Schullektüren

Herr Rau hat uns erzählt, was er in der Schule so alles gelesen hat, ich möchte sagen *lesen musste*, und gefragt, ob wir es ihm gleichtun können. Kann ich, aber ich nehme vorweg: Mir war immer sehr langweilig.

Darüberhinaus fiel mir auf, dass ich a) gar nicht mehr viele Werke zusammenkriege und b) zu den allermeisten gar nichts mehr weiß, es sei denn, ich hatte eine schwere Reaktanz zu vermelden. So brav, wie Frau N das sogar noch emotional einordnen kann, das wird mir nicht gelingen. Abschließend sein noch gesagt, dass ich zwar seit früher Kindheit wahnsinnig viel gelesen habe, dass ich jedoch ALLES an der Literaturarbeit in der Schule gehasst habe. Alles. Wirklich alles. Im Studium musste ich mich anschließend am Rande noch mal mit Literatur beschäftigen, und ich stellte fest, dass ich nie mehr in meinem Leben sechs Monate im größeren Verbund darüber diskutieren möchte, wie irgendjemand irgendetwas gemeint haben könnte.

Nestroy: Der böse Geist Lumpacivagabundus
Das erste Buch, das wir in Deutsch gelesen haben. Ich weiß nichts mehr daraus, war aber noch nicht abgeschreckt. Immerhin. Es ging um Sex und Saufen im alten Wien. What could be bad?

Schiller: Die Räuber
Kam direkt im Anschluss. Fand ich schlecht, warum, weiß ich nicht mehr. Eventuell war es das erste Mal in meinem Leben, dass ich etwas lesen musste, was etwas an meinem persönlichen Interesse vorbeiging. Ich habe die Räuber noch zuende gelesen, begann aber irgendwann eine atemberaubende Karriere in Lektüre-nicht-fertiglesen-und-trotzdem-Klausur-schreiben.

Pausewang: Die Wolke
Pausewang: Die letzten Kinder von Schewenborn
Fand ich sehr gut, wenngleich extrem beklemmend, hat mich schlecht schlafen lassen, ich erinnere mich an das Gefühl, nicht weiterlesen zu können, weil ich zu beklemmt war. Aber gut. Irgendwo muss die Radikalisierung ja beginnen.

Golding: Herr der Fliegen
Hab ich damals nicht drüber nachgedacht. Im Nachhinein fällt mir auf: Wieso haben wir in Deutsch auch Übersetzungen gelesen? Ist das vernünftig?

Orwell: Farm der Tiere
Siehe oben.

Schiller:Don Carlos
Ich habe es gehasst. Und ich habe es nie zuende gelesen. Und ich habe eine Klassenarbeit darüber geschrieben, und ich erinnere mich nicht mehr ganz genau, denke aber, dass wir eine Charakteristik des Marquis von Posa schreiben sollten, und ich hatte das Buch ja nicht zuende gelesen und hatte letztendlich eine zu ungetrübte Meinung über den Charakter, ach, es war sehr unangenehm.

Droste-Hülshoff: Knabe im Moor
Angela Sommer-Bodenburg: Die Moorgeister
Viel Moor für so Pubertierende in der Mittelstufe.

Frisch: Andorra
In seiner Tragweite nicht verstanden, aber ich erinnere mich, dass es beginnt mit einer Beschreibung von weiß getünchten Häusern, das fand ich schön, eventuell habe ich damals schon lieber über Architektur gelesen als über andere Themen.

Goethe: Faust I
Kann man ja nix Schlechtes gegen sagen.

Dann weiß ich lange nichts mehr, es wurde alles sehr grauenhaft. Die ganzen tollen Sachen haben wir scheinbar ausgelassen und gingen direkt zu meinem literarischen Supergau über.

Roth: Radetzkymarsch
Habe ich GEHASST. Gehasst.

Fontane: Effi Briest
Ist in meinem Kopf mit dem Radetzkymarsch zu einem wirklich großen Hassobjekt verschmolzen. Und wenngleich ich ja immer sage, dass ich aus eigenen Fehlern am besten lerne, habe ich auch Effi Briest nur zur Hälfte gelesen und wusste dann in der Klausur wirklich gar nichts Relevantes über Baron von Innstetten, was insofern schade war, dass es auch hier wieder eine Charakteristik zu schreiben galt. Und wo ich es so schreibe: Hieß das eigentlich so? Egal.

Diese beiden Bücher, wie gesagt: in meinem Kopf zu einem schlimmen Buch zusammengefasst, haben mich übrigens gelehrt, dass ich mich für Inhalte interessiere, nicht für sprachliche Form. Also zumindest nicht, wenn die nicht exakt meinen Humor bedient, Max Goldt habe ich Jahre später ja auch mit großer Begeisterung gelesen, und da geht es ja auch um nix. Jedenfalls hatte ich bei einem der beiden Bücher ein Nahtoderlebnis, da über 20 Seiten ein Esstisch beschrieben wurde. Besser gesagt die Dinge, die auf dem Esstisch standen. In schönen Worten. Lang. Ausführlich. Was bei mir angekommen ist? Es gab Rinderbraten.

Wir wechseln das Fach und gehen zu Englisch über. Dort war es eigentlich genau andersrum wie in Deutsch: Ich hatte eine wirklich unfassbar grauenhafte Lehrerin, die ich zutiefst gehasst habe, wir haben aber ausnahmslos Bücher gelesen, die ich gut fand und die mich interessierten. Was nichts daran änderte, dass die Art und Weise, *wie* diese Bücher im Klassenverband gelesen wurden, mich wahnsinnig gemacht hat.

Shaw: Pygmalion
Konnte ich hinterher beruflich noch brauchen. Sagt man ja auch nicht so oft.

Lee: To kill a Mockingbird
Versah mich mit dem Alleinstellungsmerkmal, dass ich Spezialwissen über die Band The Boo Radleys hatte. Fantastisch.

MacLaverty: Cal
An der Stelle konnte ich endlich auch mal Spezialwissen in den Unterricht einbringen, da das Buch sich mit dem Irlandkonflikt beschäftigt und meine Schwester mit einem britischen Soldaten verheiratet war und ich sehr viel zu dem Thema wusste und sogar Material in den Unterricht einbringen konnte. Obwohl die Lehrerin so grauenhaft war. Die Botschaft an Lehrer*innen ist an dieser Stelle: Wenn die Literatur gut genug ist, ist der Rest vielleicht egal.

Huxley: Brave New World
Geliebt. Sehr geliebt.

Orwell: 1984
Fand ich Huxley besser.

Shakespeare: The Merchant of Venice
Vielleicht das uninteressanteste Buch, das Shakespeare je geschrieben hat. Ich weiß es nicht, hab es ja nicht zuende gelesen.

Mehr fällt mir nicht ein. Wird vermutlich nicht wichtig gewesen sein. Meine erste Fremdsprache war ja Latein, da las man, was man so liest: Caesar, Cicero, Ovid, in der Reihenfolge. Die dritte Fremdsprache war Altgriechisch, und da ist alles blank. Dafür kann ich allerdings fast 30 Jahre später noch immer in einer atemberaubenden Geschwindigkeit das griechische Alphabet aufsagen, und wenn mal Pandemie ist, dann weiß ich, wo ab Delta die Reise hingeht. Und das ist viel wert.

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