Ich möchte mit Ihnen eine Beobachtung teilen, die ich auf Wangerooge gemacht habe. Ich bin erstaunt und muss zudem über meine städtische Sozialisation nachdenken.
Ich sag’s, wie es ist: Die Wangerooger*innen sind alle erstaunlich nett. Also nicht so nett, wie ich bin, wenn ich nett bin, also mit „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ oder „Bitte“ und „Danke“, sondern so nett, wie Leute sind, die in einer Umgebung sozialisiert sind, wo man sich immer gegenseitig helfen muss, sonst geht’s leider nicht.
Szene 1. Unser Ankunftsabend, Supermarktbesuch vor dem doofen Anruf. Herr H und ich gehen in den Supermarkt, weil wir aufgrund der etwas angespannten Gepäcksituation exakt gar nichts mitgenommen haben. Wir gehen also in den Inselmarkt, den wir uns vorgestellt hatten, wie so einen kleinen Tante-Emma-Laden, rollern also mit dem Einkaufswagen da rein und stehen in einem kleinen Tante-Emma-Laden, der allerdings das komplette Edeka-Food-Sortiment hat. Kurz vergessen wir unsere Logistiksituation, wir wohnen nämlich 500 Meter vom Supermarkt entfernt und haben zwei Rucksäcke bei, und beginnen begeistert, unseren üblichen Wocheneinkauf zu machen, mit Getränken, Obst, Gemüse, Dosen, Wein, Sekt, O-Saft, dann gehen wir an die Kasse, legen die Dinge aufs Band und dann fällt mir ein, dass ich keine Idee habe, wie wir die 120 Euro Lebensmittel nach Hause kriegen. Ich frage also Herrn H, und die Dame an der Kasse sagt: „Nehmen Sie doch einfach den Einkaufswagen mit, bringen se morgen zurück.“ Haben wir dann nicht gemacht, weil Herrn H einfiel, dass wir auf der Straße schon mit den Koffern nicht rollen konnten, also schleppten wir, aber wenn Sie eine Person sind, die in einer deutschen Metropole wohnen: Versuchen Sie doch mal, im Rewe den Einkaufskorb mit auf den Parkplatz zu nehmen. Und viel Spaß dabei.
Szene 2. Wir haben ja dieses WLAN Problem, das Netzwerk, das es geben sollte, gibt es in diesem „Smart Home“ nicht, der Besitzer kann das vom Festland auch nicht lösen, dafür sendet der Router einen Vodafone Hotspot, welchen ich für 3 Geräte kaufe, jeweils 10 Euro. Herr H muss noch die Verjährung einer Frist abwenden und braucht daher an seinem Arbeitsrechner dringend Internet, kann das von der IT gut geschützte Teil nicht mit dem Hotspot verbinden. Der Vermieter erklärt uns, wo der Router versteckt ist, damit Gäste ihn nicht klauen, man braucht einen Kreuzschlitzschraubenzieher. Den haben wir leider nicht dabei, also sitzen wir irgendwann in dem lustigen Cafe mit der lustigen Katze, bezahlen irgendwann und fragen die Besitzerin, die den Laden seit 31 Jahren führt und sich insgesamt gerne unterhält, wo man denn auf Wangerooge einen Kreuzschlitzschraubenzieher oder ein Schweizer Taschenmesser kaufen kann. Natürlich nirgendwo, aber man kann sich ja einen leihen. Ah, nee, wir kennen hier ja niemanden, doch mich, zack, in die Küche, 5 Minuten später überreicht sie uns einen Kreuzschlitzschraubenzieher, wäre schön, wenn wir den wiederbrächten, kriegt man hier ja nicht.
Szene 3. Wir essen im ersten Restaurant am Platz, es ist alles schön und alles lecker. Gegen Ende muss Herr H ein längeres Telefonat mit der Tante führen und verlässt das Restaurant, Ona und ich bleiben sitzen und warten auf ihn. Irgendwann kommt die Köchin und setzt sich dazu, möchte wissen, wie das Essen war. Wir äußern uns lobend, und da mir klar ist, dass irgendwie dieses Gespräch jetzt weitergehen muss, frage ich, wie sie die Möhrchen gemacht hat. Sie erklärt jeden einzelnen Schritt, die wichtigste Komponente ist die Gusseisenpfanne. Wie praktisch, die hatte ich Herrn H ja als Koch- und Schlagutensil zu Weihnachten geschenkt, wobei ich ja so einen Hygienefimmel habe und mir nicht gut vorstellen kann, wie man eine Pfanne nicht akribisch spült, und dann gibt es eine 15-minütige Einführung in den Umgang mit gusseisernen Pfannen.
Ich weiß ja nicht, wie das in den Sommermonaten hier so ist, aber als Großstadtgewächs, das keine einzige Verkäuferin im Supermarkt jemals wiedererkennen würde und das nicht weiß, wer im Haus nebenan wohnt, ist das alles sehr idyllisch hier. Wir machen das jetzt immer nach Weihnachten. Für die Besinnlichkeit.