Dem Düsseldorfer Schauspielhaus kann man eines nicht vorwerfen: Dass es nach dem Überfall Israels am 7. Oktober keine deutliche Position bezogen hätte. Für viele Institutionen und Claudia Roth mag das stimmen, das dhaus hat sich nichts zu schulden kommen lassen. Wir haben in den letzten Monaten viele Veranstaltungen besuchen dürfen – und das sage ich nicht leichtfertig, gemessen an dem Sicherheitsaufkommen, das üblicherweise dann aufgefahren werden muss und das wirklich mehr als alles sagt – die sich dem Thema gewidmet haben. Und die großen Zulauf erfahren, das muss man sagen, allerdings vorrangig von Menschen, die man der Kategorie „Überlebende“ zuordnen kann, das ist vielleicht ein Problem.
Heute las Michel Friedman aus seinem Buch „Judenhass“, anschließend sprach er mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der nordrhein-westfälischen Antisemitismusbeauftragten. Das große Haus war höchstens halbvoll, Herr H und ich waren mit Ausnahme einer Familie, die mit drei Teenagern gekommen war, vielleicht die Jüngsten im Saal. Wobei sein Bruder und seine Frau auch da waren, gut, er ist ein Jahr jünger, entsprechend war einfach ich die Jüngste im Saal. Die Teenager mal rausgerechnet.
Friedmans Lesung aus seinem Buch war bewegend, er ist ein guter Darsteller, am allerbesten stellt er sich selber dar. Ich habe das zu schätzen gelernt. Es gab Zeiten, da ging er mir auf den Geist mit seiner eher selbstdarstellerischen Art. Wenn Sie es nicht kennen, empfehle ich Ihnen gerne Durch die Nacht mit Schlingensief und Friedman, ganz schlimm, wie aufgedreht er da ist, unerträglich. Andererseits, und auch das sage ich nicht leichtfertig, gibt es heute in Deutschland nur wenige Leute, denen ich so viel intellektuelle Kraft zutraue, wie ihm. Um das mal tagesaktuell einzuordnen: Ich bin der absoluten Überzeugung, dass Michel Friedman der einzige Mensch in der deutschen Medienlandschaft ist, dem ich zutraue, ein öffentlichkeitswirksames Interview mit irgendjemandem von der AfD zu führen. Nicht Maischberger, nicht Tilo Jung, nicht Miosga, die „Medien“ sind der Aufgabe allesamt nicht gewachsen, und während man hinterher nach stichhaltigen Punkten sucht, die zeigen, dass man „den Interviewpartner entlarvt“ hat, ist uns vermutlich allen klar, dass das nur alles sehr gute PR für die AfD war und man es wieder nicht geschafft hat, im Gespräch Unwahrheiten zu entlarven, Absurditäten aufzudecken oder irgendetwas dafür zu tun, dass Lieschen Müller versteht, dass es vielleicht keine gute Idee ist, die Partei zu wählen. Im Gegenteil. Man stellt böse Fragen, bekommt geschliffene Antworten, und schon ist alles prima, die AfD ist halt gar nicht so schlimm.
Friedman könnte das, ich bin mir sicher. Er lässt sich nicht unterbrechen und er treibt so gnadenlos in die Enge, dass man ihm nicht mehr ausweichen kann. Ich schrieb darüber. Das einzige Interview, das ich in den letzten zwei gesehen habe, in dem es gelungen ist, jemanden, der „für Frieden“ ist, das so weit zu Ende denken zu lassen, dass das Ergebnis ist, dass die Ukraine dann halt weg ist, ja das ist dann so.
So müssen Interviews mit Irren geführt werden. Ich hoffe, dass nicht Sie sich jetzt die Debatten mit Friedman angucken, sondern die, die sonst vielleicht absurde Ideen in der Wahlkabine haben. Aber so funktioniert Demokratie nicht. Demokratie ist, wenn jemand einen einzelnen Satz von Sahra Wagenknecht kennt und dann wählen geht. Und das ist ein Problem.
Apropos Michel Friedmann und Thilo Jung: Ich fand das Gespräch zwischen beiden auch sehr hörenswert. Wer‘s noch nicht kennt: auf YouTube, Spotify und sonst wo …