Wo waren wir stehen geblieben? Richtig. Ich hatte promoviert, wollte im Silicon Valley ganz groß rauskommen, mein deutscher Partner war sich nicht so sicher, ob das was für ihn ist, also wurde ich Mutter, landete in Deutschland an der Uni und pendelte mir einen Wolf, war nach 3 Jahren desillusioniert und müde (vom Job genauso wie von der Situation, dass es ja eigentlich nur maximal 5 Stellen in Deutschland gibt, die ich sinnvollerweise machen könnte, davon sind 4 ausgeschlossen, da der Partner Sachbearbeiter in Essen ist und da auch wenig Willen zur Flexibilität zeigt), also schmiss ich den Job hin, nahm einen Ruf nicht an wegen Pendelmüdigkeit und wurde zum Glück vom Fleck weg geheadhuntet. Der erste Job war lehrreich, ich konnte alles darüber lernen, wie man kein Unternehmen führt, der zweite kam schnell, da ich wieder hinschmiss und wieder sofort geheadhuntet wurde. Dieses Mal von einem echten, professionellen Unternehmen, welches mir drei Angebote machte, das dritte nahm ich an. Und auch da wieder: Eine klassische Frauenentscheidung. Ich verhandelte, dass ich meinen Job mit sehr viel Personal- und noch mehr Budgetverantwortung, mal ganz zu schweigen von den inhaltlichen Themen, in 35 statt 40 Stunden machen durfte, damit ich Ona nachmittags im Kindergarten abholen konnte. Die Personalchefin fragte, ob mir klar sei, dass der Job in der Zeit nicht zu machen sei, ich sagte ja, und schon saß ich in der Falle. Natürlich habe ich die Differenz zu 50 (immerhin nur 50) abends reingearbeitet, denn ja, der Job ging nicht in 35 Stunden, richtig, aber (und das klingt für Viele jetzt verrückt, für Andere normal) immerhin waren es nur 50, ohne Teilzeitdeckel wären es mehr gewesen. Die finanziellen Abstriche wo ich doch eh mehr als Vollzeit arbeite fand ich doof, also ging ich recht bald doch wieder auf 40 Stunden, und dann war nach oben keine Grenze mehr. Und hier kommt jetzt eine weitere interessante Beobachtung.
Ich habe ab Mitte 2016 NIE weniger als 70 Stunden gearbeitet, hatte dabei (das muss man leider auch sagen) sehr viel Spaß und bin fürstlich entlohnt worden. Am Ende der Reise wurde ich mit einem hochdotierten Vorstandsposten geadelt. Mein Mann arbeitete noch immer als Sachbearbeiter. In Vollzeit. Der erste vorsichtige Versuch, das aktuelle System zu besprechen, scheiterte glorreich, irgendwann schalteten wir eine Art Mediatorin ein, die erst ein wenig Beiden nach dem Mund redete und dann in dem Moment, in der ich erklärte, dass das Gehaltsgefälle der Faktor 4 ist, einlenkte und erklärte, dass es vermutlich sinnvoll wäre, wenn der Mann den Löwenanteil der häuslichen Verpflichtungen übernähme.
Zwei Jahre haben wir das System ausgehandelt. Zwei Jahre, in denen ich bei mehr als doppelter Arbeitszeit und mehr vierfachem Gehalt Dienstreisen abgesagt habe, weil Ona Bauchweh hatte. Ja, das macht man gerne, keine Frage, man hat das Kind ja lieb und einer muss ja. Meine Frage ist nur, wie es sein kann, dass ich keinen einen männlichen Kollegen in meiner Hierarchiestufe erlebt habe, der auch nur ein einziges Mal sagen musste, dass er leider nicht kommen kann, da er mit den Kind zuhause sitzt, sich aber gerne telefonisch zuschalten kann. Bei mir war es deutlich mehr als ein einziges Mal. Und ich prangere nicht an, dass man im C Level kein Kind betreuen kann. Ich prangere an, dass Frauen diese Supportfunktion sehr freiwillig übernehmen. Mein Mann zumindest nicht.
