Und jetzt kommt der Didaktikteil. Das heißt nämlich leider nicht, so lernte ich in den letzten Tagen über mich selber, dass man ein ungefiltert aktiv-aggressives Leben führen kann. Weder kann man einfach überall austeilen im Spaß (gelernt, Check), noch kann man vernünftig einstecken (gelernt, Check). Es ist nämlich so. Zu einer guten, erfüllten, aktiv-aggressiven Beziehung wie der von Frau N. und mir gehört, dass man sich – und ja, ich höre schon die schnippische akiv-aggressive Einlassung darauf – uneingeschränkt schätzt. Dann weiß man nämlich, dass das Gegenüber spielt und den besseren Gag landen möchte. Und dann fällt man vor Lachen um. Das führt mich zu einer Beobachtung, die ich vorher nie gemacht habe: Frau N. Wir brauchen ein Safeword. So wie in der Erotik. In den letzten 12 Jahren ist zum Glück der Moment noch nicht eingetreten, dass das nützlich gewesen wäre, aber wenn sich mein Sektkonsum so weiterentwickelt, wird eine Intervention unausweichlich sein.
Und jetzt kommt der Emoteil. Ich glaube, großer Teil unserer gesunden aktiv-aggressiven Beziehung ist, dass wir beide für die jeweils Andere etwas getan haben, was sie selber nicht tun konnte, aber auch kein anderer. Obacht. Jetzt werde ich sentimental. Die vermutlich wichtigste Email, die ich in meinem Leben geschrieben habe, konnte ich gar nicht schreiben, weil ich mir ihrer Tragweite bewusst war und der Irreversibilität. Tage, nein, wochenlang hat Frau N. zugeguckt und nix gesagt, weil ich ja normalerweise eher Dinge einfach mache statt sie auszusitzen, irgendwann in letzter Sekunde hat sie jedoch eingeworfen, dass ich mal was wegmanagen müsste, und dann habe ich ihr das Passwort für mein Emailpostfach gegeben, habe gesagt „mach Du“, und dann bin ich spazieren gegangen und habe wochenlang digitale Entschlackung gemacht. Ich weiß nicht, wie es ausgegangen ist, sie musste danach natürlich auch ein engmaschiges Monitoring meines Postfachs machen, aber soweit ich weiß, bekleide ich gar keinen halbseidenen Lehrstuhl in Ostdeutschland, daher glaube ich, das wurde zufriedenstellend weggemanagt. (Note to self: Gleich mal nachfragen). Viele Jahre später erhielt ich in der Post einen Brief, den ich lesen und entsprechend kommentarlos bearbeiten musste, ausgestellt an Frau N. Die Revanche. Letzte Woche habe ich nach Jahren den Brief mit zu Frau N genommen, um ihn zu transferieren. Das hab ich dann vergessen, jetzt steht er wieder im Gewürzregal, damit ich ihn nicht verliere. Er riecht nach Zimt.
Im philosophischen Teil könnten wir jetzt darüber nachdenken, was es braucht, um zusammen so zu funktionieren. Wenn ich das patentieren lassen würde, wäre ich reich, und das wäre aufgrund „der aktuellen Situation“ natürlich super. So richtig weiß ich es aber nicht. Eventuell ist man einfach ganz genau gleich. Gleich irre, sagen Sie jetzt vielleicht, meine Beobachtung ist jedoch (und ich habe leider zeitlebens nur in Umfeldern gearbeitet, wo ausschließlich spezielle Leute rumlaufen, erlaube mir dennoch eine Meinung), dass es keine normalen Menschen gibt. Sie finden sich alle sehr besonders, ich finde mich sehr besonders, und jetzt kommt ein bisschen Logik: Wenn alle total besonders sind, ist halt wieder keiner besonders. Es gibt halt kein Normal, das uns eicht, wobei wir natürlich jetzt abwarten könnten, wie es sich mit dem New Normal entwickelt. Wenn man dann auf eine Person trifft, die genau die gleichen Idiosynkrasien aufweist wie man selber, dann fügt sich der gesamte Rest von selbst. Wenn man jetzt mal überlegt, wie viele Länder ich bewohnt habe, wie viele Jobs ich neu angefangen habe, etc., dann ist n=1 natürlich eine sehr magere Ausbeute. Gegensätze ziehen sich an halte ich übrigens für großen Unsinn. Ich möchte mich gerne mit genau gleichen Menschen umgeben, wenn nämlich keiner normal ist, muss man sich weniger anstrengen, wenn man ähnlich unnormal ist. Man braucht dann auch keine Wörterbücher Frau/Mann. Das müsste man eventuell im Aufklärungsunterricht in der Schule auch mal erklären. Dann würden wir das mit der Geburtenrate
wieder hinkriegen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Frau N. und ich machen zwar keinen Spaß, aber Sie müssen sich nicht sorgen, es geht uns gut. Ein Alkoholproblem habe ich vermutlich auch nicht, ich teste das regelmäßig. Und auch ganz spezielle Leute wie wir alle müssen manchmal banale Sachen machen, ich zum Beispiel beziehe jetzt mein Bett. Ich liebe es, in einem frischbezogenen Bett zu schlafen, aber ich hasse nichts mehr, als das Bett zu beziehen. Das teile ich mit allen Menschen auf der Welt. Das ist normal. Da fällt mir ein, dass ich als Kind in einer Illustrierten mal ein Interview mit Mutter Beimer gelesen habe, in dem sie erklärte, dass sie ihre Betten immer gut lüftet und die Bettwäsche nur einmal im Jahr wechselt. Damals gab es ja noch gar keine Umwelt, ich weiß also nicht, was der Grund dafür gewesen sein könnte. Ich weiß nur, dass mich das immens beeindruckt hat, dass man sich traut, so etwas Abwegiges in einem Illustrierteninterview zu sagen. Ich habe das nie mehr aus dem Kopf gekriegt, und ich spüre seitdem immer ein kleines Schaudern, das mir über den Rücken läuft, wenn ich Mutter Beimer sehe. Ich denke, um ihre Erotik kann es auch nicht gut bestellt sein.
Und jetzt haben wir natürlich die schlechte Situation, dass ich zwar den gesamten Tag einen Ohrwurm habe, ich aber vergessen habe, beim Runterrattern die passende Ausfahrt zu nehmen, um da noch sinnvoll hinzukommen. Ich weiß auch nicht, woher er kam, plötzlich war er da, aber er wird geschätzt, geht viel schlimmer. Da ich es aber geschafft habe, einen Blogeintrag über Frau N. und Mutter Beimer zu schreiben, in dem zweimal das Wort „Erotik“ vorkommt, schreibe ich ein anderes, nämlich das allererotischste Lied oben drüber, das ich kenne. Portishead. All Mine.
All mine