Ich bin ja eine lupenreine Demokratin. Seit meinem 18. Geburtstag habe ich an jeder Wahl, die sich bot, teilgenommen, ich habe sogar mal für eine Bundestagswahl meinen Wohnsitz nach Deutschland zurückverlegt, aber nie zuvor fand ich Wählen so wichtig wie in diesem Jahr. Das liegt im Großen und Ganzen an drei Gründen: 1) ans Unangenehme grenzende Politiknähe in der näheren Vergangenheit, 2) deutlich zuviel Zeit und deutlich zu viel beruflich notwendige Medienexposition in der Pandemie und 3) irgendwie fühlt es sich hin und wieder so an, als wären wir hier mitten in einem großen Apokalypsefilm, und es ist nicht meine Natur, kampflos zu gehen, und deshalb werde ich wählen gehen. Natürlich. Nun brachte mich Twitter, da kann man ja so viel lernen, darauf, dass es vermutlich in diesem Jahr sehr schlau sein wird, Briefwahl zu machen, nicht, dass wir am Ende in Quarantäne sitzen und nicht ins Wahllokal gehen können. Ich hatte das vollumfänglich verstanden, dennoch tat ich mich damit schwer, ich gehe nämlich wirklich gerne wählen. Seit vielen, vielen Jahren ziehen wir uns morgen nett an, laufen dann zu der Schule, in der wir wählen, wie andere morgens in die Kirche, und dann übe ich mein demokratisches Recht aus, und danach fühle ich mich sehr gut. Das hätte ich ungern geopfert, daher habe ich recherchiert, und das erste Ergebnis ist vielversprechend: Im Falle von Erkrankung – ich nehme an, dass Quarantäne auch in diese Kategorie fällt, finde das morgen aber noch mal offiziell heraus – können bis 15 Uhr am Wahltag noch von einer bevollmächtigten Person die Wahlunterlagen abgeholt werden. Das ist ja erst mal schön, nötig ist allerdings eine ärztliche Bescheinigung, die ja zum Beispiel, wenn ich am Samstag erfahre, dass ich Erstkontakt einer symptomatischen positiven Person war und daher pflichtbewusst in Quarantäne gehe, Sonntag gar nicht vorhanden ist blablabla, Sie sehen, es ist nicht komplett geklärt, ich werde aber morgen alles herausfinden, und dann kann ich abschließend entscheiden, ob ich mich des Wahlerlebnisses berauben möchte und doch briefwähle, weil mir der Prozess nicht gut erscheint. Sollte jemand von Ihnen da schon mehr wissen, teilen Sie das gerne.
Ansonsten bin ich heute morgen aufgewacht, habe mich hingesetzt und begonnen zu arbeiten, dann merkte ich, dass ich keine Lust habe zu arbeiten, horchte kurz in mich, worauf ich denn vielleicht doch Lust haben könnte, stellte fest, dass ich meinem Hund ein Erlebnis bieten wollte, und lud Fiene bei Kori Schüßler auf der Hundewiese ein. Wir können das abkürzen. Kori Schüßler ist ein wirklich sehr reizender Hund, *viel* größer als Fiene, der ganze Hund besteht quasi nur aus Beinen und Locken, aber, wir alle müssen stark sein: Es war nicht die große Internetliebe, die wir uns alle gewünscht hatten. Noch nicht mal einseitig. Manchmal ist es so. Kori und Fiene haben keine gemeinsamen Interessen und sind offensichtlich sehr unterschiedlich sozialisiert. Kori möchte sich mit anderen Hunden beschäftigen, Fiene möchte 10 Kilometer auf einem Waldweg runterspulen und zwischendurch eine halbe Stunde Ball spielen. Dafür braucht sich mich oder irgendeinen anderen Menschen, der werfen kann, und gut ist. Kori möchte Sachen mit Hunden machen, während Menschen in der Mitte stehen. So standen wir also auf der großen Hundewiese, 20 Hunde machten irgendwas, mein Hund saß neben mir und guckte mich fragend an. Für ein Zeitfenster von etwa 10 Sekunden lief sie halbmotiviert hinter einem Schäferhund her, drehte dann um und setzte sich wieder neben mich, ich hatte ihr ja einen Ausflug versprochen, und das konnte der ja noch nicht sein.
