Mein Kind hatte um 8.15 Mathe, dann Sport, dann Deutsch, jetzt Bio, gleich Schulschluss, dann kocht es sich selber ein Mittagessen, und dann macht es Hausaufgaben. Ich wiederum sitze vollkommen übermüdet wegen Pandemie-Jetlag in der Küche an der Theke und schreibe Angebote, die direkt freigegeben werden. Viel näher an „die Welt ist okay“ bin ich in den letzen 10 Monaten selten gekommen.
Wer austeilt, muss auch lieben können, Sie wissen schon, was ich meine, jedenfalls habe ich seit März ja nie gezögert, meinen Unmut über die eher schleppende Konzeptionsphase für den Distanzunterricht, so wie ich sie in unserem konkreten Fall erlebt habe, zu äußern, und an Tag 1 nach den Coronaferien bin ich bereits komplett besänftigt. Was ich hier im Wohnzimmer höre, finde ich super, alle Lehrer machen einen sortierten Eindruck, es gibt ein System, Ona weiß, was zu tun ist, er meldet sich und macht mit, es gibt einen Video-Stundenplan, alle 45 Minuten kommt er vollkommen enthusiasmiert aus seinem Zimmer gelaufen, um sich einen Tee zu machen oder aufs Klo zu gehen oder beides, und insgesamt kann ich nur sagen: Wenn das jetzt so bleibt (und davon gehe ich aus, auch das Kind kann sich vermutlich nix Schlimmeres vorstellen, als von mir beschult zu werden), ist das ein 1A Distanzunterricht und hat mit Homeschooling sehr wenig zu tun. Ich möchte so weit gehen, zu sagen, dass das für mich jetzt bis zum Abitur so bleiben kann. Also aus meiner Perspektive. Eventuell ist das für die Profilbildung so eines Präpubertären auf Dauer auch nix, aber so ist es erst mal super.
Vielleicht kann ich dann auch demnächst mal wieder besser schlafen. Schlafen ist ja bis 2020 ein Zustand gewesen, den ich auf Knopfdruck einfach herbeiführen konnte. Sei es auf dem Langstreckenflug oder im Club an die Bassbox gekuschelt, schlafen ging immer. Das ist seit einigen Monaten anders, ich könnte vermutlich genau jetzt sehr gut schlafen, das ist aber gesellschaftlich verpönt und auch nicht zuträglich, wenn man seinem Kind gerade versucht beizubringen, dass Längenwachstum sicherlich anstrengend ist, man aber dennoch nicht 20 Stunden am Tag im Bett verbringen kann.
Seit nunmehr mindestens einem halben Jahr schlafe ich also hervorragend ein, wie immer, werde dann kurz darauf wieder wach, drehe mich ein paar Mal um, gucke dann auf Twitter, was die Amis so machen, und dann schlafe ich wieder ein, und dann werde ich wieder wach, etc. Morgens bin ich dann müde und endlich bereit, mehrere Stunden am Stück zu schlafen, aber gut, siehe oben. Heute bin ich statt um 12 um 7.30h aufgestanden, und jetzt wird einfach dejetlagt, so wie „früher“. Es gibt ja Leute, die können besser von Osten nach Westen fliegen, ich konnte schon immer besser von Westen nach Osten fliegen. Ich muss einfach zwei, drei Tage nicht dem Bedürfnis, einen Mittagsschlaf zu machen, nachgeben, und schon ist alles wieder gut. Andersrum fiel mir das immer deutlich schwerer, und die 9 Stunden zwischen hier und Kalifornien habe ich mir jedes Mal hart erarbeiten müssen. Unvergessen die Geschichte, als ich mal einen Zwischenstopp in Chicago für eine Konferenz machen musste, um dort dann an Tag 2 nach der Mittagspause in der Lobby einzuschlafen, wachzuwerden, heimlich in den Konferenzraum zu schleichen, wo nur noch vorne direkt vor dem Vortragenden ein Platz leer war, auf den er mich freundlich bat und auf dem ich dann wenige Minuten später leider wieder einschlief und mit dem Kopf auf die Tischplatte fiel. Als mein Doktorvater mir eine Woche später an der Westküste beim Mittagessen erzählte „Jurafsky told me someone keeled over during his talk“ konnte ich nur sagen: „Oh, really?“
Aber da war ich noch jung und belastbar, wie wir wissen, ist das ja vorbei. Zudem habe ich durch vermehrte Adrenalinproduktion auch immer sehr viel Extraenergie bekommen, erst durch eine gewisse Flugangst, die dann mit der Zeit einer deutlichen Immigrationsangst wich. Wie so eine Person, die das Capitol gestürmt hat, bin ich nämlich irgendwann auf die TSA N*-F*y List gespült worden, und ja, das ist vielleicht naiv, aber ich mach mal Sternchen in das Wort. 2004 wurde ich erstmals festgesetzt beim Umsteigen in Chicago, dann in Boston, dann direkt in London schon, weil ich naiverweise dachte, ich könne ja mal mit einer amerikanischen Airline fliegen (not), dann in San Francisco, und dann nahm ich mir einen Anwalt, der ein Schreiben an den TSA Ombudsman schickte, dann war kurz alles gut, und dann ging das von vorne los. In meinem Erfahrungshorizont gibt es jetzt Dinge wie strip search (immer gute Wäsche tragen, wenn ich interkontinental reise!), Verhöre mit Lampe im Gesicht wie in einem schlechten Tatort, man darf übrigens *nicht* automatisch einen Anruf tätigen, auch nicht, wenn man nett fragt, Flirten klappt mit dem Immigration Officer auch nicht, usw.
Auf besagter Liste stehen heutzutage rund 100.000 Leute, davon sind vermutlich mehr als die Hälfte False Positives, hell yeah, I’m one. Es gibt verschiedene Tickets in den Olymp der Fernreise, die Katakomben unter dem Flughafen, meins bestand vermutlich aus einem nicht-lateinischen Buchstaben im Namen, der dazu führt, dass transliteriert wird, was meistens schief geht, und dann ist es halt kompliziert. So die Aussage des ACLU Anwalts, der mich damals vertreten hat.
Insgesamt kann ich sagen: Das Leben wird nicht besser dadurch, dass man dort landet (wobei ich nicht weiß, wie mit inländischen Listenleuten verfahren wird. Mit ausländischen ist ein Schritt, den ich mehrfach nur knapp abwenden konnte, dass man mit der nächsten Maschine zurück geht. Und jetzt kommt der Clou: Das ist die nächste Maschine, die auf den Erdteil fliegt, aus dem man kommt. Wenn man also aus Amsterdam einfliegt, fliegt man im schlechtesten Fall zwei Stunden später nach Minsk zurück). Long story short: Alles nur sehr angemessen für Leute, die sich ein Kostüm anziehen und die Demokratie stürzen wollen. Vielleicht kann man mich einfach austauschen.
No sleep till Brooklyn