Ich bin fix und fertig. Ich muss erst mal ein bisschen im Sessel sitzen. Heute war Handballsamstag, und zwar gegen den Tabellenführer, erstes Mal in dieser Saison, alle anderen hatten das Drama schon hinter sich, und heute wurde (fast) Handballgeschichte geschrieben. Also für die Kreisliga jetzt. Folgende Situation:
Auswärtsspiel, andere Stadt. Hässliche Halle, Gegner in der gleichen Trikotfarbe wie wir: Schlecht. Der Gast muss dann Leibchen tragen, die – wie ich heute erstmals bemerkte, ja gar nicht Teil unserer Trikottasche sind, sondern aus irgendeinem Geräteschrank in der Halle zusammengesucht werden müssen. Dieses System möchte ich ändern, ich habe das schon vorgetragen. Die Leibchen waren voller Harz, stanken und die Hälfte war zerrissen, so das sie quasi an den Jungs festgeknotet werden mussten. Jedenfalls war die gegnerische Mannschaft schon umgezogen in der Halle, und während unsere Kinder, 3 von 7 Stammspielern waren nicht dabei, sich umzogen, saßen die Eltern auf der Tribüne und brachten sich emotional an diesen Punkt, wo man in der nächsten Stunde einfach zugucken kann, wie die Kinder mit 40:0 nach Hause gehen. Die gegnerische Mannschaft war riesig. Und das sage ich als Mutter eines 13Jährigen, der über 1,80 ist und Schuhgröße 46 hat. Bis auf zwei Spieler waren die Gegner mindestens so groß, nur ist Ona momentan ja eher das Modell Spargel, die Gegner waren Schränke. Während sie sich einwarfen, hielt ich mir die Augen zu, so schlimm war das anzusehen. Wenn Sie nicht regelmäßig in einer Handballhalle sitzen, kennen Sie natürlich nicht das Geräusch, das entsteht, wenn ein Handball mit 100 km/h gegen die Latte knallt. Dieses Geräusch hörte man beim Einwerfen nicht, haben alle ins Netz getroffen.
Gepfiffen wurde von zwei A-Jugend Spielerinnen aus unserem Verein, die seit einem Jahr im Tandem pfeifen und die ich gut kenne. Ich möchte aber sagen: Heute wäre ein klarer Einsatz für das theoretische Schiritandem Frau Giese/Frau Herzbruch gewesen, da wäre aber was los gewesen. Spiel ging los, wir waren auf alles gefasst, nicht aber darauf, dass wir direkt 1:0 führen. Dann 1:1, dann 2:1 für uns, dann 2:2, und dann passierte etwas, was ich so in der Drastik in all den Jahren mit Kind auf der Platte (wie man sagt) noch nicht gesehen hatte: Testosteron.
Jonathan hatte sich anscheinend einen sehr langen Monolog, den ich neulich nach einem Spiel hielt, zu Herzen genommen (oder der Trainer hat gesagt: „Mach das“, was der Trainer sagt, wird ja immer unangezweifelt gemacht) und warf aus dem Rückraum. Ich erkläre das kurz. Im Handball gibt es ja in 6 Metern um das Tor den Kreis, der außer vom Torwart nicht betreten werden darf. Ziel im Angriff ist es, ein Tor zu werfen, ein guter Weg, das zu schaffen, ist es, irgendwie durch die Deckung zu kommen, im Zweifelsfall mit Gewalt, und dann von 6 Meter zu werfen. Wenn das nicht klappt, zum Beispiel, weil die Leute in der Deckung einen halt nicht durchlassen, dann gibt es noch immer die Variante, einfach nicht durch die Deckung zu gehen, sondern quasi über die Deckung drüber zu werfen. Aus dem Rückraum. Dafür ist eine Sache sehr entscheidend, nämlich ein Wurf, der die drei Meter mehr bis zur Torlinie überlebt. Und eine gewisse Körpergröße hilft dabei natürlich auch. Mein Monolog am Küchentresen neulich sollte vermitteln, dass Ona jetzt mit 13, seiner Größe und seinem Wurf lernen muss, auch aus dem Rückraum zu werfen, er hat nämlich alles, was es dafür braucht, er kam nur nie auf die Idee.
Wir sind also in Minute 5 oder so, es steht 2:2, wir im Angriff, Ona kriegt den Ball, springt auf 9 Metern hoch und wirft, wird von zwei Gegenspielern massiv in der Luft gebodycheckt, dreht sich im Sprung und fällt wirklich böse hin. Herz in der Hose auf der Tribüne, aber er stand wieder auf, dann gibt es immer Applaus, das ist gut für die Seele und die inzwischen blaue Seite, dann wollte er ausgewechselt werden, der Trainer zögerte, und dann passierte etwas Magisches. Er winkte doch ab, blieb auf dem Feld, versemmelte den Freiwurf und war ab der Sekunde SO WÜTEND, dass er die nächsten 48 Minuten so ein Billy Idol Gesicht machte. Mit Oberlippe hochziehen. Die nächste magische Komponente war, dass die Gegner zwar körperlich weit überlegen waren und sehr hart zupackten, dann aber in kürzester Zeit Onas Wut auf die gesamte restliche Mannschaft überschwappte, und dann spielten sie das Spiel ihres Lebens. Ja, so kann man das sagen. Sie haben beim Tabellenführer, der es nicht gewöhnt ist, mit weniger als 20 Toren Abstand zu gewinnen, nicht ein einziges Mal mehr als zwei Tore zurückgelegen, und sie machten allesamt so böse Gesichter, dass ich ganz klar sagen kann: Ich wäre da im Angriff sehr ungern reingelaufen, die sahen alle nicht lieb aus.
