann 36, die sich aber anfühlen wie 100, wenn man nicht mehr 12, sondern 46 ist. Die zweite Runde der Oberliga-Quali fand jedenfalls in genau dieser Halle statt, ausgerichtet von der Nemesis meiner Jugend, dem OSC Rheinhausen, der jetzt freundlicherweise gar nicht mehr so heißt, um mich nicht in Wallung zu bringen. Also nein, der Verein heißt noch OSC, aber die Jugendmannschaften firmieren unter einem neuen Namen, da sie mit einem anderen Verein, gegen den ich in meiner aktiven Zeit immer gewonnen habe, zusammengelegt wurde. Egal. Eine Reise in meine Vergangenheit, jedenfalls.
Wir erinnern uns kurz: Oberliga Quali als Underdog den ersten Teil gespielt, dann als Tabellenführer beider Kreise, die am Ende zusammen gewertet werden, in den gestrigen Tag gestartet, mit wirklich guten Chancen, leider doch aufzusteigen. Es warteten in dem zweiten Kreis nur drei weitere Mannschaften, von denen wir im Vorfeld leider nur Folgendes wussten (der Trainer der Starmannschaft dieses Kreises war ja so klug, sich unsere gesamte erste Runde anzusehen, um zu wissen, was ihn in der zweiten Runde erwartet): Die ausrichtende Mannschaft hat zwei Mannschaften in der Quali. Die erste unter einem noch völlig neu erfundenen Vereinsnamen, die allerdings gar nicht Oberliga spielen möchte, sondern Nordrheinliga, sich aber erst über die Oberliga dafür qualifizieren möchte, und vor der ich persönlich große Angst hatte, ich kenne den Verein ja aus Kindertagen gut, es ist eine Kaderschmiede, ich konnte mir vorstellen, dass sie wissen, was sie sagen, wenn sie auf ihrer Webseite schreiben „Unsere Erste wird Nordrheinliga spielen, aber erst mal müssen wir die Oberliga-Quali spielen. Unsere Zweite soll in der nächsten Saison Oberliga spielen.“ Jetzt muss man wissen: Das erste Turnier wird jeweils in den einzelnen Kreisen gespielt, die besten vier kommen weiter, das zweite Turnier wird dann mit den Punkten aus dem ersten Turnier gespielt, die Kreise spielen nur noch gegeneinandern, und die insgesamt besten drei steigen auf in die Oberliga. Stand gestern morgen: Wir auf 1, Dicke Hose Verein auf 2, ein weiterer Verein aus unserem Kreis auf 3. Dicke Hose Verein hatte in seiner ersten Runde alles mit absurden Endständen gewonnen. Rechnerisch war es also so, dass wir nur ein weiteres Spiel gewinnen müssten, um weiter zu sein. Dummerweise kannte niemand die anderen Mannschaften, und dass sie gegen den Dicke Hose Verein verloren hatten, war natürlich erst mal sehr wenig aussagekräftig. Wir spulen vor.
Fahrt nach Duisburg, Samstag 8 Uhr, Ona und Kumpel G pennen fast im Auto, der Torwart ist hellwach. Die Mannschaft kam mit der Hybris von 14Jährigen, die Tabellenführer sind, aus der Kabine, und dann kam der Gegner, die zweite Mannschaft des Dicke Hose Vereins, und ich war mindestens erstaunt, Handball ist kein Sport, der üblicherweise mit einer Menge kleiner und eher schmächtiger Menschen gespielt wird. Dann liefen sie ein bisschen, okay, daran sieht man nix, und dann warfen sie sich warm, erst zu zweit, dann aufs Tor, und spätestens dann wusste ich: Quali geschafft. Dazu sei gesagt: Unser Torwart ist exzellent und war ja nachweislich auch sehr wach, und ich konnte keinen einzigen Spieler ausmachen, dem ich zutrauen würde, ein Tor gegen uns zu werfen. Fazit: Das war schön, 16:4 gewonnen, aber auch nur 16:4 und nicht 30:0, weil ja außer dem Torwart wie immer alle erst mal 10 Minuten gepennt hatten.
Und es gab ein weiteres Problem, das in ganz naher Zukunft bewältigt werden muss: Harz!
Harz ist super, Harz klebt, wenn man Harz an den Händen hat, kann man super den Ball festhalten. Die Rhein-Ruhr-Mannschaften spielten mit Harz, Onas Mannschaft hat noch nie mit Harz gespielt. In der Kreisliga ist Harz verboten, in der Oberliga ist Harz erlaubt, viel interessanter ist aber, wie es mit den Hallen aussieht, und da ist es so: Ona hat drei Mal die Woche Training, in drei verschiedenen Hallen, und in zwei davon ist Harz verboten, wie ich seit gerade eben weiß, in der dritten Halle erlaubt. Ich verstehe das. Harz ist eine unglaubliche Sauerei, wirklich schlimm wird es, wenn die Spieler Harzbälle haben und die Mütter sagen „Mach bitte den Ball in den Müllbeutel, bevor du ihn in die Tasche tust“ und das natürlich immer vergessen wird.
