11.07.2022

Seit gestern Mittag habe ich fast Migräne, kann das aber zeitlich diese Woche nicht einrichten, und was soll ich sagen? Das klappt. Jetzt geht es mir also fast nicht gut, ich habe immer wieder leichte Sehstörungen und mein Gesicht kribbelt, eine Stelle tief drinnen im Kopf tut auch weh, aber es lässt sich alles mit Kopfschmerztabletten im Griff halten, und erstmals seit immer habe ich Triptane im Haus. Quasi als Drohgebärde. Da aber ja niemand besser weiß als ich selber, dass ich nicht inhaltsleer drohe, nehme ich die Schachtel auf dem Esstisch sehr ernst, beim ersten Übergeben nehm ich die. Üblicherweise habe ich ja einmal im Jahr Migräne, dann liege ich aber vier Tage feste flach, und vielleicht liege ich dann letztendlich zwei Wochen flach, nur diese Woche darf das nicht sein. Das Bewusstsein, dass man nicht ausfallen darf, egal, was ist, ist eventuell genau das, was Migräne verursacht, wegen der man dann letztendlich doch ausfällt. Naja.

Wo wir gerade bei „nicht inhaltsleer drohen“ sind: Ich hatte ja vor wenigen Tagen mit dem Teenager unilateral entschieden, dass die nächsten drei Wochen nicht einfach nur mit YouTube, TikTok und 3000 anderen Sachen gleichzeitig im Bett gelegen werden sollte, alternativ könnte man ja mal gucken, was Langeweile so in Menschen freisetzen kann. Ach, Langeweile, ein Gefühl, dass ich seit Jahren nicht mehr hatte, wie gerne hätte ich Langeweile. (Ich gestalte mir natürlich alles so, dass ich Langeweile ermögliche. Urlaub mit 34 Stunden Zugfahrt, meine Güte, 34 Stunden, WHAT WAS I THINKING?).

Jedenfalls ist das Kind scheinbar nicht an Langeweile gewöhnt, also kam er nach 24 Stunden zu dem Entschluss – Start war die Geschichte mit den Aufklebern und der Kontrollgang am nächsten Tag mit der traurigen Einsicht, dass die FCKNZS Aufkleber fast alle abgeknibbelt waren, das lässt mich auch etwas ratlos zurück, hier laufen nämlich gar nicht mal so viele Leute auf den Straßen rum, und die, die ich hier sehe, würde ich nicht in die Kohorte Anti-Nazi-Aufkleber-Abknibbler einordnen – egal, jedenfalls hat er sich jetzt ein Projekt überlegt, und ich sehe da jetzt mehr mein Genom als das von Herrn H. durchschlagen. Ona gründet jetzt eine linke Jugendbewegung. Einen Namen hat er auch schon, nämlich „Linke Jugendbewegung“. Ein Logo hat er heute 10 Stunden designt, so fällt alles wieder an seinen Platz, nämlich mit der Procreate App, die ich ihm neulich mal angeschafft hatte, als ihm Langeweile verordnet wurde. Bisher gibt es sechs Mitglieder, verteilt über Düsseldorf, Münster und Leipzig. An den Zielen wird noch gearbeitet, erst mal Logo und erstes Meeting, man muss auch erst einmal eine Plattformentscheidung fällen, WhatsApp ist ihm zu veraltet, und wenn demnächst 100 Jugendliche in seiner Linken Jugendbewegung sind, dann wird das alles sehr unübersichtlich. Verstehe. Ich hatte ihm noch vorgeschlagen, dass er sich vielleicht noch mal mit dem Topos „Links“ auseinandersetzt, um zu gucken, ob das so passgenau ist mit dem, was er gerne möchte (ich bin mir zum Beispiel nicht sicher, wie die sechs zur NATO stehen), aber nun gut, erst mal Logo und Plattform, dann sehen wir weiter. Eine Entscheidung ist bereits getroffen: Er möchte nur eine nationale Linke Jugendbewegung gründen, sonst wäre das alles zu viel, so neben Schule und Sport.

Ja. Verstehe ich. Ich nehme mich jetzt mal sehr zurück, lege mich sowieso ja ins Bett in der Hoffnung, dass der Kopf morgen besser funktioniert, ich musste heute den ganzen Tag Zahlen im 100er Raum mit dem Taschenrechner addieren, das kostet unfassbar viel Zeit, wenn man den ganzen Tag nur rechnet, und lasse ihn machen. Also das ja eh, aber ich würde ja, würde ich jetzt eine linke Seniorinnenbewegung gründen, mit den Zielen anfangen, ich fange immer mit den Zielen an. Deshalb konnte ich auch immer sehr schlecht mit so agilen „Wir entwickeln von der Oberfläche aus“ Leuten arbeiten (wobei ich nicht sagen will, dass das gut funktionieren kann, aber wenn man mit der Farbe statt mit der Frage, was man eigentlich machen will, anfängt, dann wird es für mich schwierig. Aber das machen die meisten Leute vermutlich eh nicht. Ich hatte nur Pech.)

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