Ich weiß ja nicht, ob Sie es wussten, aber Pubertät, und dabei meine ich nicht nur mein Kind, wobei das ja das Kind ist, an dem ich am allernächsten dran bin, ist SCHRECKLICH. Wirklich schrecklich. Ich lese dann jetzt mal ein Buch über die leider sehr langsame Entwicklung des präfrontalen Cortex, und danach bin ich hoffentlich milde gestimmt. Mir wurde ein Buch empfohlen, vielleicht haben Sie noch andere Empfehlungen, bitte gerne, ich habe vor 13 Jahren ja auch Remo Largo gelesen, dann aber beschlossen, dass es ja schon mit dem Teufel zu gehen müsste, wenn Herr H und ich es nicht schaffen, so ein Kind irgendwie dahin zu kriegen, dass es sich mit spätestens 18 alleine auf den Rücken drehen kann, im besten Fall sogar essen, sprechen, laufen, und weil es damals noch so aussah, als sei das normal, sogar autofahren. Das Kind in question wächst in so einem klassischen Bildungshaushalt auf, mit stabiler finanzieller Rahmenbedingung, warum in Gottes Namen sollte es dem Kind verwehrt bleiben, sich irgendwann alleine auf den Rücken zu drehen, ich meine, was können Menschen denn falsch machen, wenn sie eine geordnete, liebevolle Umgebung bieten, das dann dazu führt, dass ein gesundes Kind sich nicht auf den Bauch drehen kann? Oder Rücken, na gut, ich weiß das nicht mal mehr genau. Ich weiß nur, dass ich damals dieses Buch las, wie alle Neumütter um mich rum, und dann wurde immer an den Tagen, wo das Kind exakt X Monate alt war, direkt hektisch nachgeschlagen, oh je, es müsste jetzt einen Greifling halten können, oh nein, es hat den Greifling fallenlassen, das Kind ist bestimmt entwicklungsverzögert.
Mir war das zu anstrengend. Und hurra, ich hatte Recht, das Kind kann sich drehen, es kann essen, ich erinnere mich gerade, wie bahnbrechend ich es fand, als er sein erstes Leberwurstbrot aß, ich wusste erst nicht, von welcher Seite er Leberwurstgene haben sollte, vor allem wusste ich aber, dass er kein Baby mehr ist, und wie kam ich drauf? Ach ja. Man sollte kein Buch lesen, dachte ich damals, eine Freundin, die kurz vor mir ihr erstes Kind bekam, teilte, als ich noch schwanger war, folgenden klugen Gedanken mit mir, den ich in den letzten 13 Jahren sehr oft gedacht habe: „Wir sind doch keine Asis, warum sollten unsere Kinder Asis werden?“
Jetzt ist eine neue Lebensphase angebrochen, und das erste mal in 12 Jahren habe ich das Gefühl, ich müsste mal ein Buch lesen, weil ich nicht gut – um es mit Jesper Juul zu sagen, Frau N wird jetzt laut lachen, weil wir gemeinsam bei dieser schlimmen Veranstaltung waren, die im Kern immer nur zu dem Entschluss führte „Ja, Kinder sind so“) – nachspüren kann, was so ein pubertierender Kinderkopf so denkt, mit rationaler Herangehensweise komme ich da zu keinem Ergebnis. Also lese ich jetzt The Teenage Brain, und wenn das gut ist, muss der Teenager das sofort auch noch lesen. Denn ganz ehrlich, ich bin mir nicht sicher, ob so ein Teenager sich eigentlich selber versteht.
Nein, davon kann man nicht ausgehen. Diese Pubertätshirne verstehen sich nicht. Sie sind einfach wild in allem, alles ist möglich, gärend und formlos. Anarchie auf Zellebene. Und was rauskommt, ist kaum auszuhalten manchmal. Aber dann auch manchmal sehr sehr witzig.
Ich mag es sehr, wenn dann Menschen aus ihnen werden. Das sagte mir mal eine pensionierte Schulleiterin auf dem Flur einer Jugendherberge nachts um 3.k aushalten bis Menschen aus ihnen geworden sind.
Schön ist, dass sie sich später an nichts mehr erinnern, alle anderen aber schon,
Man darf sie nicht fallen lassen in ihrem Irrsinn, obwohl man sie gerne manchmal auf einem Boot mitten im Strom aussetzen könnte.
Wir haben einen gemeinsamen roten Faden, Herr H und ich. „Durchhalten“
Meine Weltsicht besteht ja fast ausschließlich aus literarischen (manchmal filmischen) Versatzstücken. Pubertät verstand ich durch die Roman-Trilogie von Scott Westerfeld (speculative fiction), die mit Uglies startet: Darin werden Jugendliche bis zu ihrem 16. Geburtstag von der Gesellschaft separiert. Danach dürfen Sie sich aussuchen, wie sie aussehen und wer sie sein wollen.
Ich finde das einen Ansatz, den man nicht vorschnell verwerfen sollte.
„Warum sie so seltsam sind“ von Barbara Strauch fand ich damals hilfreich. Viel Erfolg! Und auch, viel Spaß!
Ich arbeite momentan mit der Annahme, dass (männliche) Teenager sich im Verpuppungsstadium befinden. Sie sitzen im Keller, spielen Egoshooterspiele, vertilgen unbeschreibliche Mengen, kommunizieren hauptsächlich durch Grunzen/Bellen, usw.
Das muss ich jetzt aushalten. Denn eines Tages wird da ein wunderschöner Schmetterling rauskommen, ganz sicher.