Long story short: Wenn eine Gruppe 14Jähriger zum ersten Mal in ihrem Leben mit so einem klebrigen Ball spielt, dann ist das quasi wie Slapstick. Alle holen aus zum Supertorwurf, aber statt mit 100 km/h ins Tor zu ballern, ballern sie den Ball vor sich auf den Boden, und dann springt er sehr weit weg, zum Beispiel auf die Tribüne. Aber gut, für 16:4 hatte es ja gereicht, und so war man eigentlich dann schon durch, was die Oberliga angeht.
Nach dem Eröffnungsspiel kam dann das erste Mal die Dicke Hose Mannschaft aufs Feld, und ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Das war schon sehr beeindruckend. Alleine, dass auf Halbrechts und Rechtsaußen zwei Linkshänder spielten, also die, die da hingehörten, war beeindruckend, die findet man ja sehr schwer (für Halbrechts gilt: Sehr groß, sehr wurfstark, Linkshänder, für Rechtsaußen gilt: Sehr klein, sehr sprungstark, Linkshänder.) Bei uns steht Ona auf Halbrechts, weil es einfach gar keinen Linkshänder gibt und er wenigstens die anderen beiden Kriterien erfüllt, und außen steht ein Linkshänder, gut, das ist schon ein großer Erfolg. Der Torwart war etwa so groß und so breit wie mein Mann (Jahrgang 2009), die halben und Mitte waren allesamt größer als mein Kind, welches das zweitgrößte mir bekannte im Handballkreis Düsseldorf ist, wohlgemerkt, und dann haben wir noch nicht darüber gesprochen, dass die alle einen Oberkörper hatten wie Fabian Hambüchen, die Älteren werden sich erinnern.
Es passierte, was passieren muss: Statt sich selber vernünftig warm zu machen, guckten alle gebannt auf den Gegner, also heimlich, und dann hatten alle Angst. Ich war sehr beeindruckt: Der Linksaußen war vermutlich unter 1,60 und warf wie Jonathan. War dabei aber etwa dreimal so schnell, ich hielt das alles für physikalisch unwahrscheinlich. Jedenfalls ging es los, nach 30 Sekunden der erste Siebenmeter für uns, Ona warf – an die Latte. Dann stand es irgendwann 7:0, und mit irgendwann meine ich Minuten 4:30, und dann wollte ich schon einen Kaffee holen gehen, weil es ja eigentlich egal und dennoch schmerzlich anzusehen war, so viel Angst hatten sie, und dann irgendwann gelang dann doch mal was, und noch was, und noch was, und am Ende stand es 6:22, und sie feierten sich nach dem Abpfiff, als hätten sie das gewonnen. Ich frage anschließend, was passiert war, und Ona sagte: „Wir haben sechs Tore geworfen, und wir sehen die nie wieder, das kann man ja mal feiern.“ Ich fand das folgerichtig.
Die dritte Mannschaft, gegen die es zu spielen galt, musste dann leider alles ausbaden, was sie von der zweiten wieder gutmachen wollten, und so kam es zwischenzeitlich so weit:
Es ist schwer zu erkennen, aber ich übersetze gerne: Im Minute 5:55 stand es 9:0 für uns, in Minute 5:59 10:0, aber ich hatte keine Lust mehr, noch mal zu fotografieren, und dann passierte das, was vermutlich so gehört, sie kriegten so viel Spaß am Spiel, dass sie nur noch Quatsch machten, Trickwürfe und so, und das sei ihnen gegönnt, und am Ende stand es 24:13, und das war ja vollkommen in Ordnung, wenn wir jetzt einfach mal ganz realistisch davon ausgehen, dass in der gesamten Saison 23/24 gar kein Spaß mehr ansteht, weil der VFL Gummersbach vermutlich noch viel bessere Trickwürfe kann als der kleine Düsseldorfer Provinzverein. An dem Tag, an dem ich morgens mein Kind und den Torhüter und Kumpel G. nach Gummersbach fahre, wird übrigens ein sehr großer für mich sein, 0:40 hin oder her.
Zwei Sachen habe ich aus dem gestrigen Turnier mitgenommen, die mich sehr froh gestimmt haben.
