Ich sitze in meiner Küche an der Theke und schaue in den Garten. Ich trage als warnendes Symbol meinen Weihnachtspyjama 2020, Sonne und Wolken wechseln sich ab, was fehlt, ist Regen. Seit Tagen schon droht meine Wetterapp damit, dass es tagelang regnen soll. Tut es aber nicht. Heute wieder. Es sollte regnen, tut es aber nicht. Dabei wäre ich vollkommen bereit, ich bin emotional komplett verstimmt und aus dem Tritt und trage wie erwähnt den Weihnachtspyjama. Ich habe mich darauf vorbereitet, dass es im Pandemiemonat 15 9 Tage grau ist, und da meine App mir den 10. Tag nicht anzeigt, habe ich immer fest daran geglaubt, dass der Frühling dann anschließend wie der Phönix aus der Asche steigt und meine Laune mit in ungeahnte Höhen nimmt. Stattdessen fehlt der Regentag heute, dafür hat die App hinten einen drangehängt. So geht das nicht, das ist Betrug. Ich möchte mit dem Regen schnell durch sein, genau so, wie auch mein Garten mit dem Regen jetzt mal schnell durch sein möchte. Auch dieser befindet sich an einem Kipppunkt. Hyazinthen alle verblüht, dafür blühen jetzt Edelflieder und Herbstflieder, die vielen Schmetterlingsflieder kommen erst im Juli an die Reihe. Wenn es bald mal regnet. Sonst kommt hier gar nix mehr.
Letztes und vorletztes Jahr habe ich versucht, die Pfingstrose auszugraben und zu Kompost zu verarbeiten. Sie steht im Weg. Wie so ein Krebsgeschwür kommt allerdings ein Teil von ihr jedes Jahr wieder raus. Ich verstehe das nicht, und leider fehlt es mir an exekutiver Willenskraft, eine Pflanze auszugraben, die sich gerade aufmacht, zu blühen. Ich habe es schon wieder verpasst, also schreddert sie jetzt meine neue Brombeere, die ich so liebevoll dort gepflanzt hatte, wo ich vermeintlich die Pfingstrose ausgerottet hatte.
Garten verschlanken, das ist nur eine konsequente Fortführung eines aktuellen Prinzips. Privatleben verschlanken. Kontakte verschlanken. Romantik verschlanken, sich selber verschlanken. Frau N sieht mich am Ende der Pandemie wie einen Schmetterling aus dem Kokon gucken, ich bin noch nicht überzeugt. 15 Kilo habe ich in den letzten Wochen und Monaten abgenommen. Ich will nicht sagen, dass es nicht nötig gewesen wäre, aber ich bin schon überrascht. Verzicht auf Zucker und Weißmehl, dafür täglich eine große Portion Sorgen, Anspannung, Homeoffice und Leid, und zack, purzelpurzelpurzel. Das wirkt dann auf dem Tinder Foto super.