Prognose

Ein Termin wurde verschoben, und ich habe ein wenig Zeit gewonnen, also kann ich doch noch Punkt 2 erläutern, der dazu führte, dass ich heute nicht gut geschlafen habe. Es ist nämlich so, dass ich gestern vormittag nach dem Ausschlafen, Aufstehen und Wachwerden dann wieder eingeschlafen bin, und deshalb hatte ich einfach zu viel Schlaf. Das passiert selten bis nie, aber es war ja ein Feiertag in NRW, und den galt es zu nutzen. Ich schlief also ein, dabei lief irgendwas auf YouTube, und als ich wieder wach wurde, war ich scheinbar in der Zeit rückwärts gegangen und hörte aus dem mobilen Endgerät eine sehr angeregte Gesprächsrunde von vier Menschen, die ich schätze, nämlich Tilo Jung, Hans Jessen, die besonders geschätzte Ulrike Hermann von der taz und Albrecht von Lucke. Das Gespräch stammt aus dem Januar 2021 und beinhaltet eine Menge Wahlprognostik. Wenn man am 1. November wach wird und das hört, ist es sehr lustig, da exakt gar keine einzige Prognose dieser durchaus klugen und gut informierten Menschen so eingetroffen ist, darunter auch eine ganze Reihe von Prognosen, die als komplett alternativlos von allen vier Diskutanten angesehen wurden. Ein sehr häufig gesagter Satz ist: „Wir alle wissen, dass Schwarz-Grün kommt.“ Alle nicken. Die SPD weiß, dass Schwarz-Grün kommt, die Grünen wissen, dass Schwarz-Grün kommt, die Union weiß, dass Schwarz-Grün kommt, alle wissen, dass Schwarz-Grün kommt und dass das nicht mehr abwendbar ist. Ups, nicht gekommen. Alle wissen auch, dass die SPD bis auf Weiteres unter ferner liefen spielt, und dass es nur noch zu verhindern gilt, dass die Partei komplett zerfällt. Ups. Scholz wird Kanzler. Alle wissen zudem, dass Söder der Kandidat der Union wird, weil Laschet das ja gar nicht kann. Ups. Stimmt, Treffer, Laschet kann das nicht, aber das hat ja nun auch niemanden davon abgehalten, ihn aufzustellen. Interessant, interessant, und wir können hier viel lernen, nämlich unter anderem, dass innerhalb eines halben Jahres alles sich so drehen kann, dass die Welt einfach komplett neu ist. Da braucht es nicht mal eine Pandemie für. Dass die Grünen ins Kanzleramt einziehen, hat auch im Januar niemand gesehen, nicht einmal, wenn vielleicht noch einmal so ein richtig dürrer Sommer kommt, der die Deutschen mit dem Klimawandel konfrontiert. Ich möchte erinnern, dass wir exakt das Gegenteil eines dürren Sommers hatten, ganze Teile Deutschlands sind einfach final abgesoffen, und ups. Niemand, der das politisch hätte nutzen können, konnte davon profitieren, auch wenn es pietätlos klingt, hier von Profit zu sprechen.

Inspiriert von dieser Diskussion, die in sich so stimmig und nachvollziehbar klang, die aber 9 Monate später in allen Punkten widerlegt ist, hob ich gestern abend im kleinen Kreis zu einem Monolog an, prognostizierte auch mal was, wovon ich denke, dass es stimmig und nachvollziehbar klingt, und wettete um eine Flasche Veuve Clicquot demi-sec, der mich ja neulich bei Frau N so überzeugt hat. Einzulösen 2029. Und das prognostiziere ich:

