So, nach einer Nacht darüber schlafen habe ich beschlossen, dass Sie entweder einfach selber das gestrige Gespräch von Angela Merkel und Chimamanda Ngozi Adichie im Gespräch mit Miriam Meckel & Léa Steinacker hören müssen, oder halt nicht. Ich möchte den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten, *wie* wenig gelungen ich das Konzept und die Gesprächsführung von Meckel und Steinacker insgesamt fand. Was die beiden Gäste ganz offensichtlich am liebsten gemacht hätten, wäre gewesen, sich einfach miteinander zu unterhalten. So hatten die Gastgeberinnen vollkommen langweilige und in jedem Fall total überintellektualisierte Fragen vorbereitet, die zum Beispiel Frau Adichie ab dem zweiten Versuch schon gar nicht mehr beantworten wollte. Das fehlt in dem Audiomitschnitt übrigens sehr, ich habe gerade kurz reingehört: die Stimmungslage, dass man bei jeder Frage gespannt die Luft anhält, weil nicht klar ist, ob Adichie Miriam Meckel gleich zum Frühstück isst, wird in dem Audiodokument leider nicht so gut transportiert wie im Saal. Ich hätte an Meckels Stelle nicht sein wollen.
Und jetzt verrate ich Ihnen etwas, was mich wieder eine Horde Leser*innen kosten wird, ich mache es aber dennoch. Ich fand Merkel toll. Ich fand alles an ihr toll, und ich bin sehr froh, sie noch einmal in ihrem Amt live gesehen zu haben. Wie sie in den Raum geführt wird und sofort eine umfängliche Präsenz hat, ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass sie natürlich das halbe Schauspielhaus mit Personenschutz füllen kann. Sie ist (für mich) eine Person mit unfassbar viel Ausstrahlung. Jede ihrer Antworten fand ich klug, ich konnte – glaube ich – recht gut sehen, dass sie die Gesprächsführung ebenso wie Frau Adichie nicht sehr zu schätzen wusste, also führte sie in Teilen das Gespräch einfach selbst, dazu hätte ich sie noch viel mehr ermutigen wollen. Sie war schlagfertig, wie man sie kennt, trocken und offensichtlich äußerst interessiert an ihrer Gesprächspartnerin, sagte kluge und witzige Sachen und verströmte insgesamt diese Kombination von Klugheit und Unaufgeregtheit, die ich an ihr so sehr schätze und die ich in weiter Zukunft für mich als Aura schon mal vorbereite (muss aber an Klugheit sowie an Unaufgeregtheit noch sehr zulegen).
Aber ich habe ein persönliches Problem mit Frau Merkel.
Ich bin sehr sehr froh, 16 Jahre eine Frau als Kanzlerin gehabt zu haben, die es nicht nur mit Beharrlichkeit (oder Aussitzen) bis an die deutsche Spitze geschafft hat, sondern die dann in dieser Funktion geschafft hat, in der Welt viele Fäden zusammen zu halten. Hätten Sie sich Martin Schulz, dessen schärfstes argumentatives Schwert war „Ich hab Herrn XY angerufen, der fand das auch schlecht“ auf einem Sofa zwischen Erdogan, Putin und Trump vorstellen können? Ich nicht. Ich habe das an ihr immer sehr bewundert, sich nie aus der Reserve locken lassen, nie ein unbedachtes Wort, nie in die Karten gucken lassen, und mit einer gewissen Kühle die eigenen Ziele stur verfolgen. Sie hat ein Rollenmodell geliefert, das über alle Klischees über Frauen in Führungspositionen erhaben war. Und das mit einer fehlenden Selbstverliebtheit, die ihresgleichen sucht. Jedes Jahr die gleiche Klamotte in Bayreuth, egal, was die Bild wieder schreibt, das Kleid ist noch gut, ich habe andere Aufgaben. Immer regungslos da sitzen, wenn man über den grünen Klee gelobt wird, ist ja egal, ich hab hier einen Job, bitte weiter im Text. Nie kopflos reagieren, wenn Seehofer mich 15 Minuten wie ein Schulkind neben sich stehen lassen möchte, während er eine Rede hält, bleib ich halt da stehen und mach die Raute, wenn’s schön für ihn ist, bitte. Ich fand all die Jahre all das an ihr toll, uneingeschränkte Souveränität, vollkommene Ruhe. Ein Bild von weiblicher Führung, das Vorurteile bricht. Aber es gibt ein Problem.
Gleichzeitig ist es nämlich so: Das Kabinett Merkel ist – bitte verzeihen Sie den Ausdruck – ein einziger Scheißhaufen. Und das habe ich ihr sehr übel genommen. Ich habe natürlich weder Ahnung von noch Erfahrung mit Diplomatie, und ich kann mir noch nicht mal im Ansatz vorstellen, wie geschmeidig und flexibel sich eine Bundeskanzlerin aufstellen muss, um ein Bündnis mit Seehofers CSU und der SPD gelingen zu lassen, doch die kluge Person, die sie ist, hätte doch innerlich ein bisschen sterben müssen, als irgendjemand gesagt hat: „Komm, BMBF, das kriegt Karliczek.“ Ich kann mich noch nicht einmal dahinbewegen, zu denken, dass das ihre eigene Idee gewesen sein könnte. Scheuer. Bär. Der kometenhafte Aufstieg von Kramp-Karrenbauer. Das alles hätte doch niemals passieren dürfen. Die gesamte CDU in der Form, in der wir sie kennen, Maskendeals and all, hätte niemals passieren dürfen. Und wie gesagt. Ich weiß gar nichts über Diplomatie. Aber spätestens nach der vierten gewonnenen Wahl hätte ich mir gedacht, dass man den Chefinnenbonus ausspielen kann und die geballte Inkompetenz einfach wegfegt. Ihr Job als Kanzlerin war es, das Land bestmöglich zu führen, und wenn das nicht möglich ist mit einer Rollenbesetzung, die die Größenverhältnisse von Bundesländern gut abbildet, dann wäre mein naiver Wunsch, dass eine Kanzlerin zu dem Ergebnis kommt, dass das dann jetzt wohl anders laufen muss, geht ja hier um was. Und jetzt können Sie natürlich sagen: „Ja, aber sie hat ja auch alle Kompetenz in ihrem Umfeld erst gar nicht stattfinden lassen.“ Und dann haben Sie vielleicht Recht. Und da muss man dann schlussendlich sagen: Katastrophe.