05.11.2023

Da ist es schon wieder vorbei. Wir sitzen im Zug, haben sehr viel Stangerl und zwei Tüten Chips, die wir bei Anreise direkt im Supermarkt gekauft hatten, weil wir uns bei jeder Reise daran erinnern, dass wir gerne abends zusammen Chips essen. Wir haben verreist noch nie abends zusammen Chips gegessen, aber wir sind nicht so gut in Mustererkennung, daher transportieren wir jetzt die Tüten wieder zurück, es gibt ja fast nichts, was sich komfortabler transportieren lässt als Chipstüten.

Wie letztes Jahr schon haben wir auch in Wien wieder eine geringe Magenerweiterung erlitten, da wir uns insbesondere kulinarisch vorbereitet hatten. An Aktivitäten hatten wir nur den Besuch in der Spanischen Hofreitschule und die Strudelshow, die natürlich eigentlich auch eher Kulinarik war als Kultur, ein Missverhältnis, das Herr H. aus Düsseldorf regelmäßig anprangerte, gefolgt von Fotos mit entweder trauernden Tieren drauf, oder männlichen Mitwohnern, die Mehlspeisen zubereiten. Über Pferd hinaus gab es also eigentlich nur noch Reservierungen für Restaurants und Cafés, der Plan war, sich treiben zu lassen, und das ist uns gut gelungen.

Auf den ersten Blick waren wir etwas irritiert von der eher ruppigen Art der Menschen in Wien, wir gamifizieren aber ja gerne und nahmen die Herausforderung an. In weniger als 24 Stunden war es dann soweit, wir hatten perfekt verstanden, wie wir uns verhalten müssen, damit alle nett zu uns sind. Und das ging so: Frau N. fand als Erste einen Weg, sie wurde gerade in einem Café vom Kellner zurechtgewiesen und fasste ihn unvermittelt irgendwo an, ein Schalter legte sich um und er wurde ganz freundlich. Ich hingegen fasse ja keine fremden Menschen an, stellte aber sehr schnell fest, dass ich einfach nur mit versteinerter Miene sitzen und böse gucken muss, dann fangen Kellner:innen an zu lachen und nennen uns Mädels. Wir überprüften dieses Vorgehen in jedem weiteren Restaurant und stellten fest: Klappt immer.

Unsere Endgegner trafen wir dann am letzten Abend in dem Restaurant, in dem wir reserviert hatten. Es befand sich unweit der Bristol Bar, einem Zufallsfund, ich neige ja zu Rücken und wünschte mir am ersten Tag eine halbe Stunde mit einem guten Getränk in einem Sessel mit Armlehnen, Frau N googelte – ja. Wirklich. – nach „Cocktail Sessel Armlehne Oper Wien“, dann durchforstete sie die Bildergebnisse und lotste uns in die Bristol Bar, wo uns nach sehr kurzer Zeit schon klar war, dass wir auf jeden Fall am nächsten Tag wiederkommen wollten, der Kir Royal war sehr gut, die Sessel auch, die Kellner:innen waren schneller geknackt, als wir gucken konnten. Also kamen wir am nächsten Tag um 18 Uhr wieder und lernten den besten Cocktail der ganzen Welt kennen, dazu später oder morgen, und beschlossen, dass wir den geknackten Kellner bitten müssten, uns für 21.30h einen Tisch zu reservieren, 20 Uhr Schnitzel, dann Nachtisch, dann zurück zu Cocktail. Wir wurden instruiert, dass man den Tisch nicht lange halten könne, wir sollten also bitte pünktlich sein, wenn die Leute in Roben aus der Oper kämen, müssten wir schon sitzen, dann gingen wir schnell ins Restaurant.

Hier muss man wissen, dass Frau N hier österreichisch reserviert hatte, also sie reservierte „für Frau mit Titeln H“, das fanden wir lustig. Das Restaurant hatte die Reservierung für Frau H allerdings nicht, dann wurde alles kurz etwas kompliziert, dann zeigte Frau N die Bestätigung, dann klärte sich alles auf und wir wurden an einen Tisch geführt, von dem wir erst dachten, es sei der Premiumtisch, ein winziger Glaskasten, in den genau ein Tisch mit zwei Stühlen passte, alleine ohne andere Menschen, ganz wie wir es mögen. Dass neben Frau Ns Stuhl eine angebissene Scheibe Brot auf den Boden lag, lassen wir kurz einmal so stehen. Wir setzten uns, dann passierte lange nichts, Frau N erklärte, sie wolle seit sie 5 Jahre alt ist, unbedingt Salzburger Nockerln essen, dann kam ein Kellner, wir bestellten, ich erklärte zudem, dass wir gerne allerspätestens um 21 Uhr Nockerln als Nachtisch haben wollen würden, da wir um exakt 21.20 Uhr das Restaurant verlassen müssten wegen eines Anschlusstermins, er nahm alles auf, und dann kamen irgendwann Schnitzel. Meines war sehr sehr groß, ich weiß, es muss so, es war ja auch dünn, daher alles gut, aber es gab dazu eine winzige dünne Zitronenscheibe, die nicht einmal für 1/8 des Schnitzels reichen konnte. Inzwischen hatten wir verstanden, dass wir im Raum des Vergessens saßen, hier kam niemand hin, ich wollte aber auch nicht aufstehen und selber Zitrone suchen, also behalfen wir uns mit dem, was wir hatten.

