Urlaubstagebuch Teil 1

Wir sind also gestern angekommen, und zwar vollkommen ohne irgendwelche Komplikationen. Ich bin ja viel und weit gereist, und ich habe nie irgendein Anzeichen von Stress im Vorfeld verspürt. Selbst in den Jahren, in denen ich regelmäßig an Flughäfen gestrandet bin, weil ich Probleme mit der Security hatte, war ich sehr fatalistisch eingestellt. Immer gute Wäsche tragen wegen Strip Search, immer die Telefonnummer vom nächsten Konsulat auf dem Unterarm mit Kuli, Kreditkarte, Reisepass, Zahnbürste in der Handtasche, der gesamte Rest war egal.

Dieses Jahr war es anders, das erste Mal, dass ich mit Kind alleine verreist bin, wobei das im Nachhinein nicht der erschwerende Faktor war. Vielmehr war mein Hauptanliegen, dass ich komplett komplikationsfrei und ohne jede Beanspruchung des momentan ungewohnt dünnen Nervenkostüms verreisen wollte, und zwar mit dem Hauptziel, anschließend komplett rekuperiert zu sein. Und wenn es nur eine Woche zur freien Verfügung gibt, dann sollte das alles gut durchdacht sein. Die Phase des kleinteiligen Durchdenkens dauerte eine Woche und hat sich zwar gelohnt, wir haben alles mit, alles geordnet und alles komplikationsfrei erledigt, aber unterm Strich muss das jetzt auch alles wieder reingeholt werden. Ach.

Flug war komplikationslos, Anreise war überhaupt nicht zu früh (Abfahrt zuhause 4 Uhr, Ankunft Abflughalle 4.15h, Checkin Schlange 4 Kilometer, Abflug 6.50h), Einreise komplikationslos, Transfer komplikationslos, Kind hielt sich hervorragend an unsere Abmachung (an Reisetagen möchte ich nie den Satz sagen müssen „Lauf doch mal einen Schritt schneller“), alles bestens.

Das Hotel ist in etwa halb so schön wie auf den Fotos, das hatte ich aber antizipiert, zudem ist es dann immer noch schön genug. Alles ist praktisch, verfügbar, sauber, freundlich, es ist überhaupt nicht zu warm, da es sehr windig ist und somit, sobald man Schatten sucht, und das tue ich ja immer, außerdem sind überall Sonnenschirme, ist es sehr frisch, die Matratzen sind sehr gut, der Balkon ist da aber irgendwie zu warm, zu ungeschützt und nicht so idyllisch, wie erhofft, außerdem fehlt zum Glück die Main Bar mit den guten warmen und kalten Getränken, und so weiter. Alles gut. Eine Sache hatte ich allerdings vergessen in meiner Überlegung.

Ich bin ein Alleinemensch. Und ich möchte immer das machen, was ich möchte, und zwar dann, wann ich es möchte, und ich möchte keine Menschenmengen um mich rum haben. Und eigentlich kann davon nicht die Rede sein. Jetzt gerade ist es 11 Uhr morgens, ich sitze mit Rechner und Kaffee an einem gemütlichen Tisch am großen Pool, in dem genau 14 Leute sind. Das ist vollkommen überzeugend wenig, es ginge viel schlimmer. Im nächsten Schritt werde ich aufs Zimmer gehen, den Laptop wieder wegbringen und die Luma holen, dann lege ich mich nämlich wie eine Oma auf 3 Uhr im Wasser auf die Luma und schlafe ein Ründchen. Das entbindet mich davon, mir einen Liegestuhl aufzubauen. Die gibt es nämlich natürlich, und sie sind auch kein knappes Gut, diese Horrorgeschichten von Hotels, wo sich um 6 Uhr morgens Hermann aus Oer-Erkenschwick aufmacht, um die besten Liegen mit Handtüchern zu reservieren, sind hier nicht zutreffend. Die Infektionsschutzmaßnahmen finde ich überzeugend, auf jedem Tisch und sowieso überall stehen Flaschen mit Desinfektionsgel, überall stehen Kartons mit schwarzen medizinischen Masken, am Buffet ist Masken- und Handschuhpflicht, etc.

