Eventuell könnten wir jetzt langsam mal nach Hause abreisen, ich erhielt ein Signal, dass die Wohnung wieder betreten werden könne und mein Zimmer auch wieder aufgebaut sei. Das ist natürlich fein, wir alle wissen, dass meine Regale nicht „in loser Reihenfolge“ bestückt sind, sondern in einer maximal strukturierten Reihenfolge, die aber auch nur in meinem Kopf einen größeren Sinn ergibt, und wir alle wissen natürlich ebenfalls, dass Herr H nicht erst ein Foto gemacht hätte von den Arrangements, die abgebaut wurden, um sie dann einfach gleich wieder aufzubauen, sondern dass er alles (eventuell) ordentlich aber ganz ohne ein System wieder eingeordnet hat, und dass ich natürlich niemals auch nur eine Nacht schlafen könnte in einem Raum, in dem ein Regal an der Wand hängt, wo Düfte, die unterschiedlichen Marken, Lebensphasen und Duftwelten angehören, einfach nur nach Farbe und Form im Regal stehen, das wissen wir auch. Das ist übrigens mein Einstiegspunkt in „irre“. Natürlich habe ich ja nicht 40.000 Düfte sondern „einige“, und natürlich würde ich ja jeden einzelnen sofort finden, wenn ich maximal 5 Sekunden suchen würde. Aber das ist ja viel zu ineffizient. Wenn alle Marken zusammenstehen und in sich noch einmal nach Duftsorten von links nach rechts geordnet sind, hat jeder Flakon einen eindeutigen Ort, der sich aus der Systematik zwingend ergibt. Und das ist doch schön, das bedeutet nämlich, dass ich NIE MEHR darüber nachdenken muss, wo ich einen eventuellen neuen hinstellen würde, es gibt ja nur einen Ort im System, und der ist alternativlos.
Doch wo war ich? Ja, ich könnte theoretisch nach Hause reisen, müsste da dann aber alle meine Sachen neu sortieren, das schreckt mich noch etwas ab, außerdem weigert Jonathan sich, hier ist ja quasi immer Medienzeit, erstens, weil es das Konzept im Hause N ja nicht gibt, und zweitens, weil ich arbeite und es keine alternativen Beschäftigungen für ihn gibt. Er will also keinesfalls heute fahren. Zudem bin ich körperlich so erschöpft, dass ich vielleicht schlau bin und keine längere Strecke mit dem Auto plane. Noch nicht, morgen früh kann ich ja ausschlafen, zudem werde ich heute in guter alter Manier Frau N was Gesundes kochen. Das scheint mir auch nötig, also für mich, nicht für Frau N, die hat ja die Gemüsekiste. Außerdem hat Frau N heute abend sturmfreie Bude und vermutlich ihre Chance gewittert, ganz luxuriös mit ihrem Leergut in einen Supermarkt transportiert zu werden, also solle ich besser hier bleiben. Und zu guter letzt habe ich überhaupt keine Ahnung, ob ich wohl von Frankfurt nach Düsseldorf mit dem Auto fahren könnte jetzt gerade, war ja „Wetter“, nicht „Klima“, und da kann man jetzt ja nicht die Politik für ändern. Das ganze Thema finde ich so grässlich, dass ich es derzeit noch ausblende. Das fällt vermutlich noch mit in den Korb der gesamthaften Erschöpfung, aber ich möchte mich damit erst in 2022 beschäftigen, derzeit habe ich keine Ressourcen mehr übrig. Ich möchte mich nur noch mit schönen Dingen beschäftigen müssen, Leergut Wegbringen mit Frau N zum Beispiel. Das wird ein sehr schöner Tagesordnungspunkt heute.
Also bleibe ich hier, arbeite bis heute abend, fahre dann mit Frau N in den Supermarkt und tausche ihr Leergut gegen Essen, werde dann kochen, morgen früh ausschlafen, und wenn es dann richtig gut läuft, steigt mein Kind mit ins Auto, die Straßen sind befahrbar und ich bin nicht zu erschöpft, um diese günstige zeitliche Entwicklung auch zu nutzen.