Der Gegner verzweifelte streckenweise, weil ihnen einfach nicht einleuchtete, dass die „Kleinen“ sich nicht abschütteln ließen, doch es wurde sehr schnell klar: Körperliche Überlegenheit ist nicht alles, wenn die gegnerische Mannschaft so sauergelaufen ist und strategisch in Hochform (was nicht immer der Fall ist, aber damn, das war wirklich schönes Handball, ich habe kaum einen Spielzug vorhersagen können, der Gegner auch nicht, und wenn der Pass einfach jedes Mal auf einen Spieler geht, den man nicht erwartet hätte, dann stehen irgendwann einfach 6 Schränke in der Abwehr und sagen nach dem Tor: „HÄ??“), dann lassen die einen nicht mehr durch. Es war phänomenal. Sie haben in der Abwehr so oft den Ball abgenommen, dass ich irgendwann den Satz sagte: „Ich gehe jetzt aus der Halle, damit das das letzte Bisschen Handball ist, das ich gesehen habe in meinem Leben, schöner wird das nicht mehr.“ In der 45. Minute war Gleichstand, und ich brüllte zum ersten Mal in all den Jahren aufs Feld: „WENN IHR DAS GEWINNT, BACKE ICH EINEN KUCHEN.“ Ich musste am Ende nicht backen, sie lagen bei Abpfiff ein Tor zurück. EIN Tor. Das ist nichts, und wenn man sich dann überlegt, dass leider zwei von drei 7 Metern verworfen wurden und ganz klare Fälle von 7 Metern zweimal nicht gegeben wurden, dann sind sie mindestens Sieger der Herzen.
Die Schiedsrichterinnen waren jedoch für die Wellen an Testosteron auf dem Feld noch nicht souverän genug. Im Handball wird progressiv gepfiffen, das heißt, dass nicht sofort voll geahndet wird, sondern beim ersten Klammern, Schubsen, Umreißen gibt es einer Verwarnung mit Freiwurf, dann gibt es aber noch Gelbe Karte, 2 Minuten, 7 Meter, Rote Karte, etc., und es ist Aufgabe der Schiris, die verschiedenen Eskalationsstufen taktisch klug zu nutzen. Wenn das Spiel auf einer Seite vom Anpfiff an so hart ist, finde ich es klug, sehr schnell die progressive Leiter hoch zu gehen, denn was nicht geahndet wird, wird wiederholt. Und dann passiert halt oft das, was ich heute bei unseren Kindern das erste Mal gesehen habe: Die machen dann zur Not mit. Ona hat für jeden bösen Schubser zweimal zurückgeschubst, und dafür, dass ich lange nicht ein so hartes Spiel gesehen habe, fand ich eine einzige 2 Minuten-Strafe in 50 Minuten Spiel sehr wenig. Ich sah Ona mehr als einmal theoretisch auf der Bank sitzen, aber gut, die Schiris nicht. Vielleicht bin ich aber auch nix gewöhnt, er packt sonst nie zu. Aber er war ja wütend. Was die (sich insgesamt nicht so gut benehmenden) Gegner jedoch heute lernen konnten: Wenn man die Schiedsrichterin, weil sie ja sonst auch nicht durchgreift und man denkt, dass alles erlaubt ist, „Alte Scheißfotze“ nennt, dann ist das Rot.
Ich vergaß die Schlusspointe, die mit der Schiedsrichterin war eigentlich nicht so gedacht: Nach dem Spiel hatte ich dann drei der Jungs im Auto und musste an Frau Ns schöne Wortschöpfung „Pubertät in Polyester“ denken. Wenn Sie den Geruch nicht kennen: Hurra.
Pumakäfig.😊.
Man lüftet gerne, sagen wir mal so.
Eine packende Beschreibung!
Ich habe richtig mitgefiebert.
Da ist ein s zu wenig bei einem dass, und mir ist wichtig, Ihnen mitzuteilen, dass ich die Regel gut beherrsche, andererseits nicht wichtig genug, um den Beitrag zu ändern am Handy.
Oh ja, ich kenne den Geruch – Eishockeykabine. Und erlebte sehr aktiv den Weg meiner Tochter als Schiedsrichterin. Inzwischen sehr souverän und gleich mal anfangs klare Kante zeigen. Da sie wirklich sehr winzig ist (1. 47 m) ist es superwichtig für das Spiel gleich den Halbstarken zu zeigen, wer über das Spiel bestimmt. Bei den Damenspieln ist es jedenfalls international etwas anders.
Spannende Spielbeschreibung sogar für mich, die von Handball nix versteht.