12.04.2023

Ich hätte gar nicht gebloggt, aber dann ist mir etwas wiederfahren, oder heißt es widerfahren, das würde semantisch, Moment ich gucke eben, ah, widerfahren, also entgegenfahren, ich denke, das muss ich später recherchieren, immerhin vergesse ich es danach nie mehr, sehr gut, jedenfalls war es so, dass ich auf XvormalsTwitter, so heißt das ja, ein kleines Video eines sehr alten aber recht fitten Mannes gesehen habe, mit Cappy und langen Haaren, ich dachte erst, es sei Otto, und man sollte raten, und gut, ich kürze ab, es war Gene Hackman, 94. Ich googelte Gene Hackman, Sie wissen ja, dass ich mich nicht für Filme oder Filmschauspieler interessiere, und dann erschrak ich mich, ich kannte den nämlich, und in meinem Kopf war der jung. Also zumindest jünger.

Das letzte Mal, dass mir das passiert ist, war, als Heide Simonis gestorben ist. Ich mochte Heide Simonis, und ich habe sehr mitgelitten, als der Heidemörder 2005 sie immer und immer wieder nicht wählte, das fand ich total faszinierend. Schlimm faszinierend. Aber worum es eigentlich ging: Zwischen 2005 und 2023 hatte ich mich nicht mit Heide Simonis beschäftigt, und dann war sie plötzlich tot, und dann war ich völlig überrascht, und dann fand ich heraus, dass sie 80 war, und dann war das eigentlich wieder ein bisschen weniger überraschend, aber gut, wie war sie denn plötzlich 80 geworden? Es kann nur einen Grund geben: Ich bin auch älter geworden. Keine schöne Sache. Gene Hackman ist 94, Heide Simonis war 80, ich bin 47, das ist irgendwie ja noch total akzeptabel, aber die Leute, die akzeptabel waren, als ich jung war, die sind jetzt 94 oder tot, das ist schlimm.

Insgesamt ist Altwerden Kacke, wir haben das an vielen Orten bereits besprochen, und ich muss das in den letzten Wochen viel besprechen. Mein Schwager, der ja nun nicht alt geworden ist, mein anderer Schwager, der noch nicht einmal 47 geworden ist, sondern nur 43, und jetzt meine Mutter, die in ihrem ganzen Leben nie etwas hatte, dennoch aber findet, dass niemand so schlecht dran ist wie sie mit ihrer schlimmen Bandscheibe und dem immer krummer werdenden Rücken. Nun hat sie etwas Schlimmes, und von allen schlimmen Sachen, die man mit 84 kriegen kann, ist das vielleicht noch nicht das Maximum, aber – und jetzt kommt schon wieder so ein schlimmer Gedanke – sie wird daran sterben, nur eventuell zu einem Zeitpunkt, zu dem man eh üblicherweise stirbt. So die Hoffnung.

Langer Rede kurzer Sinn. Seit ich meinen Vater in den Tod begleitet habe, habe ich ja eigentlich keine Angst mehr vor dem Tod, er hatte in den letzten Sekunden irgendeine vermutlich chemikalisch bedingte Vision, die den Umstehenden das Gefühl gab, dass, wenn das Sterben ist, das ja alles nicht so schlimm sein kann. Den Moment kann man nicht teilen, den Moment muss man erlebt haben, und ich weiß nicht, ob das alle Menschen erleben, aber den vier Leuten, die um ihn standen, hat das geholfen, dem eigenen Ende gelassener entgegen zu sehen. Meine Angst ist der Weg dahin. Meine Mutter altert nicht in Würde, sie hadert tagtäglich, dass sie mit 84 nicht mehr so leistungsfähig ist, wie mit 40, und das ist vertane Lebenszeit, es hilft aber auch nicht, wenn die drei Töchter – wir haben das eben noch einmal ausprobiert – sagen, dass sie halt einfach annehmen muss, dass sie 84 ist, nicht 40. Ich wünsche mir für mich, dass ich, gesetzt den Fall, ich bleibe bis 84 so gesund, mit großer Würde und Fassung mit dem Rollator ins Schauspielhaus rollere, dort dann den Aufzug nehme, nicht die Treppe, und zwar einfach, weil mir klar ist, dass ich einfach sehr, sehr alt bin, ich auch nicht mehr so viel Zeit habe, und die, die mir noch bleibt, jetzt bis Ultimo genossen werden muss. Das möchte ich.

4 Gedanken zu „12.04.2023“

  1. Wichtig ist m.E. nach nicht, was man mit 84 noch alles machen kann, sondern- ob man alles gemacht hat, was man machen kann. Und ob man mit dem, was man nicht machen konnte, einen guten Schlußstrich ziehen kann.
    Der Rest geht dann von selbst.

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