Was ich sagen möchte – für meinen persönlichen Fall – ist ja nur dies: Mein berufliches Umfeld bestand aus Männern, die zuhause den Rücken freigehalten kriegten. Frauen in ähnlichen Positionen hatten in der Regel ihre Leben vollkommen anders organisiert. Was ich leider in keinem Fall auch nur ansatzweise gesehen hätte: Ein Vater, der seine eigene berufliche Verwirklichung hintenanstellt, wenn die Frau das ganz große Rad dreht.
Naja, was will man machen. Es kam, wie es kommen musste. 2017 Schlaganfall, da die Kombination aus der Sorte Job und der gesamten Orga zuhause und keiner Putzfrau weil „man sich damit irgendwie nicht gut fühlt“ irgendwann doch zuviel war. Nach dem Schlaganfall das große Eingeständnis des Mannes, Reduktion der Stunden von 37,5 auf 35, whoop whoop, und dann weiter spiralförmig abwärts.
Hätte ich nicht irgendwann hingeschmissen, weiß ich nicht, was jetzt wäre. Fairerweise muss man sagen, dass ich aber in erster Linie wieder durch meine Verbohrtheit gescheitert bin. Ich hatte aber Recht.
Wenn man im Vorstand eines amerikanischen börsennotierten Unternehmens arbeitet, trägt man einerseits sehr viel Verantwortung und steht für viel gerade, andererseits kann man nie wirklich etwas entscheiden, denn alles entscheiden die Anleger und die 30 Instanzen dazwischen. Und da in einem wirren Geflecht von Zuständigkeiten nie eine Person in NY für irgendwas verantwortlich ist, exekutiert man halt im Zweifelsfall wie eine Irre vollkommen irrationale Dinge, die mit einfachster Grundschulmathematik hätten abgewendet werden können. Da aber niemand mehr Grundschulmathematik beherrscht, sitzt man den ganzen Tag und die halbe Nacht in Meetings, schüttelt den Kopf, macht sinnvolle Gegenvorschläge, und irgendwann geht man. Denn eine Sache habe ich auch gelernt (muss die aber in Zeiten einer globalen Pandemie noch einmal infrage stellen): Geld trägt mich nur bin zu einem sehr niedrigen Punkt. Alles andere ist getrieben von… Frau N. nennt es den „unbedingten Willen zu gestalten“. Wenn ich wählen kann zwischen Gehalt, Karre, theoretischer Macht und praktischem Gestaltungsspielraum muss ich nicht lange überlegen.
Als ich es nicht mehr aushielt, dumme und bewusst falsche Entscheidungen anderer zu exekutieren und vor allem auch zu verantworten (einer meiner Lieblingssätze: „I decide, I deal with the consequences, you decide, you deal with the consequences“), schmiss ich hin, mit einem Plan B. Ich gehe, 10 Leute gehen mit, darunter ein C Level Kollege, mit dem ich einfach was Neues mache. Und dann sehen wir den Rest. Ich mach nicht alles richtig, aber ich habe gar kein Problem damit, eigene Fehler zu verantworten, wenn ich zu irgendeinem Zeitpunkt dachte, die Entscheidung sei richtig. In unserem tollen und sehr vielversprechenden Businessplan hatten wir keine Pandemie eingeplant, und im letzten halben Jahre habe ich oft genug überlegt, ob ich das wohl gemacht hätte, wenn ich auch nur im Ansatz geahnt hätte, was es heißt, keine Zahlstelle im Mutterhaus zu haben, die die Payroll zahlt. Vermutlich nicht. Aber alles wird gut, das zeichnet sich ab, und da Ona inzwischen auch schon fast ganz doll groß ist und meine Mutter nebenan eingezogen ist, wird Vieles im Leben einfacher. Ich mache jetzt halt, was ich will. Und wenn ich was falsch mache, ärgere ich mich über mich. Das ist okay. Ich richte mich nach jemandem, an dem mir wahnsinnig viel liegt, und wenn man zu zweit ein etwas größeres Unternehmen gründet, ist das wichtig, sonst ist bei der ersten Pandemie Krieg.
Apropos Krieg. Was so ein Lebenslauf mit einer Ehe macht? Nix Gutes, das war vermutlich aber zwischen den Zeilen bereits ablesbar. Aber auch an der Stelle müssen Sie sich nicht sorgen. Wir wohnen sehr großzügig und haben uns gut aufgeteilt. Alles wird gut.
Real Men – The Sequel