Um 20.30 Uhr waren die Schnitzel schon aufgegessen, wir warteten also auf die Nockerln. Die nicht kamen. Sowieso kam nie irgendjemand. Einmal wurden Teller weggetragen, gut, das dann schon. Um 20.59 Uhr thematisierte ich bei Frau N meine Ungeduld, da „allerspätestens um 21 Uhr“ gleich abgelaufen sei. Nun wusste ich, dass sie umbedingt Nockerln essen wollte, also besänftigte sie mich. Um 21.05 Uhr kam ein neuer Kellner zu uns, um sich zu erkundigen nach – egal, ich erkundigte mich unerfreut zuerst und erfuhr, dass Nockerln vorher gar nicht bestellt werden könnten, auch nicht für eine fixe Uhrzeit, sie seien jetzt im Ofen, wenn sie fertig seien, würden sie gebracht. Ich wurde etwas angestrengt und wiederholte, dass ich doch so bestellt hätte, dass sie spätestens wegen Anschlussveranstaltung undsoweiter. Der Kellner unterbrach mich mitten im Satz und erklärte noch einmal, ich hätte gar nichts bestellen können, da das überhaupt nicht vorgesehen sei. Ich setzte zum dritten Mal an und wies darauf hin, dass der Kollege uns nicht erklärt habe, dass das nicht ginge und wir entsprechend davon ausgegangen waren, dass das doch ginge, woraufhin der Kellner mich kippen ließ mit dem Satz: „Gnä Frau, natürlich haben Sie Recht, Sie haben immer Recht, einfach nur, weil sie der Gast sind, aber sie können nichts vorbestellen“, und dann wollte ich keine Nockerln mehr.

Dummerweise kamen dann Nockerln, insofern wirklich schade, dass ich, die sich ja gar nichts darunter vorgestellt hatte, wirklich sehr abgestoßen war von dem riesigen Gericht, das hübsch aussah, faktisch aber nichts anderes war als Rührei vom Eiweiß mit süßer Sahne, schrecklich. Ganz schrecklich. Frau N kam aus dem Lachen nicht mehr raus, so eklig war das, was sie sich seit 45 Jahren so sehr wünschte, wir gaben also auf. Dann wollten wir zahlen, es war 21.20 Uhr, wir hatten bislang zweimal gesagt, dass wir um 21.20 Uhr das Restaurant verlassen müssten. Der erste Kellner, der vergessen hatte zu sagen, dass wir gar keine Nockerln bestellen können, ließ uns wissen, dass er gleich komme, kam aber nicht, lief etwa 5 Mal an uns vorbei, öffnete an der Theke eine Flasche Sekt, lief wieder an uns vorbei, irgendwann zogen wir uns an, stellten uns vor unser Abteil und sagten, wir würden jetzt gehen, wir könnten noch zahlen. Natürlich blabla, dann wies ich noch auf das angebissen Brot neben dem Stuhl hin, das habe dort gelegen, vielleicht wolle man das entfernen vor den nächsten Gästen, woraufhin der Kellner fragte „Ach, das ist nicht von Ihnen“, und, bevor ich die interne Frage nach dem Prozentsatz des Trinkgeldes geklärt hatte, dann sagte: „Da habe ich nichts mit zu tun, das ist die Schuld des Kellners, der vorher an dem Tisch bedient hat“, wir bedankten uns und gingen. Zum Cocktail. In den gemütlichen Sesseln, dann beobachteten wir Operngäste in Roben, tranken weitere 3 Cocktails, schafften es dennoch nach Hause und fahren jetzt wieder nach Deutschland, wo Menschen für uns einfach wieder kalkulierbarer sind. Aber wir kommen wieder, wir hatten Wien noch nicht durchgespielt. Den Rest der Vorkommnisse finden Sie bei Frau N.

2 Gedanken zu „05.11.2023“

  1. Ich vermute: Der reale Name von Frau H. bei der Reservierung war der einzige Grund, nicht ohne zu Bezahlen zu gehen? Verdient hätte es der Betreiber.

  2. Deine Worte fangen die Melancholie und die Schönheit dieses Tages auf eine Weise ein, die mich tief berührt hat. Es ist immer wieder erstaunlich, wie Worte in der Lage sind, uns an vergangene Momente und Emotionen zu erinnern.

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