So lernte ich also in drei Stunden, die ich mit Hund bei Fuß sitzend auf der Hundewiese verbrachte, über meinen Hund, dass sie anders funktioniert und Spaß nicht so definiert, wie Hundewiesenhunde das tun, und über mich, dass ich anders funktioniere und Spaß nicht so definiere wie Hundewiesenfrauchen. (Nicht falsch verstehen, Anne, wir hatten das besprochen 😉 )
Auf der Rückfahrt habe ich ausführlich darüber nachgedacht, und dabei fiel mir auf, dass ich vermutlich nicht ohne Grund immer alleine mit ihr in den Wald gehe. Die Gefahr, andere Hundeleute kennenzulernen, die sich dann zum Spazieren verabreden wollen, dann doof sind und sich aber immer weiter zum Spazieren verabreden wollen, die Gefahr kann man in der eigenen Hood ja nun nicht eingehen. Ich möchte nie im Wald abbiegen müssen, weil am Horizont die Halter von Matthias, Samuel und Bettina (I kid you not!) auftauchen, die dann wieder über Hundeernährung sprechen wollen. Da habe ich keinen Spaß dran.
Thema auf der Hundewiese bei den mir fremden Hundehalterinnen war Abrufbarkeit, drei Hunde rannten frei mit einer Schleppleine dran. Das kannte ich nicht, habe es mir anschließend von Koris Eltern erklären lassen. Man muss den Hund ja wieder einfangen können. Und das wurde dann auf der Wiese ausführlich diskutiert, also nicht von mir, ich habe da ja eine ganz eigene Meinung zu, und hätte ich die mitgeteilt, hätte Familie Schüßler keine Hundewiese mehr gehabt, also hielten wir uns etwas im Hintergrund, ich stand, Fiene saß, irgendwann kriegte sie einen kurzen Streit mit Kori, der damit endete, dass Kori laut bellend vor mir stand, Fiene laut bellend hinter mir, was mit den beiden schwarzen Brechern bestimmt für einen Moment spektakulär aussah, mir aber zu keinem Zeitpunkt zu denken gab, sind doch beide Pussys tief innen drin, und ich hätte wirklich viel angestrengter gucken können, dann wär vermutlich auch Ruhe gewesen.
(Da ich ja doch immer auch einen leichten pädagogischen Auftrag verspüre, möchte ich kurz was zur Abrufbarkeit sagen, wenn es Sie nicht interessiert, können Sie einfach im nächsten Absatz weiterlesen. Es ist nämlich so: Ich hatte mit Fiene natürlich extrem leichtes Spiel. Labradore sind sowieso schon meist recht leichtführig, ich habe mir mit 5 Wochen im Wurf die Hündin ausgesucht, die am wenigsten angeknipst war, ich schätze Angeknipstheit nämlich weder in Menschen, noch in Hunden, habe sie dann mit 8 Wochen in Empfang genommen und habe dann – und das ist jetzt die Essenz des gesamten Exkurses – 18 Monate lang keine einzige Interaktion mit dem Hund gehabt, die nicht irgendein Ziel gehabt hätte. Keine eine Ausnahme von irgendeiner Regel. Der Hund hat seit Lebenswoche 9 nie mehr irgendwas gefressen, ohne, dass ich das vorher explizit erlaubt habe. Das findet sie absolut normal, sie kann das nicht anders, es führt aber dazu, dass für sie komplett klar ist, dass ich Gott bin, sonst müsste sie mich nicht fragen. Das ist Punkt 1. Punkt 2 ist, dass ich 18 Monate lang jeden einzelnen Scheißtag mit ihr in den Wald gegangen bin – sie ist von Anfang an frei gelaufen – und jeder einzelne Spaziergang hatte einzig das Ziel, Abrufbarkeit zu trainieren. 