Walking in my shirt (erfunden)

Ich besitze ja eine Nähmaschine und noch etwa 100 Meter lustige bunte Baumwollstoffe, aus denen mal irgendwelches Kinderutensil genäht werden sollte, bevor ich entschied, mich lieber auf andere Inhalte zu konzentrieren und das Kind entschied, sich zur Einschulung nur eine Sache zu wünschen: „Mama, ich möchte bitte nur noch Dinge aus dem Kaufhaus haben.“ (Umso dramatischer, dass das Kaufhaus jetzt leergekauft ist. Es gab noch circa 1000 Eminent Rollkoffer und 500 Bench T-Shirts. Rest weg.) Somit war der Beginn der Pandemie, als die Politiker und Starvirologen sich noch nicht trauten zu sagen, dass Masken eventuell vorteilhaft sein könnten, weil es ja gar keine gab, für mich der große Moment: Alle waren nett zu mir, schenkten mir Gummibänder (waren ja weltweit ausverkauft), Pfeifenreiniger und Co und tauschten diese gegen von mir genähte Masken. Männer taten sich teils etwas schwerer, doch ich hatte auch einen braunen Stoff mit Dachsen im Angebot, der sehr maskulin wirkte, maskuliner als meine eigene Lieblingsmaske, rosa mit großen 70er Jahre Viren drauf. Also nähte ich für die gesamte erweiterte Familie, das gesamte Büro, die halbe Nachbarschaft und die ein oder andere befreundete Person, bis ich irgendwann nach wirklich vielen Masken und wirklich viel Schrägband-Selberbügeln keine Masken mehr nähen wollte. Dann gab es ja auch wieder welche zu kaufen.

Meine Masken waren leider nicht das Gelbe vom Ei. Meine Mutter konnte mit ihrer kaputten Schulter nicht hinten binden, ich konnte nicht gut damit atmen, dem Kind waren sie nicht erwachsen genug, alle hatten was zu motzen. Eines Tages war ich im Supermarkt, kaufte aus Recherchegründen ein Paket Einmalmasken und war sofort begeistert. Nicht nur, dass ich die nicht selbermachen musste, sie waren atmungsfreundlich, hatten Gummibänder, das begehrteste Luxusgut der westlichen Welt, insgesamt ein gutes Produkt. Mit der kleinen Ausnahme, dass ich ja Wegwerfprodukte grundsätzlich sehr schlecht finde. Dennoch trug ich fortan blaue OP Maske.

Die Wiederöffnung der Schule brachte eine neue Komponente in das Störgefühl rundum die Wegwerfmaske: Jonathan braucht aus irgendwelchen Gründen drei am Tag, die danach verloren, kaputt oder ganz dreckig sind, also wurde die Schlagzahl beim Maskenkauf hochgesetzt, das Gewissen wurde dadurch nicht besser. Gestern: Game Changer.

Mein Mann hatte für sich eingekauft und kam mit einem Paket Baumwollmasken in sehr ansprechenden dezenten Mustern aus dem Drogeriemarkt. Hersteller der Masken: Nein, ich sag’s jetzt nicht, aber ein Hemdenhersteller der gehobenen Klasse. Da eine durchschnittliche Bluse dort 170 Euro kostet, lag die Vermutung nahe, er habe im Lotto gewonnen, aber nein, 5 Masken kosteten 10 Euro. Sie saßen gut, rochen auch ungewaschen nicht nach Chemie, und nach der Wäsche fühlten sie sich noch immer gleich gut an.

Wenn ich mit jemandem über textile Entwicklungen sprechen möchte, mache ich das natürlich mit Düsseldorfs berühmtesten Künstler und Radfahrer. Also lief ich heute mittag in den Laden, er begrüßte mich liebevoll mit „Ach, hast du jetzt auch so eine Maske?“, und dann folgte ein 30minütiger Monolog (der allerdings sehr interessant war) über ägyptische, amerikanische und usbekische Baumwolle, die Fadenqualität an den Innenseiten der Manschetten, die neue Entwicklung des krawattenfreien Auftritts auch im Dax-Umfeld und dessen Auswirkungen auf die Oberhemdschneider der Oberklasse, und so weiter, und so fort. Was genau die einzelnen Informationseinheiten waren, hab ich mir nicht detailliert gemerkt, es war aber alles hochinteressant. 70 Millionen Masken hat der Hersteller inzwischen in Deutschland verkauft, das sind 140 Millionen Euro. Da ist sicherlich ordentlich Marge drin, andererseits beantwortet das noch immer nicht die Frage, wie es sein kann, dass eine Bluse 170 Euro kostet, eine Maske 2. Das Geschäftsmodell ist mir noch nicht klar. Zudem bin ich ja immer nicht davon überzeugt, dass es Premiummarken gut tut, von jetzt auf gleich mit irgendwas im unteren Preissegment den Markt zu überfluten. Das nimmt den Menschen doch den Spaß, die 170 Euro für eine Bluse ausgeben, damit andere Menschen, die auch 170 Euro für eine Bluse ausgeben, das Krönchen an der Manschette sehen und wissen: Ah, sie hat 170 Euro für eine Bluse ausgegeben. Am Ende heißt es dann nämlich: Oh, die Hemden mit den Krönchen, das ist doch die Firma mit den Discountermasken. Aber was red ich. Soll doch jeder machen, wie er mag. Ich habe jedenfalls jetzt eine optisch und funktional ansprechende Maske, habe mir noch ein paar dazubestellt, und bin jetzt für den Rest der Pandemie passend zur Damenoberbekleidung ausgestattet.

Nachtrag: Eine interessante Informationseinheit, die mir gerade wieder einfällt, ist dieser Dialog:

Künstler: „In Italien mussten die Ärmel von Hemden immer unterschiedlich lang sein. Rechts Manschette mit Emblem ein bisschen länger, damit die unterm Anzug rausguckt und man zeigen kann, was für ein tolles Hemd man trägt, links zwei Zentimeter kürzer, damit man die Uhr gut sehen kann.“

Herzbruch: „Ein italienischer Mann zu sein erscheint mir sehr anstrengend.“
Walking in my shirt (erfunden)

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