10.10.2022

Mir ist etwas sehr Schlimmes aufgefallen. Ich habe leider in den letzten 13 Jahren einen sehr wichtigen pädagogischen Auftrag nicht erfüllt, und jetzt wird die Nachwelt mit meinem Versäumnis für immer leben müssen.

Ich habe ja so einen Mann, der sehr viel isst, ich erinnere mich an einen Blogeintrag von vor 15 Jahren, als wir gerade zusammengezogen waren, wo ich entsetzt feststellte, dass ich gar nicht weiß, wie man so jemanden ernährt, und dann kommentierten viele Leute drunter, ich solle was mit viel Kartoffeln und Soße anbieten. Das funktionierte soweit ganz gut, zumal er auch so ein Mensch ist, der am Tag etwa 10.000 Kalorien in Form von Zucker zu sich führen kann, ohne eine Zahnfüllung oder ein Gramm zuviel Gewicht mit sich rumzutragen. Die Welt ist halt nicht fair.

Der gemeinsame Sohn war auch schon immer ein sehr guter Esser, im Kindergarten und in der Grundschule hatte man sich den gleichen Witz ausgedacht: „Sie müssten eigentlich doppelt Essensgeld für den zahlen“, haha. Der Wunsch zu essen bewegte sich allerdings immer in einem Rahmen, den ich gut bearbeiten konnte, ich hätte gerne händeln geschrieben, weiß aber nicht, wie man das richtig schreibt. Nun ist es so, dass er sich wohl im Wachstums-Endspurt befindet. Herr H war mit 15 2 Meter, ich war mit 15 ebenfalls ausgewachsen, Jonathan ist nun 13,5, und es fehlen zum angepeilten Endmaß noch etwa 25 cm. Die Phase von 1,60 bis 1,80 hat er ohne nennenswerte Gewichtszunahme erledigt, sieht jetzt also aus wie so ein Teenagerspargel. Was mir bis dato nicht aufgefallen war: Er isst den GANZEN Tag. Also immer. Und nur noch gesunde Sachen, wenig Kohlenhydrate, wenn, dann nur Vollkorn, und seit immer ja quasi kein Fleisch. Also isst er durch. Das stört mich eigentlich nicht, nun gut, Inflation ist dann halt auch schmerzhafter, aber die ist ja wie neulich besprochen eh für alle doof, aber in den letzten Tagen sollte ich ja eigentlich drinnen sitzen und arbeiten, während Herr und Teenie H draußen renovieren und Sachen machen, und ich habe wirklich Stunden meines Lebens verbracht mit der folgenden Diskussion:

„Ona, was machst du denn jetzt in deinem Zimmer? Warum hilfst du nicht draußen?“ – „Ich muss was essen.“ – „Du hast doch vor 45 Minuten erst etwas gegessen.“ – „Ja, aber das waren ja nur fünf Äpfel. Jetzt esse ich ein Müsli.“ – „Und was hast du vor zwei Stunden gegessen?“ – Nudeln. Immer Nudeln, ich habe mir ja herausgenommen, nur noch eine warme Mahlzeit pro Tag anzubieten, der Rest muss mit Brot, Müsli oder als Selbstversorger stattfinden. Also wurde in der letzten Woche gefühlt überhaupt nicht renoviert, so überhaupt nicht, dass ich eben das Arbeiten eingestellt habe, um einen Fußboden zu verlegen, wofür ich ja Handwerker bestellt (und auch schon akquiriert) hätte, aber nein, das können wir ja selber, alles, was wir selber können, machen wir selber.

Und dann stehen sie halt zusammengerechnet 10 Stunden am Tag in der Küche und machen sich was zu essen.

Und nein. Ich übertreibe nicht. Ich habe im Rahmen meiner Mutterschaft vergessen, meinem Kindelein beizubringen, dass es okay ist, wenn man mal 20 Minuten nicht wohlig satt ist. Ja. Ich war eine von diesen Müttern, die zumindest eine Zeit lang bei jedem Gang vor die Haustür irgendeine Dose mit Apfel oder Möhrenschnitzen dabei hatte, weil es dem Kind 2010 nicht mehr zuzumuten ist, im Buggy zum Briefkasten gefahren zu werden, ohne dabei mindestens in eine Möhre zu beißen. Was ist denn da los? Sind die heute alle so? Wir seufzen ja immer wie so alte Leute, wenn diese Millennials ganz viel Work-Life-Balance wollen. Aber was da auf uns zurollt ist eine ganze Generation von Reiswaffelkindern, die keine einzige Aufgabe mehr im Leben abschließen können werden, weil sie sich – zugegeben selber, dafür hatten wir ja Pandemie, die können alle kochen, weil die Eltern im Homeoffice mittags schon so viel getrunken, ach nein, das war anders, das war pädagogisch klug – den ganzen Tag immer wieder ganz gesundes tolles Essen zubereiten müssen und keine 10 Minuten ein leichtes Gefühl der Leere im Magen aushalten können. Und ich bin mit Schuld.

2 Gedanken zu „10.10.2022“

  1. Sehr schön beschrieben, vielen Dank, mein Beileid. Hier auch ein Sohn, noch Teenager, die vermehrte Essensaufnahme ist bereits aufgefallen. Es geht tatsächlich erstaunlich viel rein.
    🙂

  2. Ein Trick ist: Hülsenfrüchte. Jedenfalls bei mir. Wenn ich mich nur von Nudeln, Reis, Kartoffeln usw. ernähre, muss ich auch – ungelogen – die ganze Zeit essen. Und ich bin Jahrzehnte vom Teenager-Sein entfernt.

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