18 Monate permanent rufen, wenn sie kommt Lob, alle paar Minuten Pfiff, wenn sie kommt Fleischwurst. Nie gerufen, wenn ich wusste, dass ich keine Chance habe, dass sie kommt, dann lieber halt nicht rufen, das Ergebnis ist das gleiche. Nie das Lob oder die Fleischwurst vergessen. Jeden Tag 50 mal wiederholen. Nie ohne Hundepfeife raus. Wenn ich pfeife, bremst die aus dem Rückenmark, da ist gar kein freier Wille mehr im Spiel. Es gibt zwei Situationen, in denen ich weiß, dass sie eventuell nicht kommen wird. Das ist entweder Wasser und sie ist näher am Wasser als an mir und möchte schwimmen, oder riesiger Ast, am besten mit anderem Hund dran, auch da wieder näher am Ast als an mir. Dann kommt sie manchmal nicht. Ich habe einen Pfiff, der bewirkt, dass sie doch kommt, aber danach ist sie sehr kusch, also pfeife ich so nur, wenn sonst jemand vom Rad fällt oder Ähnliches. Der Rettungspfiff, der aber auch nur kommt, wenn gerettet werden muss. Was wollte ich sagen? Ach ja. Der Tipp, doch mal das andere Leckerchen auszuprobieren, dann kommt der Hund bestimmt, kann natürlich klappen, wenn man sich dazu entschließt, dann 1,5 Jahre mit dem Leckerchen zu üben, dass der Hund sich dafür entscheidet, doch am besten immer einfach zu machen, was gefragt ist. Operante Konditionierung. Kennen Sie aus der Schule. Das Leckerchen alleine tut exakt gar nix. Genausowenig wie die Pfeife. Sehr oft werde ich im Wald darauf angesprochen, weil sie ja so um den Hals baumelt. „Also Jackie hört nicht auf die Pfeife, hab ich versucht.“ Naja. Gehen Sie doch einfach 1,5 Jahre jeden einzelnen Tag mit Jackie, der Pfeife und einer Fleischwurst in den Wald und pfeifen Sie am besten immer nur dann, wenn Sie ganz genau wissen, dass Jackie auch kommt, also nicht abgelenkt ist, dann Fleischwurst rein und dann wird das wohl klappen. Also nach 1,5 Jahren. (Viele Hunde brauchen sicher weniger lang, aber bis es echt echt echt saß, brauchte Fiene das Ende der Pubertät.) Auf der Hundewiese stehen und den Hund sich selbst überlassen hilft vermutlich in der Sache nicht. Fiene sitzt unter anderem deshalb neben mir, weil ich in den ersten 1,5 Jahren dafür gesorgt habe, dass niemand für sie toller, interessanter und lustiger ist als ich. Na gut, doch, mein Kind. Aber warum sollte der Hund den beim Frauchen bleiben, wenn das Frauchen sich mit anderen Leuten auf der Hundewiese unterhält? Gibt es gar keinen Grund für, dann kann man ja auch gehen. Mein vernichtendes Urteil (liebe Anne, Ihr seid explizit NICHT gemeint) ist: Die Menschen auf der Hundewiese waren ihren Hunden einfach zu uninteressant, und sie haben strategisch in die falsche Richtung gedacht. Aber gut.)
Als Fiene nach drei Stunden neben mir Sitzen wieder in den Kofferraum sprang, mussten wir uns eingestehen: Sie war leider nicht ausreichend sozial engagiert für diesen Ausflug und daher noch sehr unterausflugt. Wie gut also, dass es ein zweites Dateangebot gab, bei dem Schwimmen angekündigt wurde. Also fuhren wir nachmittags wieder los, dieses Mal ins Elsbachtal, und trafen dort den Golden Retriever Jungspund Peanut, liefen einfach 6 Kilometer geradeaus, Fiene und Peanut nebeneinander vorneweg, hin und wieder guckte einer, als wollte er sagen „komm mal mit, da drüben ist super Gebüsch“, dann zockelten sie zusammen ins Gebüsch, dann klauten sie einem anderen Hund sein Quietschie und gaben es anschließend brav zurück, dann wurde sehr ausführlich aus dem See apportiert (inklusive im See einen zweiten Ball finden, sehr praktisch) und am Ende waren alle matschig aber glücklich.
Wir können festhalten: Hunde sind halt sehr unterschiedlich. Kori Schüßler möchte mit 20 Hunden über die Hundewiese heizen, Fiene Herzbruch möchte einfach stumpf geradeauslaufen, zwischendrin Ballspielen und ein kleines Bad nehmen, gerne auch im Unterholz. In der nächsten Runde laden wir Kori mal in unseren Wald ein, und wenn er auch keine Stöckchen tragen möchte, dann verabreden wir uns zukünftig einfach ohne die Kinder. Machen wir mit den Eltern von Jonathans Kindergartennichtfreund auch so.