Creep (kann man nicht oft genug wählen) Teil 400

Wie Sie ja wissen, bin ich eine Person, die von einer ganzen Reihe von Zwangshandlungen getrieben ist. Ich bin allerdings bei jeder einzelnen eigentlich entspannt, in der Regel ist sie nämlich eine Folge von Lernen durch Versagen, und ich lerne am allerbesten durch Versagen. Ich glaube, ich habe keine Zwangshandlung, die nicht irgendwie gesamtgesellschaftlich gut zu verkaufen ist. Von vielen meiner liebenswerten Zwangshandlungen kann man etwas lernen. Manchmal ist es aber so, dass ich mir vorstelle, wie es wäre, ein total entspannter, easy going Mensch zu sein, ganz ohne Prinzipien, ethische Leitplanken und ohne Zwangshandlungen. Eventuell wäre ich dann Mitglied der FDP und käme immer und überall zu spät, ein Großteil meiner logistischen Brillianz liegt darin, dass ich nachts nicht mehr wirklich schlafe, sondern Situationen prävisualisiere. Das führt wahrscheinlich zu einem sehr frühen Tod, bis dahin komme ich aber immer und überall perfekt vorbereitet und pünktlich.

Heute war es so, dass ich mich ganz bewusst über eine goldene Lebensregel hinweggesetzt habe. Ich wollte wokken und musste dafür drei Chilis schneiden. Chilis, es gibt seit einem Tamponvorfall mit Chilis eine goldene Regel, schneide ich immer und ausschließlich mit Latexhandschuhen, danach kann ich nämlich die Handschuhe ausziehen und die Hände sind sofort wieder einsatzbereit. Nun war es aber so, dass im Wok schon alles irgendwie soweit war, dass jetzt Chilis benötigt werden, und an dem Ort unter der Spüle, an dem meine Latexhandschuhe für unansprechende Tätigkeiten in der Küche plus Chilis normalerweise stehen, stand ein leerer Karton Latexhandschuhe. Nun hätte ich rein rechnerisch drei Möglichkeiten gehabt. 1) Ich breche das Kochen ab, nehme eine Packung Salzstangen und gehe ins Bett (das wäre, ich nehme es vorweg, die beste Möglichkeit gewesen). 2) Ich gehe ins Gartenhaus und detoniere dort, weil ich NICHTS MEHR HASSE als wenn man meine über Jahrzehnte aufgebaute Logistik, die mein Leben schön und einfach macht, zerstört, weil es für einen halt nicht wichtig ist (und das schließt auch den Einkaufswageneuro im Auto ein, den man selber ja gar nicht braucht, wenn man ein Auto mit einer Frau teilt, deren Zwangshandlung ist, niemals mit einem Auto in den Supermarkt zu fahren, in dessen Mittelfach KEIN Einkaufswageneuro liegt, dann kann man ja einfach immer in den Supermarkt fahren, den Euro erst praktischerweise für den Einkaufswagen nehmen und dann beim Bäcker gegen ein Teilchen eintauschen, und nein, Sie müssen jetzt nicht sagen, dass ich einen Chip am Schlüsselbund haben soll, das sagt meine Mutter seit 1995, aber die Karabinerhaken sind schlecht und gehen immer kaputt, und der Chip im Auto wird scheinbar auch gegen irgendwas eingetauscht, jedenfalls ist er immer weg). Wo war ich? Richtig. Mögliche Variante 3) Ich bewerte die Situation als zeitlich eng, muss jetzt Chilis wokken und ganz gegen meine Natur breche ich meine goldene Regel und schneide die Chili schnell ohne Handschuhe, werfe sie dann in den Wok und wasche mir im nächsten Schritt sehr sehr sehr gründlich die Hände.

Ich wollte heute cool sein, aber cool ist nix für mich. Ich schnitt drei Chilis ohne Handschuhe, warf sie in den Wok, wusch mir mehrfach die Hände inklusive Nagelbürste, wähnte mich in Sicherheit, kratzte mich dann am Nasenrücken, da es mich dort sehr juckte, und die nächsten Minuten stand ich mit einem Kühlpack auf der Nase am Wok. Ich bin sehr empfindlich, das ist nun mal so, das ist mir aber auch nicht neu, und deshalb müsste mir klar sein, dass die goldene Regel, Chilis nur mit Latexhandschuhen zu schneiden, das Beste ist, was ich mir je ausgedacht habe.

Desweiteren wollte ich heute ja Laufschuhe kaufen, zudem war ich seit zwei Jahren nicht in einem niederländischen Supermarkt, was insofern, dass ich dort lange gelebt habe, zu großen Lücken im Vorratsschrank geführt hatte, also beschloss ich, die beiden Punkte zu verbinden und in den Turnschuhladen im Outletcenter zu fahren, dann könnte ich noch neue Hausschuhe für den Winter kaufen, die alten sind 10 Jahre alt und durch, und da ich nur Leder mag und keine selbstausgedachten Materialien, ist es immer schlau, erst mal im Outlet zu gucken, und dann ist da der Supermarkt, und das könnte man alles gut verbinden. Ich kürze an dieser Stelle ab. Mal abgesehen davon, wie fürchterlich ich diese Outletstadt finde und die Menschen, die darin rumlaufen (nicht angegriffen fühlen, ich lief ja auch heute sehr kurz darin rum, und ich lief auch schon mal länger darin rum, stimmt schon), so überrascht war ich, dass da gar kein Corona mehr ist, von den vielleicht 1000 Leuten, die ich in kürzester Zeit dort sah, trug außer mir niemand eine FFP2 Maske, vielleicht trugen bis zu 10 eine OP Maske, alle kamen mir sehr nah, und dann musste ich fluchtartig wieder gehen. Ich habe also noch keine Schuhe und werde jetzt welche bestellen, in der Hoffnung, dass die gut sind. Ich bin da noch nicht. Ich bin noch intrapandemisch.

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