Dennoch ist mir das zuviel. Zuviel Menschen, zuviel Geräusche, zu viele optische Eindrücke. 100 Senioren in Badehose und Flipflops ist kein Bild, das ich zum Frühstück haben möchte. Ich möchte genau genommen gar kein Bild zum Frühstück haben. Ich möchte Ruhe. Und ja, ich möchte auf einer Liege liegen, und auf der Liege neben mir soll mein Kind liegen, wenn es nicht gerade schwimmt. Keinesfalls soll drei Meter weiter eine fremde Person liegen, das braucht es für mich nicht. Ich brauche auch keine Musikanlage am Pool. Und ich brauche ganz sicher keine Musikanlage am Strand. Ganz sicher nicht. Insgesamt fand ich den Strand sehr unüberzeugend. Zu viele Menschen, zu wenig Wellengang. Die Situation war deutlich, deutlich entspannter, als man das so von Fotos aus Malle kennt, wo jeder genau die 1,5 Quadratmeter des eigenen Handtuchs zur Verfügung hat, aber dennoch. Ich bin in der Vergangenheit einfach immer so lange rumgefahren, bis ich einen Strand gefunden habe, wo kaum jemand ist, Handtuch, Wasserflasche, gut ist’s. Hier gibt es alles. Lustiger Strandbuggy, der Menschen rauf und runter fährt. Strandbar, Liegen, Pizzaofen, Burgerbar, Liegen, Sonnenschirme, WLAN. Aber das, was ich üblicherweise am Strand suche, nämlich Ruhe, gibt es dort nicht. Also werde ich wie eine Irre schwimmen. Ona hat vorgeschlagen, dass wir einen Tag versuchen könnten, zur nächsten Insel zu schwimmen. Mit Luma, zum Ausruhen. Natürlich werden wir das nicht schaffen, aber im Prinzip ist das ja auch nix anderes, als das, was wir in Spanien machen: Sehr weit rausschwimmen mit Luma zum Ausruhen, und da dann rumhängen und schnorcheln. Gut, sonst waren wir zu dritt, das ist noch mal anders, dafür kann ich dieses Mal das Handy für Notfälle mitnehmen. Und nein, jetzt keine warnenden Worte, wir sind ja nicht verrückt. Haben beide Gold, die Luma zur Sicherheit, und nie komplett außer Sichtweite der Lifeguards. (Langjährige Leser dieses Blogs erinnern sich eventuell, wie ich einst in der Costa Brava bei hohem Seegang kilometerweit nach Hause schwimmen musste, weil nur noch 2 von 3 wieder ins Kajak kamen, und die natürliche Auslese spuckte mich aus, also musste ich als Begleitboot hinter dem Kajak herschwimmen. Gut, ich hatte eine Weste, das wäre noch eine Idee, ja, wir leihen uns Westen, sollten wir weiter rausschwimmen wollen.)