Der Linksrutsch ist ja ausgeblieben, und jetzt wird eine Ampel zusammengezimmert, die der Bevölkerung ja bereits im Vorfeld in einer Reihe von Social Media Beiträgen als der große Durchbruch in die Neuzeit verkauft wird. Ich prognostiziere, dass im Laufe der nächsten vier Jahre hier alle nur verlieren können, alle bis auf einen, nämlich Christian Lindner. Olaf Scholz, dessen geheime Superkraft ja nicht Strahlkraft ist, sondern, dass man ihn einfach permanent vergisst und er sich deshalb sogar größte Wirtschaftsskandale und den Einsatz von Brechmittel erlauben kann, ohne dass jemand sich das merkt, wird genau so blass bleiben, wie er ist, für nichts stehen, nichts gestalten, nichts verändern und am Ende einfach in die Geschichte eingehen als die Lücke zwischen Merkel und Söder. Ja genau. Das ist nämlich meine Prognose für 2025. Die Ampel hat jetzt vier Jahre, um die Bürger*innen vollkommen zu enttäuschen, und selbst ich als bekennendes Habeck-Fangirl glaube nicht, dass SPD und Grüne in der kommenden Legislaturperiode den Eindruck erwecken können, dass sie ein Land regieren. Zumindest nicht so, wie die Erwartung, die sie schon in der Zeit der Sondierungen geweckt haben, es erfordert. Unbeschadet wird Christian Lindner die vier Jahre überstehen, wenn er nicht irgendwann mit seinem Porsche auf dem Weg zur Rehkitzjagd in eine Kindergartengruppe rauscht. Er hat nämlich die Gabe, kompetent zu wirken, und selbst, wenn er manchmal den Unterschied zwischen brutto und netto nicht kennt, reicht sein Selbstvertrauen ja für 80 Mio Deutsche aus, da braucht es kein Vertrauen mehr von anderer Seite. Er wird also pathetische Reden halten, wird sich, wann immer möglich, von Rot/Grün distanzieren, um dann im Wahlkampf 2025 aufzulaufen mit der Geschichte, dass halt doch nicht jeder Realpolitik kann, und er hätte ja auch 2021 immer für Jamaica plädiert, die Ampel sein ein Experiment gewesen, das leider gescheitert sei. Enter Söder. Der hat 2023 die Wahl in Bayern mehr schlecht als recht gewonnen und drückt sich 2025 mit der Geschichte „Ihr habt ja gesehen, was ihr 2021 davon hattet“ als Kanzlerkandidat der Union durch. Das spielt dann auch Lindner gut in die Karten, der kann nämlich – inzwischen haben ja alle die Männerfreundschaft Lindner/Laschet vergessen – auf diesen Zug mit aufspringen und mit den Deutschen vom Kanzler der Herzen träumen. Mit ihm als Finanzminister. Weil die SPD und die Grünen einfach nur noch abgewählt werden sollen, wird Söder bei der Bundestagswahl 2025 ein Ergebnis einfahren, das so gut ist, dass er mit der FDP zusammen regieren kann, und dann ist wieder vier Jahre Mist. In meinem Szenario kommen übrigens ausschließlich Männer in tragenden Rollen vor, was nicht zuletzt daran liegt, dass nach 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft die Beweislast umgekehrt ist und niemand ernsthaft fordern könnte, man bräuchte auch mal eine Frau, zudem ja das zweithöchste Amt im Staat mit Bärbel Bas und einer Riege von Vertreterinnen auch in Frauenhand ist.

Zwischen 2025 und 2029 möchte ich mir gar nicht ausmalen, wie es hier so wird im Land, aber ich prognostiziere, dass am Ende dieser Legislaturperiode abschließend demonstriert ist, dass die Aufgaben unserer Zeit mit einer neoliberal-rechtslastigen Regierung nicht gelöst werden können, die Menschen wachen auf, entscheiden neu, und weil die SPD halt die SPD ist, hat dort auch kaum jemand die Zeit genutzt, den nächsten Wahlkampf vernünftig vorzubereiten, und dann kommt der, für den es ja sogar schon ein Lied gibt, und 2029 geht die Union gemeinsam mit der FDP in die Opposition, der neue Kanzler heißt Kevin, und er regiert mit den Grünen, die bis dahin eventuell etwas professioneller aufgestellt sind, eventuell auch nicht, das traue selbst ich mich nicht zu prognostizieren, und dem, was der Linken nachfolgt. Und dann bekomme ich eine Flasche Veuve Clicquot. Und wenn das alles nicht so kommt, ist das für mich auch total okay.

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