Erstens. Die gesamte letzte Saison, also nur mit dem alten neuen Trainer, haben die gleichen 7 Jungs 50 Minuten durchgespielt. Komme, was wolle. Ich verstehe das spielerisch, ich fand das aus vielen Gründen aber falsch. Wir hatten letzte Saison zwei bis drei Auswechselspieler, die immer zum Training gekommen sind und immer zum Spiel mitgefahren sind, die aber nie Spielzeit bekommen haben, was ich nicht okay fand. Es gab dazu auch Debatten – wir haben so viele Spiele sowieso so offensichtlich verloren, dass es wirklich um gar nichts ging – es änderte sich aber nichts. Gestern – wir hatten noch zwei 2010er mit und somit fünf Auswechselspieler – haben die sechs Stamm-Feldspieler in allen drei Spielen maximal 15 Minuten gespielt. Und das war super, wenngleich für die sechs ungewohnt, aber wir haben das gut besprochen. Wenn man 10:0 führt, bzw. in Minuten 15 4:20 zurückliegt, dann kann man auch super der zweiten Garde ihren Auftritt geben. Also 5 Leute runter, einen Halben stehen lassen und die anderen fünf drauf. Am Ende des Tages war die Bilanz zwar, dass man nix zu Null gewonnen hat, das ist aber ja auch total absurd, sich das Ziel zu setzen, andererseits hatten bis auf einen einzelnen Spieler, den Auswechsel-Rechtsaußen, der kein Linkshänder ist, alle Spieler mindestens ein Tor geworfen. Alle. Auch die 2010er. Und wie schön ist das denn bitte? (Und ich warf noch ins Feld, dass ja keiner traurig geguckt hat, als er gegen die Dicke Hose Mannschaft ausgewechselt wurde, das war dann okay, und der Ordnung halber muss gesagt sein, dass die 5 Stammspieler mit 4 Toren auf die Bank gingen, zwei kamen von der zweiten Garde, und das kann man nicht unterbewerten.) Die Jungs, die in der letzten Saison bei jedem Spiel mitgefahren sind in dem Wissen, dass man sie brauchen wird, wenn jemand verletzt ist, haben das mehr als verdient, und sie brennen genau so für die Sache und feiern sich genau so, wie die sechs, die immer spielen, und ich hoffe, dass das in der nächsten Saison so beibehalten wird, dass an dem Punkt im Spiel, wo klar ist, dass der Drops gelutscht ist (also bei 3:29) dann gewechselt wird. Ich wünsche mir das sehr.
Das zweite, was mich beeindruckt hat, ist, dass zwei Vereine Spieler mit Beeinträchtigungen aufgestellt hatten. Eine Düsseldorfer Mannschaft hatte einen kleinwüchsigen Spieler dabei, den ich seit vielen Jahren kenne, weil er bei den Spielen oft mit einem Trainerbändchen mit auf der Bank saß. Gestern hat er in allen drei Spielen gespielt, jeweils mehr als 10 Minuten. Die Mannschaft war angereist, ohne dass sie rechnerisch noch hätte gewinnen können, und er spielte mehr als 30 Minuten. Das fand ich sehr schön. Eine der Mannschaften aus den Rhein-Ruhr-Kreis hatte einen Spieler mit Down-Syndrom aufgestellt, und auch er kriegte in allen Spielen Spielzeit. Auch das: Sehr schön. Habe ich in der Kreisliga noch nicht gesehen, möchte ich mehr sehen.
So war das. Am Ende kam dann natürlich das minutenlange im Kreishopsen mit „HEY HEY OBERLIGA OBERLIGA HEY HEY“, und das wird sie hoffentlich durch die Saison tragen, die jetzt kommt, und wenn wir aus Gummersbach nach Hause fahren, werde ich die Geschichte erzählen, wie Ona im ersten Qualiturnier die 500 Tore aus dem Rückraum geworfen hat, für die gute Laune.
Heute war dann das Kind alleine mit Kumpel Arthur im Freibad, Pommes und Eis essen, was so ein Oberligasportler halt so macht, und Herr H und ich fuhren spontan doch noch einmal 8 Stunden in zwei Hallen, um die anderen Qualis (in dem Fall männliche A und männliche B) zu gucken. Lustig daran ist, dass wir viele der Jungs – darf man in der A-Jugend noch Jungs sagen – ja auch seit sieben Jahren kennen, und die größte Herausforderung war, sie zu erkennen. Nicht immer geglückt. Die A hat die Quali geschafft, die B leider nicht. Was mir heute wiederum zu denken gab: Zweimal musste der Krankenwagen kommen, zweimal für weniger banale Dinge als Außenbandriss. Einmal schwere Kopfverletzung (innen, nicht außen), einmal Wirbel. Und das warf in mir die Frage auf, wie es eigentlich sein kann, dass auf jeder Dorfkirmes so ein Wagen vom roten Kreuz stehen muss, weil man Angst hat, dass jemand ein Bierglas auf seinen dicken Zeh fallen lässt, während ein Handball-Qualiturnier, welches ja im Prinzip so aussieht, dann mit einem Kühli aus einem Elternkühlschrank absolviert wird. Auch nicht okay.
Aber gut. Das waren jetzt vielleicht die größten Handballmuttermomente meines Lebens, nach dem Sommer geht es dann los mit der Saison der Tränen. Gummerbach – wir kommen. Mutti hat das Kühli mit.
Hachz! Ich lieb diese Berichte soooo! Und ich fühls!