Und dann muss ich noch über Menschen sprechen, die sind ja der einzige Faktor, der mich stört gerade. Und sie können nicht mal was dafür, ich springe nur scheinbar zu schnell auf bestimmte Dinge an. Ich identifiziere bislang deutsche, belgische und niederländische Familien, sowie einige osteuropäische Senioren. Und alle von denen sprechen schlecht Englisch, haben aber viele Wünsche. Das macht mich wahnsinnig. Gestern abend habe ich im Rahmen meiner festgelegten Regel, nicht mit Fremden zu sprechen, beschlossen, dass ich unverzüglich meinen Reflex ablegen muss, dolmetschen zu wollen, um das Fremdschämen zu kontrollieren. Der deutsche Familienvater, der früher als angesetzt einchecken möchte und nur immer wieder sagt „I want my room“, der niederländische Familienvater, der an der Bar seinen Kaffee aus der Siebträgermaschine und nicht lösilich möchte und nur aggressiv wiederholt „NO, NOT THIS, NOT THIS“, die polnische Seniorin, die gerne ihr Getränk mit weniger Eis möchte und sagt „Not many, not many, NO NOT MANY“, das macht mich alles irre. Das kriegt man auch nicht geupgradet, da mach ich die nächsten Tage nix dran. Ich denke mir einfach, dass die Leute wahrscheinlich in ihrer eigenen Sprache viel netter und höflicher sind, und dann gehe ich weiter.

Die anstrengende Strandsituation werde ich nicht gelöst kriegen, ich plane allerdings, einen Tag doch ein Auto zu mieten und einen ruhigen Strand zu suchen, den ich dann abwohne. Die Poolsituation ist zwar nur mittelschlimm, aber die laute Musik macht mich irre, und da hilft es auch nicht, dass gerade Jamiroquai läuft. Zum Zwecke der Entspannung habe ich gestern abend angefragt, ob wir upgraden können auf so ein Zimmer mit eigenem Poolzugang. Da kann ich nämlich nicht nur in aller Stille für mich alleine auf der Terrasse sitzen und vielleicht leise Jamiroquai hören, vielleicht aber auch Bach oder nix. Zudem kann ich einfach um 22 Uhr noch mal schwimmen gehen, das geht hier nämlich nicht. 18 Uhr wird der Pool geschlossen, und wenn ich ehrlich bin: Das finde ich für Erwachsene eine Zumutung. Ich möchte nämlich eigentlich NUR nach 18 Uhr schwimmen, wenn die Familien weg sind, wenn der Ghettoblaster vom Lifeguard aus ist, wenn alle in der Schlange am Buffet stehen. Und dann ist da zu. Das geht so nicht. Und abschließend sei gesagt, dass ich eine wichtige meiner Eigenschaften leider bei den Vorüberlegungen vergessen hatte. Ich finde in nur sehr seltenen Ausnahmemomenten das toll, was alle toll finden. Das ist insofern sehr schlecht, dass die wiederkehrende Geschichte meines Lebens ist, dass jedes Produkt, das ich je zu 1000 Prozent überzeugend fand, spätestens ein Jahr nach Entdeckung aus dem Programm genommen wurde, das ist natürlich schade. Andererseits ist so eine pauschale Urlaubssituation natürlich auf den Geschmack des Durchschnitts zugespitzt, und das ist natürlich als Geschäftsmodell total nachvollziehbar. Die Auswahl am Buffet ist groß, aber alles ist total normal. Es soll ja allen schmecken. Für Ona super, für mich nach Mittagessen und Abendessen Tag 1 schon langweilig. Ich bin ja nicht 12. Ich wollte mich kurz halten. Ich bin keine Pauschaltouristin. Und wie Frau Stedtenhopp gestern so schön sagte: Die Menschen, die das anzieht und die dann um einen rum sind, ist die andere Seite der glänzenden Medaille, die da heißt Komfort, nicht kümmern müssen, nicht denken müssen, nix machen müssen. Mir ist schon klar, dass es keinen Ort auf der Welt gibt, wo all dies für Ona und mich allein gewährleistet werden kann. Und wie Frau Schüssler so schön ergänzte: Manchmal kann man auch mit Begeisterung etwas machen, zum Beispiel Pauschalurlaub, und sich gleichzeitig darüber freuen, das danach nie mehr zu machen. Und wie ich selbst gestern sagte, abschließend: Ich bin keine Pauschaltouristin. Aber es ist schön, das mal gesehen zu haben, und ich werfe mich jetzt voll in die Situation, hole gleich die Luma, lege mich in den Pool und penne.

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